Film

In die Welt
von Constantin Wulff
AT 2008 | 88 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 32
06.11.2008

Diskussion
Podium: Constantin Wulff, Dieter Pichler (Schnitt)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Roman Fasching

Synopse

Das Wunder der Geburt und die Institution Krankenhaus: Zerbrechliches Leben steht kalten Apparaturen und umständlicher Bürokratie gegenüber. Im reglementiert-technisierten Ablauf scheint das Wunder abhanden zu kommen. Und siegt am Ende doch.

Protokoll

Der Zugang zur Klinik, das Anpassen an die Zeitstrukturen und Rhythmen der Klinik, die täglichen Konfrontationen mit der Struktur der Institution einerseits, und die emotionalen Momente andererseits, standen sowohl beim Dreh als auch im Schnitt immer unter dem Aspekt des direct cinema. Wulff nennt Frederick Wiseman seine „Vorgabe“, und er hatte auch immer den Eindruck, dass dieser, ihm Sicherheit bietende, Rahmen im ganzen Film hält. So gab es zum Beispiel schon im Rohmaterial (95 Stunden aus fünf Wochen Drehzeit) kaum Blicke der Protagonisten in die Kamera, da das kleine Drehteam (zwei Personen) „bis zu einem gewissen Grad,“ wie Wulff mehrmals betont, in den Drehsituationen unauffällig bleiben konnte. Die Präsenz des Teams musste für die Menschen in der Klinik dabei nicht mehr thematisiert werden.

Besonders die erste Szene, die Wulff gar nicht so „cool“ empfindet wie Ruzicka, zeigt, dass es bei jeder Geburt um Leben oder Tod geht. Diesen Resonanzboden, in dem sofort deutlich wird, worum es da geht, wollte er von Anfang an im Film haben. Die Grundfrage „Worum geht es hier?“ muss am Anfang stehen, der Film muss immer seinen Blick richten.

Das Publikum hinterfragt mehrmals und kontrovers den Blick der Kamera beim Kaiserschnitt, der sich vom Bild der anderen Geburten so sehr unterscheidet. Für Wulff bleibt die Haltung und Annäherung der Kamera trotz des Unterschieds aber kongruent. Es gab vorher keinen Entschluss, wie die Operation gefilmt werden sollte, aber „vielleicht haben auch wir den Blick des Apparats gehabt, und dieser Blick ist auf die Operation gerichtet.“ Bei der ersten Geburt hingegen, entschied er sich für diese Kameraposition, weil er die Geburt auch von Anfang an als Beziehungssystem/Beziehungsgeflecht zeigen wollte.

Anhand seiner eigenen Erfahrung wollte Wulff nicht nur das persönliche (Mit)Erleben einer Geburt zeigen, sondern auch die damit verbundene, unumgängliche Konfrontation mit dem Apparat und der Struktur einer Klinik. Deswegen haben Pichler und er, unter dem Gesichtspunkt, dass der Film von dem handelt, was im Alltag einer Klinik passiert, sich im Schnitt bemüht, alles Spezifische dieser Wiener Klinik herauszuschneiden, denn die Darstellung des Alltags einer Klinik war das Ziel. Dieter Pichler begründet in diesem Zusammenhang auch den schnelleren Schnittrhythmus in der Laborszene mit den Blut- und Urinproben. Diese Bilder und Sequenzen sind nicht direkt an der handelnden Person ausgerichtet, sondern an den alltäglichen Handgriffen und Arbeitsschritten in einer Klinik, auch in deren Verwaltung und Dokumentation. Wie diese Strukturen den Alltag prägen, war für die Kamera nicht leicht zu greifen. Erst in der vierten oder fünften Woche zum Beispiel, kam die Szene mit der Kontrolle der Medikamente zustande. Auch das Gespräch zwischen der Leiterin des Kreissaals und dem Professor aus Nordrhein-Westfalen über das fünfte Dokumentationssystem war schwierig zu drehen.

Die Entscheidung für die Wiener Semmelweiß-Klinik als einzigen Drehort hatte zwei Gründe: Erstens, weil es eine reine Geburts- und Frauenklinik ist, denn das passte in das grundlegende Konzept, dass es nur einen Schauplatz im Film gibt. Zweitens, weil man für diese Klinik eine Drehgenehmigung bekommen hatte, da der damalige Leiter dem Projekt gegenüber sehr offen war. Dass Wulff selber Vater ist, hat dabei geholfen, „war aber nicht entscheidend, sondern nur ein netter production value.“ Vor den Dreharbeiten haben die Filmemacher dann nur einige grundlegende Motive und Situationen ausgewählt, die im Film vorkommen sollten: Einzelne Stationen in der Klinik, der Verwaltungsapparat, und die Orte, wo der Kontakt mit den Patientinnen stattfindet. Erst nach dem Dreh, nach ca. zwei Monaten Sichtung, wurden ein genauerer Plan und eine Dramaturgie entwickelt, dem ein halbes Jahr effektive Schnittarbeit folgte. Erfolglose Versuche seriell zu schneiden (ein Ultraschall nach dem anderen), haben im Endeffekt geholfen, das Essentielle in einzelnen Szenen zu finden. Dabei fielen auch die Vorbereitungsarbeiten für die Operation aus dem Film, da sie einfach zu viel Platz in Anspruch genommen hätten, und sie auch nicht in den Rhythmus des Films passten. Eine kontinuierliche Chronologie von Ereignissen wurde nie in Betracht gezogen. Man wollte nie einem Paar folgen, denn daraus wäre unweigerlich eine Erzählstruktur für eine Identifikation entstanden, und das wollten die Filmemacher auf keinen Fall.

Mit Geduld und Offenheit gegenüber interessierten Laien, die an der Diskussion teilnahmen, sowie detaillierter Struktur und klaren Standpunkten für die Fortgeschrittenen, bot diese – leider zu kurze – Diskussion ein entspanntes, produktives Reden ohne Zeigefinger über einen direct cinema-Film.

Roman Fasching

32. DUISBURGER FILMWOCHE Diskussionsprotokoll No. 17