Film

Michael Hamburger – Ein englischer Dichter aus Deutschland
von Frank Wierke
DE 2007 | 72 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 31
07.11.2007

Diskussion
Podium: Frank Wierke
Moderation: Hilde Hoffmann
Protokoll: Nina Selig

Synopse

Der 1933 emigrierte Michael Hamburger ist in England ein berühmter Lyriker und hochgelobter Übersetzer deutscher Literatur. Seine eigenen Gedichte schreibt er auf Englisch. In Suffolk, in seinem Landhaus führt Hamburger durch seinen Alltag und spricht nebenbei über Haus und Garten, über die Familie, seinen Lebensweg und über Apfelsorten.

Protokoll

Wie entsteht ein Film?

Frank Wierkes Zugang zu Michael Hamburger ist geprägt von den Texten des Lyrikers, die am Anfang der Recherchen standen. Außerdem ein Foto in der NZZ, durch das, so Wierke, Hamburger ihn durchdringend angeguckt hat. Dann die internationale Konstellation, die Reisen von Sprache und Text: Ein englischer Dichter aus Deutschland, ein Verlag in Tirol und ein Übersetzer mit englischen Wurzeln, der in Österreich lebt.

Angesprochen von den Gedichten und der Person Michael Hamburgers beginnt für den Regisseur die Suche nach einer möglichen Finanzierung. Billigflieger ermöglichen einen eigenfinanzierten Beginn der Dreharbeiten, zunächst wird jede beantragte Förderung abgelehnt. „Michael Hamburger ist eben kein berühmter Fußballer und reist nicht mit Tieren durch die Steppe.“ (Wierke). Trotzdem findet sich mit Udo Bremer ein 3sat-Redakteur, der Wierke Mut macht und ihn u.a. auch bei der Suche nach weiteren Kooperationspartnern unterstützt. Das Goethe-Institut wird gewonnen. Die Filmstiftung NRW, von der sich Werner Ruzicka im Diskussionsverlauf wünscht, sie würde in die Pflicht genommen werden, Projekte wie Wierkes Film zu fördern, sagt keine finanzielle Hilfe zu.

Schon vor dem Dichterportrait, das Gott sei Dank kein klassisches ist (so mehrere Diskutanten), hat Wierke in seinen Filmen mit Texten gearbeitet. Lyrik also als ein bekanntes Terrain, das er nun mit dem überbordenden Garten Hamburgers erweitert (und eben nicht, so Ruzicka, das gewohnte Bild eines Dichters auf einer Bank im Park zeigt). Eine Erweiterung, die nicht als Eindringen gedacht und empfunden wird. Das Vertrauen zu seinem Protagonisten muss Wierke über die von der BBC und anderen Journalisten verminten Felder hinweg gewinnen. Michael Hamburger, ein Dichter mit Medienerfahrung, der sich, so der Regisseur, auch schon mal einen Monat lang von dem Besuch einer Journalistin erholen muss.

Englische Lyriker waren für Wierke immer auch Inspiration für seine Filme, die Art der Lyrik, die von „close observations“ bestimmt wird, überträgt er auf seine Art zu filmen, sich dem Protagonisten zu nähern. Diesen muss er bei der ersten Begegnung in seinem Haus in England zunächst im Garten finden, dessen wilde Unübersichtlichkeit auch den Anfang des Filmes bildet. Er sucht den Lyriker in seinem Alltag, versucht diesen nicht zu stören. So entsteht kein kohärent erzähltes Künstlerportrait, eine Reihung von Daten, Fakten und Zahlen, sondern vielmehr über die Alltagsräume eine Annäherung an ein ganzes Leben (Hilde Hoffmann). Von kleinen Dingen ausgehend, Muscheln und Blättern z.B., entblättert sich „das ganz Große“. Das ganze 20. Jahrhundert, deutsche Geschichte, Literaturgeschichte, die Geschichte einer Zerstörung (so ein Diskutant). Wierke erzählt seinen Film im Bewusstsein der Fragmentalität von Geschichte. Kleine Details, genaue Beobachtungen. Mit Klaus Wildenhahn gesprochen, dem sich Wierke nahe fühlt, es kommt auf die alltäglichen Dinge an. Also kein Film über den Alltag, sondern über einen Lyriker, bei dem der Alltag eine große Rolle spielt.

Über die Dinge die ihm Hamburger zu Beginn der Dreharbeiten zeigt und erklärt, konnte Wierke das Vertrauen aufbauen, das für seine dokumentarische Arbeitsweise nötig ist. Die Geheimnisse aber werden dem Protagonisten gelassen. Eine, vor allem aus dem Fernsehen bekannte Exhibitionierung, die Teilhabe aller an allem, wird vermieden. Mit Bildern, die vielleicht sperrig erscheinen, zeigt bzw. zeigt Wierke eben nicht die Trauer Hamburgers, mit der er über seine verschleppte Großmutter oder den Tod des Vaters spricht.

Hamburgers Gedichte werden ebenso „vorsichtig“ behandelt. Sie kommen erst durch die Montage in den Film. Der Lyriker selber war an den Entscheidungen über ihre Einbindung in den Film beteiligt und froh, dass sie ganz ohne musikalische Untermalung auskommen. Hilde Hoffmann hebt hervor, wie stark der Einsatz der Texte den Rhythmus des Films bestimmt. Sie sind nicht bebildert, stehen aber dennoch im Bezug zu den Bildern, sind mit ihnen verzahnt (Tom Briele). Klaus Helle bemerkt, dass einem nach wiederholtem Gucken des Films seine Struktur bewusster wird und wie diese besonders durch die Länge des Gedichts über die tote Großmutter bestimmt wird.

Geprägt ist der Filmrhythmus auch vom Alter des Protagonisten, das Wierke versucht hat, in Würde darzustellen. Ein Diskutant fragt, wer bei den Dreharbeiten eigentlich wen geführt hat. Wierke antwortet, dass er seine filmische Arbeit weniger als ein Führen als vielmehr ein Begleiten sieht. Er habe sich zu Beginn von Hamburger zwar durch das Haus führen lassen, konnte aber so auch das Vertrauen gewinnen, das ihn zu einem Begleiter und auch Gesprächspartner werden lies. Dennoch, zu dem Kamin, auf dessen Sims u.a. die Erinnerungsgegenstände der Großmutter und des Vaters stehen, habe er Hamburger geleitet. Die Kamera war immer sichtbar dabei, Hamburger habe ihn, so Wierke, nur ein paar mal gebeten, das Erzählte für sich und nicht für den Film zu behalten. „Du filmst wie ein Bauer einen Bauern.“ beschreibt Rainer Komers die ebenbürtige Beziehung von Regisseur und Protagonist.

Der Film ist ein Portrait jenseits des „offiziellen Bildes“ (Wierke) geworden. Um nicht einem narzisstischen Umgang mit dem Material zu verfallen, hat sich der Regisseur Beratung und Hilfe geholt. Er nennt vor allem Beate Middeke, Klaus Wildenhahn, Gisela Tuchtenhagen, Rainer Komers und Udo Bremer. Michael Hamburger erklärte sich, zur Erleichterung von Frank Wierke, kurz vor der offiziellen Premiere in London doch noch damit einverstanden, den Film vorab zu sehen.

Zwischen dem Kingfischer und dem Eisfischer geht Michael Hamburger zum Briefkasten, einen Weg, den er noch ohne Schmerzen zurücklegen konnte.

Gut, dass ein solcher Film entstanden ist.