Film

Das Block
von Chris Wright, Stefan Kolbe
DE 2007 | 75 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 31
08.11.2007

Diskussion
Podium: Chris Wright, Stefan Kolbe
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Nina Selig

Synopse

Irgendwo in Sachsen-Anhalt. Hier steht ‚Das Block’ – ein Kristallisationspunkt für emotionale und kulturelle Parallelwelten. In Einzimmerwohnungen leben die vier Hauptakteure Hans Joachim, Natalya, Olga und Silvio. Mehr schlecht, als recht. Heimatlos. Einsam. Suchend. Es werden Geschichten erzählt von Schuld und Sühne. Hoffnungen sind nur was für Träumer.

Protokoll

Werner Ruzicka beginnt mit dem Titel des Films und spricht von der Aufmerksamkeit, den dieser durch die semantische Verschiebung bekommt. Das Block stand im Flur des Wohnhauses auf der Wand. Silvio hat das Team darauf aufmerksam gemacht und vom Haus als Tier gesprochen, in dem man wohnt. Die Anfangssequenz des Films spiegelt die Art des Castings wieder. Klingeln, gucken wer öffnet und was passiert.

Das Haus haben die beiden Autoren als Drehort gewählt, weil Hans-Joachim hier wohnt. Nach der Zusammenarbeit für Technik des Glücks (df 2003) hatten Wright und Kolbe das Gefühl, Hans-Joachim hätte noch eine Geschichte zu erzählen. Die Auswahl der anderen drei Protagonisten ergab sich aus den Reaktionen beim „Klingelcasting“ und dem Gefühl, dass „die Energie“ und „die Ausstrahlung“ stimmen. Die Bereitschaft, sich auf „den Tanz“ (so die Bezeichnung von Kolbe und Wright) einzulassen war bei allen Vieren vorhanden.

Das Klingeln mit eingeschalteter Kamera bleibt auch die Arbeitsweise während des Films. Ohne zu wissen, in welcher Verfassung sich die Protagonisten befinden könnten, tauchen Wright und Kolbe über ein Jahr lang jeden Monat ein Mal bei ihnen auf. Ausgangspunkt für den Film war das Haus und bald schon merkten die Autoren, dass es in den Biographien der Vier gemeinsame Elemente, Überlappungen gibt, die sie sichtbar machen wollten.

Auftauchen und direkt nah dran sein, Körper, die sich gegenseitig schieben. Eine Kamera, die so nah dran ist, dass die Körper fragmentiert und in jedem Detail gezeigt werden. Die Kamera als verlängertes Auge, das „körperliche Interview“.

Die Nähe stößt auf viel Kritik im Publikum, von Peinlichkeitsgefühlen wird geredet und ein Diskutant sagt, er habe an manchen Stellen wegblicken müssen. Kolbe und Wright erklären, sie hätten das Gefühl gehabt, dass diese Nähe bei diesen vier Menschen möglich gewesen wäre. Gerade die Fragmentierung, die, so Kolbe, vor allen Dingen durch den Schnitt zustande kommt, würde den Abstand schaffen, denn sie macht eine soziale Einordnung unmöglich. Außerdem habe beim Dreh die Kamera den Abstand gehabt und nicht sie selbst. Dem Vorwurf des Voyeurimus begegnen die Autoren durch die Feststellung, dass dieser ja immer etwas mit geheimen Beobachtungen aus der Ferne zu habe. Und trotzdem, einige Diskutanten hätten sich mehr Totalen gewünscht, die extreme Nähe wird u.a. als „dermatologische Inspektion“ empfunden. Kolbe spricht davon, dass er Gesichter als Landschaften betrachtet und gerade bei Olga befinden sich eben „der klare See“ und „die Kloake“ in unmittelbarer Nähe. Wrights Frage an das Publikum, was wäre, wenn der Film ein Spielfilm gewesen wäre, bleibt unbeantwortet.

Durch die geringe Distanz sind auch Kolbe und Wright während der Dreharbeiten manchmal überfordert gewesen. Als Beispiel führen sie die Szene an, in der Hans-Joachim im Bett liegt und weint. Kolbe weist darauf hin, dass er aus der Unsicherheit heraus mit der Kamera fast die ganze Zeit auf dem Muster der Bettdecke geblieben ist. Von einer Diskutantin gefragt, ob sie die Szene herausgenommen hätten, wenn Hans-Joachim das gefordert hätte, verneinen die beiden Filmemacher. Auf die empörten Nachfragen hin erklären sie, dass eine „Zensur“ schon während der Dreharbeiten statt gefunden hätte und sie die Protagonisten auch so einschätzen, dass sie mit allem einverstanden waren, was gedreht wurde. Es gibt eben Wahrheiten über Hans-Joachim, die gezeigt werden müssen, so Wright.

Der Vorwurf einer Diskutantin, Wright und Kolbe hätten „Slumtourismus“ betrieben, wird durch einen anderen Beitrag aus dem Publikum entkräftet. Mit ihrer Art zu Arbeiten hätten die beiden genau das Gegenteil gemacht, denn sie hätten sich nicht oberflächlich, kurz, eben touristisch in dem Block aufgehalten. Im Gegenteil, sie waren so dicht an den Menschen und ihren Biographien dran, dass das Publikum zum Nach-denken, zum Weiterdenken gezwungen wird.

Die Reaktionen der vier Protagonisten auf den Film waren sehr unterschiedlich. Natalya z.B. „hasst den Film“ (Kolbe). Sie sieht sich und die anderen drei Bewohner des Blocks als Helden und war mit ihrer Darstellung nicht einverstanden. Die Dreharbeiten mit ihr seien am schwierigsten gewesen, so Kolbe. Er hatte das Gefühl, dass sie mit ihrem eigenen, allein angefertigten Material die Art des Films zu kopieren versuchte. Sie bekamen außerdem einen Brief mit 30 möglichen Filmtiteln von ihr. Silvio, der seine Geschichte, die Ermordung der Mutter durch den Vater und seine Zeit im Heim jedem dem er begegnet sofort erzählt, hat diese nun mit der Geschichte seiner Mitwirkung am Film ergänzt. Bei der ersten Vorführung war er allerdings enttäuscht, dass Wright und Kolbe sehr wenig von dem insgesamt 40stündigem Material verwendet hatten, dass er alleine gedreht hatte.

Die erste Sequenz unterläuft die Erwartungen an den Film (Ruzicka). Aber sie bildet den Film im Kleinen ab (Wright). Die Szene ist nach einem Gespräch mit Hans-Joachim über Stummfilme entstanden. Das Gespräch fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem sie eigentlich schon gehen wollten. Am Anfang haben Wright und Kolbe die Protagonisten umarmt, zum Schluss war es umgekehrt. Abwechslung in ihrer Einsamkeit, die mit Fertigstellung des Films ein Ende finden musste.

Ein Experiment, so die verantwortliche Redakteurin Nicole Baum, das als solches auch von 3sat gefördert wurde und deswegen in seiner neuen Form der Erzählung auch von der Redaktion nicht verändert werden wollte.

Die von Chris Wright verlautete Ankündigung vor der Vorführung, er und Stefan Kolbe seien mit einem „sperrigen Film“ nach Duisburg gekommen, spiegelt sich vor allen Dingen gegen Ende der Diskussion. Kontroverse Meinungen werden ausgetauscht, man lässt sich nicht ausreden, Antworten und Fragen werden gleichzeitig in den Raum gerufen und es gibt Szenenapplaus. Eine lebhafte Duisburger Diskussion also, die an mehreren Fronten ablief.