Film

The Halfmoon Files
von Philip Scheffner
DE 2007 | 87 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 31
09.11.2007

Diskussion
Podium: Philip Scheffner
Moderation: Hilde Hoffmann
Protokoll: Sven Ilgner

Synopse

Seit Erfindung der Wundermaschine Phonograph können Tote sprechen. Militär und Wissenschaft träumen bereits früh von Vermessung und Registrierung für eine offizielle Geschichtsschreibung. Erste Forschungsobjekte sind die indischen und nordafrikanischen Kriegsgefangenen aus dem „Halbmondlager“ in Wünsdorf während des Ersten Weltkriegs. Doch die Geister lassen sich nicht vertreiben …

Protokoll

DEN ZWEIFEL INSTALLIEREN

Philip Scheffner recherchierte für einen Film über indisch/deutsche Biografien, den er gemeinsam mit einer indischen Regisseurin plante. Er saß in einem nüchternen Büroraum im Lautarchiv der Humboldt-Universität in Berlin. Als er dann die Kopfhörer aufsetzte und die Stimme Mall Singhs hörte, erschien ihm damit ein „Geist“. Von den 1650 Aufnahmen indischer Soldaten war Mall Singh nicht die erste, die er hörte, aber die am persönlichsten formulierte. Die anderen Aufnahmen bestanden vor allem aus Listen, Zahlen und Mythologien. Gut dokumentiert und in wissenschaftlichem Sinne sicher auswertbar. Mall Singh aber sprach in der dritten Person, er erzählte eine Geschichte und schuf so für den Filmemacher Scheffner den persönlichsten Text.

Hilde Hoffmann beschreibt den Ort Wünsdorf. Diese „Allianz“ von Militär, Wissenschaft und Unterhaltung in Brandenburg. Sie fragt nach den Archiven. Ist der Film ein Versuch, die Geister aus den grünen Registrierkästen zu befreien? Zentrales Anliegen war für Scheffner, keine Dopplung zu erzeugen, die Dokumente nicht noch einmal zu dokumentieren und damit das zu erzeugen, was er mit seinem Film in Frage stellt. Der Boom historischer Sendungen im Fernsehen, die Guido Knopps dieser Welt sind Thema des Regisseurs. Das Problem sei, dass die Darstellung immer lückenhaft ist, dass es immer nur eine Annäherung und vor allem eine Perspektive gibt, aus der Geschichte erzählt wird. Gerade die History-Formate im TV beanspruchen eine alleinige Interpretationsgewalt und machen damit die Geschichte. Die indischen Soldaten reden zum Beispiel nicht vom „Ersten Weltkrieg“, sondern vom „europäischen Krieg“. Dem Regisseur wurde schnell klar, vor allem durch die Besuche bei dem indischen Botschafter, dass die Verfügungsgewalt, die Macht über Geschichte nun mal strukturiert und gebündelt sei. Indien habe nicht auf ihn, den deutschen Filmemacher gewartet, um diesen Film zu sehen und seine Geistergeschichte zu hören. Trotz der Bedeutung die sie für ihn hat. Perspektive eben.

Der Plan des Regisseurs, diesen Zweifel zu installieren und zu verdeutlichen, spiegelt sich dann in Vielem wieder. Ein Diskutant spricht vom „Arsenal an Stilmitteln“. Thema einer Wortmeldung ist das Buch von Martha Kühn, deren Kinderzeichnungen unter historischen, teils rassistischen Motiven zu lesen sind. Der Autor „interpretiert“ die Zeichnungen über seinen Off-Text. Eine Zuschauerkritik besteht darin, dass an dieser Stelle Scheffner doch genau das mache, was er kritisiere! Mit dieser Interpretation beeinflusse er doch die Geschichte. „Waren sie dabei?“, fragt der Diskutant. Diese verwirrten Gefühle sind aber nun mal das, was der Filmemacher beim Zuschauer erreichen will. Den Zweifel eben installieren. Man weiss nicht mehr, was man glauben soll. Geisterhaft. Installation erfolgreich.

Scheffner ist aber immer noch Filmemacher. Filmemacher wollen eine Geschichte erzählen. Wie erzählt man eine Geschichte unter diesen Maximen und Voraussetzungen? Ohne die Bildgewalt, die belegt ist mit Interpretationen und Auslegungen? Scheffner fragt ins Plenum, ob man Bilder von afrikanischen Soldaten kenne, die Deutschland von den Nazis befreit hatten. Man kennt sie nicht. Vielleicht gibt es sie. Dann liegen sie sicher in einem Archiv. Irgendwo.

Scheffner macht also die Stimmen zu den Protagonisten. Er muss seine Dramaturgie nicht mehr nur durch Bilder voranbringen, er darf es gar nicht. Um von Lücken zu erzählen, von losen Enden, von Geistern, müssen die Bilder sich zurückhalten können. Scheffners Erzählmittel nehmen verschiedene Gestalten an. Genau wie die Geister, so der Autor. Geister könnten beispielsweise durch die Zeit reisen oder durch Wände gehen.

Wenn man die Bestandteile dieses Filmprojekts betrachtet, hätte man sicher leicht eine „ARTE-Dokumentation“ daraus machen können, sagt Scheffner, mit „Human Touch“. Da wäre ja alles dabei. Sein Bezug war aber der Moment im Lautarchiv. Als er mit den Stimmen alleine war. Mit den Geistern. Ausserdem würde eine solche Erzählung die schwarzen Löcher und die Fragmentarisierung eben nicht mit einbeziehen. Der Zweifel könnte nicht installiert werden.

Die Geister, Gespenster und Untoten sind in der Diskussion immer wieder Thema. Untote seien ja nun solche, die auf der Suche nach Erlösung seien. Ein anderer Diskutant spricht von Kaiser Wilhelm als einem „Geist der Zeit“. Es wird spekuliert, was denn wohl passieren würde, käme Mall Singh zurück zu seinen Wurzeln. Nachfahren wären Großväter, die Kette sei ja unterbrochen. Es wäre, so ein Diskutant, „die Rache der Geister.“ Scheffner nimmt die „Rache“ auf. Der Geist habe Macht über die Wissenschaft und vielleicht auch über diesen Film. Geist, im Sinne der Wahrnehmung. Verschiedener Wahrnehmung. Scheffner betreibt eine „bewusste Wertigkeitsverschiebung“.

Ein Diskutant fragt nach dem Zeitungsartikel, wünscht sich ein „Sequel“, eine Fortsetzung. Was weiss Scheffner von den Auswirkungen seines Films?

Die Reaktionen seien in Indien hauptsächlich intellektuell gewesen. Exil-Inder würden sich einen Platz in der europäischen Geschichte wünschen und seien deshalb sehr interessiert. Was es mit „Mogo“ aus dem Ort Malena auf sich habe, könne er nicht sagen. Es hätten sich mehrere Nachfahren Mall Singhs gemeldet, eben auch der, den der Zeitungsartikel nennt. Ihn selber interessiere nur das Medieninteresse, das jetzt entstünde. Die Medien, die sich damit befassen, die interpretieren, auslegen. Perspektiven einnehmen und Geschichte schreiben.

Bis dann hoffentlich wieder jemand wie Philip Scheffner kommt, der den Zweifel in uns frisch installiert.

 Philip Scheffner © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Philip Scheffner © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald