Film

Die Blumenbrücke
von Thomas Ciulei
DE/RO 2008 | 87 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 32
05.11.2008

Diskussion
Podium: Thomas Ciulei
Moderation: Peter Ott
Protokoll: Judith Funke

Synopse

Auf dem Land in der Republik Moldau. Das Geld ist mehr als knapp. Der Vater ist bemüht, die drei Kinder in Abwesenheit der Mutter großzuziehen. Alle müssen mit anpacken, alle warten sehnsüchtig auf ihre Rückkehr aus Italien.

Protokoll

DIE BLUMENBRÜCKE erzählt von einer moldawischen Familie: Der Vater, zwei Töchter, ein Sohn. Die Mutter fehlt. Als illegale Arbeiterin wartet sie in Italien auf „die Dokumente“, die ihr die legale Rückkehr zu ihrer Familie ermöglichen.

Der Familienvater Costica, den Regisseur Thomas Ciulei zufällig auf der Straße kennengelernt hat, ist ein Schauspieler, ein Selbstdarsteller, und er kann die Dinge gut auf den Punkt bringen. Das habe Ciulei an seinem Protagonisten besonders gefallen.

Peter Ott interessiert sich für die Rolle von Costica im Arbeitsprozess: der Vater strukturiere den Film durch seine Ansagen, in denen er Arbeitsaufträge erteilt und gleichzeitig ankündigt, was im Film als nächstes passieren wird. (Ciulei wird später diese Passagen als „Brechtsches Stilmittel“ bezeichnen.) Sogar die Bildkompositionen scheint Costica durch seine Anweisungen eigenständig einzurichten, wundert sich Ott. Seine besonderen „didaktischen Fähigkeiten“, erklärt Ciulei, habe Costica bei der Arbeit mit straffälligen Jugendlichen erworben, daher der Kommando-Ton. Die Frage der Struktur sei aber auch entscheidend für seine Erziehungsmethode, er versuche den durch die Abwesenheit der Mutter drohenden Strukturverlust zu kompensieren. Im weiteren Verlauf der Diskussion deutet sich an, dass die Arbeit mit Costica für das Team zumindest gewöhnungsbedürftig war: „Er hat uns ja genauso behandelt wie die Kinder“.

Ott sieht in Costica ein starkes Gegenbild zu sonstigen Bildern osteuropäischer Männer, die meist von Arbeitslosigkeit oder Alkoholismus geprägt seien. In der Tat sei auch in der ländlichen Umgebung der Familie der Alkohol ein großes Problem, ergänzt Ciulei. Das Umfeld, die Dorfgemeinschaft habe er aber bewusst außen vor gelassen, um nicht durch andere soziale Kontakte die eigentliche Problematik abzumildern: die Abwesenheit der Mutter, ihr Fehlen im Alltag der Familie.

Dass die Mutter im Film nicht zu sehen ist, beruht auf einer bewussten dramaturgischen Entscheidung des Regisseurs: Auch der Zuschauer soll das Gefühl der Abwesenheit der Mutter erleben und damit eine größere emotionale Einbindung erfahren, als wenn nur oberflächlich das Interesse an ihrem Bild, ihrem Aussehen befriedigt würde. Letztendlich geht es Ciulei um das Konzept einer Mutter, nicht um die eigentliche Person.

Eine Diskutantin merkt an, auch ohne die Mutter habe sie den Eindruck gehabt, einer intakten Familie zuzusehen; gerade dass die Töchter sich trotz des dominanten Vaters immer wieder kleine Freiräume suchten, habe sie gefreut. Ciulei weist allerdings darauf hin, dass es trotz der dreimonatigen Drehzeit schwierig war, sich mit den Kindern private Räume zu erschließen. Bei Maria ist dies wegen ihrer Zurückhaltung gar nicht gelungen.

Zudem wachsen die beiden Töchter sehr behütet auf. Auch bei den Dreharbeiten hatte der Vater Vorbehalte gehabt, die Mädchen unbeaufsichtigt zu lassen. Uneheliche Schwangerschaften seien in der Region ein verbreitetes Problem; hiervor versuche Costica, seine heranwachsenden Töchter zu schützen. Ciulei vermutet, dass auch aus diesem Grund nicht Costica, sondern seine Frau ins Ausland gegangen ist.

Die Abwesenheit der Mutter wird auch als ökonomische Frage thematisiert: In vielen Teilen der Welt, so Ott, gehe ein Elternteil in die Stadt oder eben ins Ausland, um von dort die Familie zu ernähren, in diesem Fall sei es eben die Mutter. Ciulei beschreibt, dass in Moldawien dieses Prinzip fast die Regel ist. Die Abwanderung der arbeitenden Bevölkerung ist ein Hauptproblem der Region. Nur bei einem kleinen Prozentsatz der Familien seien beide Eltern auf Dauer zuhause. Eine Zuschauerin hat in ihrer eigenen Kindheit in Rumänien unter ähnlichen Umständen gelebt und hat sowohl die familiäre Situation als auch das bäuerliche Umfeld im Film als „sehr gut eingefangen“ empfunden.

Schwer einzuordnen ist für Peter Ott der Status der Landwirtschaft: Handelt es sich um postindustrielle oder vorindustrielle Strukturen? Ciulei betont, dass es sich um „Zwangsbauern“ handelt, die sich ohne Landwirtschaft nicht ernähren können, eine für Osteuropa prägende, „schlimme Situation“. Costica sei früher als Unternehmer in der Welt herumgekommen und vermisse das kulturelle Leben der Stadt. Das russische Gedicht, das er im Film vorliest, habe er selbst ausgesucht; es stehe für seine Intellektualität, die „Notwendigkeit, auch seiner Seele gerecht zu werden“.

Ein Diskutant interessiert sich für Ciuleis Inspirationsquellen. Er fühlt sich durch die Darstellung des einfachen Lebens „zwischen Dokumentarfilm und Inszenierung“ an Flaherty oder Rouquier erinnert. Wirkt hier das Konzept der „ethnographic fiction“? Ciuleis kennt die angesprochenen Filme und mag sie sehr, sieht das Zusammenspiel von Inszenierung und Dokumentarischem aber genauso auch in neueren dokumentarischen Arbeiten. „Johann van der Keuken inszeniert auch.“ Überhaupt habe auch der Spielfilm viel vom Dokumentarfilm übernommen und davon profitiert, umgekehrt sei das genauso möglich.

Er selbst inszeniere generell nur, was sowieso stattfinden würde, z.B. von ihm beobachtete Szenen, die an anderer Stelle eingebunden werden können. Allerdings inszeniert Ciulei aus Rücksicht auf die Kinder keine emotionalen Szenen. Auch Vorschläge der anderen am Film Beteiligten werden aufgenommen: „Mit der Zeit entwickeln alle eine große Kreativität.“

Die Blumenbrücke sei ein „sehr genauer“ Film und frei von überflüssigen Bildern, lautet ein weiteres Lob; ob mit einem Skript gearbeitet wurde? Lediglich die Auflösung der einzelnen Szenen sei geplant gewesen. Man habe aber auch spontan auf Ereignisse reagiert. Einmal wäre fast das gesamte Konzept des Films umgeworfen worden, denn es schien, als würde die Mutter tatsächlich zurückkehren.

Sie kam dann doch nicht. Die Familie wartet weiter.