Film

Bellavista
von Peter Schreiner
AT 2006 | 117 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 31
07.11.2007

Diskussion
Podium: Peter Schreiner, Giuliana Pachner (Co-Autorin, Protagonistin)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Nina Selig

Synopse

Giuliana, Bernadina, Erminja: Drei Frauen aus Sappada, südlich der Karnischen Alpen. Sie unterhalten sich auf Plodarisch, einem alten Osttiroler Dialekt. Er verschwindet – zusammen mit der bäuerlichen Kultur. Die Geschichte der Frauen und des Hotels Bellavista erzählt sich fragmentarisch. Aufmerksam hören die Bilder zu. 

Protokoll

1991 war Peter Schreiner mit I Cimbri, der auch von einem aussterbenden Dialekt handelte, schon einmal auf der Duisburger Filmwoche vertreten. Eine Linguistin aus der Familie seiner Frau lud ihn ein, sich für eine neue, alte Sprache zu interessieren, Plodarisch. Für Schreiner ein Dialekt, der in einer Landschaft angesiedelt ist, der er sich sofort verbunden fühlte. Wie schon bei I Cimbri gibt es Verbindungen, die er intensiv, aber nicht als greifbar empfindet, Verbindungen zu Kindheitsund Traumlandschaften, zu Gerüchen. Besonders wichtig für ihn war dann die Begegnung mit Giuliana Pachner, die auf einer Liste mit Kontakten, die ihm die Linguistin zu Recherchebeginn gab, in der ersten Zeile stand. Als „Seelenverwandtschaft“ erkennen die beiden ihre Beziehung und sind sich relativ schnell sehr nahe.

Ein gemeinsamer Film soll entstehen, das ist bald klar. Pachner zweifelt zwar, dass gerade ihr Leben jemanden interessieren könnte, beginnt aber Schreiner zu begleiten. Die Sprache, die Stimme, der aussterbende Dialekt soll dokumentiert werden. Sie sieht sich nicht als Protagonistin, immer noch nicht. Sie revanchiert sich, blickt zurück. Während der Dreharbeiten hat sie begonnen zu fotografieren, wollte zurück gucken können.

Ruzicka fragt nach dem Anfang des Films, der Verortung einer „Motivik“ in der Lichtung, die Pachner von links nach rechts durchschreitet. Natürlich ist der Waldrand, der Zeitpunkt des Drehs, das Licht, die Bereitschaft überhaupt dort zu drehen kein Zufall gewesen, antwortet Schreiner. Er beschreibt seine Art zu Arbeiten als ein „kommen lassen“, sich Zeit nehmen. Dann bekommt man auch etwas geschenkt, die Dinge liegen förmlich auf der Straße. Hinterher gerannt ist er früher mal, z.B. bei einem Job für den ORF, bei dem er vergeblich versuchte, Rennautos adäquat zu filmen. Er fühlt sich heute befreiter, hat das Gefühl, ihm könne nichts mehr davon laufen, im Leben nicht und im Film schon gar nicht.

Sprache, die sich im Film in vielen Halbsätzen Pachners manifestiert. Sprache, die, so Pachner, eine eigene Dimension werden soll, unabhängig von ihrer Stimme und ihrer Biographie. Sie findet den Film dann am besten, wenn sie nicht vorkommt und spricht, wenn eine metasprachliche Ebene entsteht. Nur Bilder können diesen „poetischen Duktus“ schaffen und diese seien Schreiners Kunst gewesen. Der Regisseur erzählt von seiner Begeisterung über Bernadinas Erzählungen, die er am Anfang kaum verstand, denen er dennoch gerne zuhörte. Wie ein rauschendes Bächlein sei das gewesen.

Zeit, die sich im Film in vielen Halbsätzen Pachners manifestiert. Zeit, die der Film sich nimmt als Luxus. Die Pausen zwischen den Satzhälften lassen ein Nachdenken zu, während Pachners Gesicht weiter spricht (Ruzicka). Schreiner spricht von einer Emanzipation der Protagonistin, die im Laufe des Films die Fähigkeit entwickelt habe, ohne Authentizitätsverlust einen spielerischen Umgang mit dem Filmen zu entwickeln. Das „ewig Beobachtete“ musste nicht leiden. Trotzdem, der Drehbeginn war für Pachner, die seit Jahren keinen Spiegel mehr im Haus hat, schwer. Da sie sich in der Interaktion mit Schreiner durch die Kamera – und eben nicht im Spiegel wahrnehmen konnte, ist es ihr dann jedoch leichter gefallen, sich selber wieder zu anzusehen. Das nennt sie die „psychoanalytische Valenz“ des Films. Sie fühlte sich durch die diskrete Kameraführung nicht beobachtet und hat auch in den Gesprächen mit den älteren Frauen versucht, sie vergessen zu lassen, dass die Kamera überhaupt im Raum war. Eine Kameraarbeit, die vor allen Dingen durch die digitale Technik so möglich war (so Schreiner).

Zeit, die aber auch durch in die Kamera gehaltene Fotos deutlich wird. Sie werden mal kommentiert, mal nicht, oder mit einem rigorosen „Schluss!“ unterbrochen. Körper, in denen sich ganze Leben spiegeln, die in einem Moment lebendig erscheinen und im nächsten vor Schmerzen massiert werden müssen.

Bellavista – ein Blick, der zugleich mit Innenund Außensicht übersetzt werden kann (so Ruzickas Schlussworte).