Film

Put mira
von Gian-Reto Gredig
CH/BA 2007 | 87 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 31
07.11.2007

Diskussion
Podium: Gian-Reto Gredig
Moderation: Barbara Pichler
Protokoll: Sven Ilgner

Synopse

Eine Fahrt durch Bosnien-Herzegowina, 2002-2004. Goran Galic versucht sich an einer fotografischen Bestandsaufnahme der elterlichen Heimat. Filmemacher Gian-Reto Gredig begleitet ihn. Die Gräben sind tief, die Heimat ist irgendwie abhanden gekommen. „Die Parodie eines Landes“, sagt jemand im Film.

Protokoll

DON QUICHOTTE UND SANCHO PANSA AUF DEM BALKAN

Mit einer Fotokamera eine Bestandsaufnahme Bosnien-Herzegowinas machen:

Als Gian-Reto Gredig von dem Vorhaben des Fotografen Goran Galic hörte, war er sofort interessiert. Über gemeinsame Freunde kamen sie zueinander. Zwei Monate später stand Gredig in Bosnien. In einer Szene zu Beginn des Films PUT MIRA baut Galic seine Großformatfotokamera in einem Wohngebiet in Bosnien auf. Kinder stehen bei ihm, sind neugierig, schlagen Motive vor. „Mach ein Foto von dem Haus mit dem Fiat davor!“

Gredig filmt den Fotografen. Scheu und Vorsicht des Kennenlernens sind zu spüren. Es lernen sich aber nicht nur zwei Menschen kennen, sondern auch zwei Medien, analoge Fotografie und Digitalvideo.

Barbara Pichler beschreibt zwei Schwerpunkte des Films. Einmal sei es ein Künstlerportrait des Fotografen, andererseits eine Reise in das Land nach dem Krieg, eine Reise auch in die Erinnerung. Goran Galic hatte sich intensiver mit diesem Land beschäftigt, kannte sich aus, plante eine Tour und nahm den Filmemacher gerne mit. „Er fand es spannend, nicht alleine zu arbeiten“ so Gredig.

Er beschreibt den Film als langsamen, behutsamen Prozess. So behutsam, wie das Aufstellen einer Großformatkamera mit Stativ auf unwägbarem Gelände auch dauert. Beide Künstler tarierten ihren Umgang miteinander aus. Sie ließen sich Zeit, 2002 – 2004. Gredig filmte ständig mit. Thema war immer das Bild, das der Fotograf im jeweiligen Moment suchte. Der Fotograf Galic erhoffte sich eine „Bestandsaufnahme.“ Filmemacher Gredig kannte dieses Land nur aus Ferien in Kindertagen und der politischen Berichterstattung in der Schweiz. Er wusste aber, dass das Vorhaben ein „Riesenprojekt“ sei, eventuell gar zum Scheitern verurteilt.

Im Laufe des Films wechselte Galic von Groß- zu Mittel- zu Kleinformat. Fotografie reichte ihm nicht mehr, er wollte mit den Menschen reden. So entstanden Interviews und Begegnungen, mit Fremden, Freunden und Familie. Der Filmemacher Gredig wusste manchmal nicht mehr, wer er war: Kameramann, Autor, Mitreisender? Aber zumindest kamen sie dem Ziel näher. Alle Menschen kennen lernen, sie portraitieren. Ihre Perspektiven hören.

Ein Diskutant spricht diesen „Prozess der Versprachlichung“ an. Wahrscheinlich habe der Filmemacher das erst ausgelöst. „Ich weiß nicht, wie er es ohne mich gemacht hätte! Ob überhaupt!“

Pichler spricht die verschiedenen Herangehensweisen und damit Gredigs Hintergrund als studierter Ethnologe an. Welche Rolle spielte diese Vergangenheit? Gab es Spannungen und Konflikte zwischen ethnologischem und künstlerischem Zugang?

Gredig bezeichnet Galic als „Reiseleiter“. Er habe den Takt vorgegeben. Natürlich sei die künstlerische Herangehensweise eine andere. Es sei der „andere Blick“, eine andere Suche, die den Fotografen antreibe. Der Filmemacher fühlte sich zu Beginn als ein Beobachter, wurde aber mehr und mehr zum Komplizen. Die Zusammenarbeit führt sich auch nach dem Film fort. Aus Video, Foto und Textsequenzen des Films entstand Goran Galics Diplomausstellung in Zürich. Weitere Zusammenarbeit steht an.

Werner Ruzicka weist auf die Bedeutung der „alten“ Aufnahmeform analoger Großformatfotografie hin. Die Menschen fragen nach dem fertigen Foto, Ikonisierung findet statt. Gab es im Laufe des Films eine Hierarchie der Medien? Wurden die Formatgrößen nach und nach von den Interviews abgelöst?

Gredig spricht eher vom Gegenteil. Ein Mann mit einer Großformatkamera sei auffällig und sichtbar. Die Leute fanden es lustig, den Fotografen zu betrachten, nahmen ihn nicht immer ernst. So entstanden viele Gespräche. Der eigentliche Grund für die Formatwechsel sei gewesen, dass es schlicht zu aufwändig war, zu viel Zeit in Anspruch nahm und zu langsam war. Sie hatten ja noch viel vor. Mit jedem Menschen in Bosnien reden…

Mehrere Diskutanten sprechen über die politische Bedeutung und den Umgang mit den einzelnen Bevölkerungsgruppen. Ein Zuschauer empfindet die Serben in dem Film zu einseitig und negativ beschrieben, eine weitere Diskutantin stellt dagegen fest, dass der Fotograf, ein Protagonist des Films, schließlich reflektiert und Serbe gewesen sei.

Gredig führt an, dass ja noch nicht einmal festzustellen sei, welche Sprache der Film habe. Bosnisch, Serbisch, Serbokroatisch? Sofort stellt sich auch die Frage des Repräsentativen. Gredig habe darauf geachtet, allen Perspektiven denselben Raum zu geben.

Die Atmosphäre Ex-Jugoslawiens bleibt Thema im Auditorium. Der Tenor ist das Gefühl angenehmer Überraschung über die Haltung des Films. Mancher Diskutant wünscht sich eine größere Palette an Meinungen, deutlich wird aber die Schwierigkeit des Vorhabens. Eben weil der Fotograf Galic versuche zu verstehen, seien alle Perspektiven legitim.

Eine Diskutantin spricht die Verdrängung an, die auf allen Seiten herrsche. Die Leute wollten nicht mehr, sie wären des Versteckspiels und der Vorwürfe müde. Gleichzeitig fühle man sich als Opfer, viel Aufarbeitungsarbeit läge noch vor den Menschen der Region. Mit „political correctness“ käme man da nicht weit. Fotografie sei ein guter Weg, dem auf die Spur zu kommen. Wie ein Schiff seien beide durch das Land getrieben. Nicht als Ausländer, die jeder von seiner Wahrheit überzeugen will, sondern als Teil dieser „Parodie eines Landes“.

Ein Diskutant beschreibt die Doppelmedialität und die gegenseitige „Störung“ der Medien Fotografie und Video als „wunderschön“. Die Möglichkeiten, sich diesem Land anzunähern, gingen auf diese Weise gegen unendlich. Die Beiden erinnerten ihn in ihrem Vorhaben an Don Quichotte und Sancho Pansa.

Die Chronologie des Films ist Thema eines Diskutanten. Wenn die Entwicklung von Großformat- zu Kleinformatkamera ging, wie sei dann zu erklären, dass der Film mit Goran Galic und der Großformatkamera endet? Wie stehe es um die Linearität der Zeit?

Gredig schweigt. Der Film sei teilweise chronologisch, teilweise nicht, stellt er schließlich fest. Natürlich sei es ein Road Movie. Von Person zu Person. Von Ort zu Ort.

Barbara Pichler vermutet hinter diesem Schluss eine Rückkehr zum Fokus des Films, der Fotografie Goran Galics. Er kehrt zurück an die Kamera. Sucht noch immer das Bild.

Diesmal schweigt Gredig nicht. Der Schluss sei gesetzt, ja, hätte sich tatsächlich während des Schnitts entwickelt. Die Reise sollte erzählt werden, der Ansatz war aber immer der des Anthroposophen. Ihm ginge es um einen Bilderdiskurs, der „Mediumskonflikt“ wäre noch immer ein Thema für ihn.

Gian-Reto Gredig war seit zwei Jahren nicht mehr dort und müsse bald wieder in dieses Land fahren. Das Projekt sei nie wirklich abgeschlossen.