Film

Los Guerrilleros Colombianos
von Peter Atanassow
DE 2007 | 100 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 32
05.11.2008

Diskussion
Podium: Peter Atanassow, René Beißert (Kamera), Sibylle Arndt (Produktionsleitung)
Moderation: Vrääth Öhner
Protokoll: Nina Selig

Synopse

Alltag einer Guerilla-Einheit in Kolumbien. Es gibt viel zu tun, von strategischer Angriffsplanung über Bombenbauen bis zur kulinarischen Versorgung. Kinder, Frauen, junge Männer erzählen, warum sie Teil der Gemeinschaft geworden sind.

Protokoll

Vrääth Öhner schickt der Diskussion vorne weg, dass Los Guerrilleros Colombianos ein Beitrag der Auswahlkommission zum 40jährigen Jubiläum der 68er-Bewegung ist.

Nach seiner eigenen Motivation und dem Prozess des Filmemachens gefragt, erzählt Atanassow von einer Faszination von Lateinamerika, die schon in der Pubertät beginnt. Auf einer Hausbesetzerparty lernt er dann, schon nach der Wende, eine Menschenrechtsgruppe kennen, die ihm die Möglichkeit des Films eröffnet. Er wollte den Befreiungskämpfern helfen und auf sie aufmerksam machen. René Beißert ergänzt, man hätte herausfinden wollen, was das für Menschen seien, die ihr Leben aufgeben und in den Busch gehen um zu kämpfen. Auf eine Zwischenfrage aus dem Publikum, für was sie denn kämpfen würden, kommt von Atanassow die klare Antwort, „Für den Sozialismus natürlich!“

So viel mitnehmen wie möglich – Öhner fragt, ob sich formale Entscheidungen immer aus der Situation heraus ergeben hätten. Beißert erzählt, dass die Dreharbeiten vor Beginn wie eine Black-Box erschienen seien. Man hätte lange warten müssen bis endlich ein Kurier der Guerrilleros kam und sie mit über die „grüne Grenze“ nahm. Während des Drehs blieb diese Unklarheit bestehen – „man fängt einfach an, nimmt alles mit und macht einen Film draus“ (Beißert).

Von Öhner gefragt, ob sie vor den Dreh eine bestimmte Vorstellung von ihrem Film gehabt hätten, erklärt Atanassow den Umgang mit den Protagonisten: „Wie wollt ihr Euch repräsentieren? Gut, dann macht das so.“ Trotzdem, man hätte schon versucht, ergänzt Beißert, von der reinen Selbstdarstellung weg und hin zu den persönlichen Beweggründen zu kommen. Das sei nicht immer einfach gewesen, durch das „Phrasen-Programm“ zu kommen. Denn natürlich, das will Atanassow nicht leugnen, sind die Guerrilleros ausgebildete Agitatoren.

Eine Szene mit einem Esel, zu Beginn des Films, sieht Öhner als Leseanweisung für den ganzen Film, „das was dann nachher kommt muss man so ähnlich sehen“. Für Atanassow ist Los Guerrilleros Colombianos ein sehr persönlicher Film, bei dem er sich im Schnitt für eine tagebuchartige Form entscheiden hat. Es ging ihm darum, sich Zeit zu nehmen um zu gucken was dort passiert. Indígenas, die kein Spanisch können, Marxismus beibringen – Atanassow wollte auch von einem Opfer für eine Idee berichten.

Nach den Perspektiven der Guerrilleros gefragt, erklärt Atanassow, dass es in dem Kampf um die Gewinnung von Territorium geht, das nachhaltig als Ressource genutzt werden soll. Räume werden im Sinne einer ökonomischen Etablierung und auch zum Schutz genutzt.

Aus dem Publikum kommt die Frage nach dem Begriff des „Kampfes“ und in welcher Form er auf die Konflikte in Kolumbien angewendet werden kann. Beißert antwortet, dass sich der „Kampf“ auf einem Level etabliert hat, in dem es hauptsächlich um Gebietssicherung und Neugewinnung gehe. Ein „Katz-und-Maus-Spiel“ ohne hohe Verluste. Die Gefahr für das Team sei eher gering gewesen, da sie sich in einem Indianerreservat aufhielten, das von einer internationalen Lobby geschützt wird und nicht einfach von der Armee gestürmt werden kann. Die Gefährdung ist jedoch je nach Region unterschiedlich hoch.

Könne man nicht auch annehmen, so ein Diskutant, dass es sich bei dem Befreiungskampf in Wirklichkeit um eine schleichende Kolonialisierung der indigenen Territorien durch die kolumbianische Regierung handelt und die ELN zu diesem Zweck als Speerspitze gebraucht wird. Atanassow widerspricht: Befreiungsarmeen entstehen für ihn aus dem Willen heraus, sich unabhängig zu machen und ein anderes Leben zu führen. „Wir“, so Atanassow weiter, „haben ja für alles eine Erklärung. Es gibt für alle Verschwörungstheorien Gründe.“ Die kolumbianische Befreiungsbewegung ist jedoch aus dem haltlosen Zustand heraus entstanden, dass es nur sieben Familien gibt, die das ganze Land besitzen.

Aus dem Publikum wird gefragt, ob das Filmteam nicht Angst gehabt hätte, mitten im Konflikt zu drehen. Atanassow und Beißert erklären noch einmal die Situation vor Ort: Die Paramilitärs waren immer mehr als fünf Kilometer entfernt, sie haben eine politische und keine Kampfeinheit begleitet und die Gefährdung ist in einer Stadt wie Medellín wesentlich höher. Und außerdem sollten die Informationen, über die Geheimdienste tatsächlich verfügen, nicht überschätzt werden. Dass Europäer in den Konfliktbereich reingehen, so Atanassow, sei auch gar nicht selten und wie er am Ende der Diskussion erzählt, waren während des Drehs täglich bis zu 100 Kämpfer für die Gewahrung ihrer Sicherheit abkommandiert.

Der fertige Film lief bis jetzt noch nicht in Lateinamerika – die ELN hatte im nachhinein ein Problem damit, dass nicht alle, die zu sehen sind, maskiert sind

Es wird noch eine Detailfrage aus dem Publikum nach der Symbolik der Fahne, die der Comandante der ELN-Einheit im Film erklärt, gestellt. Das Agieren im Sinne eines Totenkults, also im Namen der Toten, sei das bei der ELN in dem Maße vorhanden wie z.B. bei den Faschisten? Empörter Zwischenruf von hinten, die Faschisten, das seien ja wohl die Paramilitärs. Atanassow erläutert, dass der Totenkult vielmehr in der indigenen Kultur verwurzelt ist und das Tragen eines Kreuzes und das Lesen von Marx oder Mao nicht als Widerspruch gesehen wird.

Werner Ruzicka fragt, ob der Kampf nicht eher symbolisch zu verstehen sei und es im Konflikt eher um Landnahme geht. Atanassow erläutert, dass es 2004 und 2005 massive Kämpfe gegeben hat, deren Opfer nicht genau beziffert werden können. Die Landnahme wird von der ELN als Währung und Ressource verstanden. Landstriche mit hoher Biodiversität sollen z.B. Pharmakonzernen für ihre Forschung zur Verfügung gestellt werden, und das so eingenommene Geld in Bildung investiert werden.

Seit den Dreharbeiten im Jahr 2004 hat sich, so wird im Laufe der Diskussion immer wieder erläutert, die Strategie der Befreiungsbewegung verändert. Der Schwerpunkt der politischen Arbeit hat sich in Gewerkschaften, Bildungsstätten und andere gesellschaftlichen Organisationen verlagert und ist zunehmend weniger im Dschungel zu finden.

Trotz aller Absurdität des Kampfes, schließt Beißert, sind ihm die Guerrilleros sympathisch, weil sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen.