Film

Mutterstücke
von Johanna Straub, Sandra Kulbach, Nan Mellinger, Michaela Schäuble
DE 2006 | 58 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 30
11.11.2006

Diskussion
Podium: Johanna Straub, Sandra Kulbach, Nan Mellinger
Moderation: Barbara Pichler
Protokoll: Nina Selig

Synopse

4 Töchter porträtieren ihre Mütter und deren Muttersein. Die Mütter sind als Kinder der Nachkriegszeit aufgewachsen, im Hier und Jetzt prallen unterschiedliche Lebensentwürfe aufeinander. „Ich würde nicht mehr so herumaffen mit euch. Ich hätte euch mehr Freiheit lassen sollen“, sagt eine Mutter im Rückblick. Manches gerät an die Oberfläche, manches verschwindet hinter den Gesten.

Protokoll

Johanna Straub (Solitaire) eröffnet die Diskussion mit der Feststellung, dass Mutterstücke nicht als vier Filme verstanden werden will, sondern als einer. Die vier Episoden brauchen sich gegenseitig und es entstünde eine Lücke, würde eine fehlen.

Vor drei Jahren telefonierte Straub mit Sandra Kulbach (Nabel), die grade begann, ihre Mutter zu filmen. Im Gespräch über dieses Filmen kamen die beiden auf die Idee einer Umsetzung des Themas in Stücken, Mutterstücken. Einpersonenteams, nahe dran an den Protagonistinnen, eine gegenseitige Kommentierung der Episoden durch die Episoden.

Eine nicht festgelegte Art des Dialogs, dessen Zusammenspiel erst bei einer der ersten gemeinsamen Materialsichtungen deutlich wird. Immer wieder miteinander reden, aber kein starres Konzept festlegen. An die einzige ursprüngliche Absprache, jede Tochter solle einmal im Bild zu sehen sein, hält sich nur eine der vier Regisseurinnen. Sandra Kulbach hat am Ende Material für zehn Filme, Nan Mellinger (Magic De Luxe) sagt, sie habe bei weitem weniger.

Kulbach ist auch diejenige, für die das Verhältnis zur Mutter schon immer schwierig war. Die Kamera habe für sie nun den Zwang zur Auseinandersetzung gebracht, durch das nahe dabei Sein. Sie berichtet von nicht verwendetem Material, auf dem sie sich mit der Mutter richtig streitet. Die Möglichkeit der Nähe, die Unmittelbarkeit, beschreibt Johanna Straub als die Besonderheit des Mediums Film. Nan Mellinger ergänzt, dass Film andere Sichtbarkeiten ermögliche als ein Text (z.B. werde ihr Schweigen eindrucksvoller als wenn es nur durch die textliche Auslassung „…“ verdeutlicht wäre). Das Publikum werde anders mitgedacht.

Barbara Pichler fragt nach dem Punkt, an dem sich bei jeder Regisseurin der Schwerpunkt ihrer Episode herauskristallisierte. Ordnung und Unordnung standen für Mellinger von Anfang an als Oberthemen der Dreharbeiten mit der Mutter fest. Im Schnitt, den eine Cutterin in mehreren Durchgängen für alle Episoden durchführte, gab es viele Momente, in denen das Rohmaterial angeguckt und auf die Gemeinsamkeiten hin untersucht wurde.

Eine Diskutantin versucht eine Einordnung des Films. Aber ihre Frage, ob Mutterstücke in der Tradition der Frauenbewegung der 1980er Jahre stehe, die ebenfalls von einer starken Auseinandersetzung mit den Eltern, mit der Mutter bestimmt war (als Beispiel wird Hungerjahre von Jutta Brückner genannt), wird entschieden mit nein beantwortet. Was sie machen, so Kulbach, sei eher „freestyle“.

Werner Ruzicka ersetzt für sich die „Tochter“ durch das „Kind“ und hat so einen persönlichen Zugang zum Film gefunden. Er benennt einen Dialog der ersten Episode (Sandra Kulbach fragt ihre Mutter, warum sie bereit gewesen wäre den Film zu machen. Sie antwortet, dass sie zugestimmt habe um mal wieder mit ihrer Tochter zu sprechen) und fragt, ob bei den anderen Überzeugungsarbeit nötig gewesen sei. Nein, ein Drehen ohne Aufwärmphase, alleine an die Technik habe man sich zunächst gewöhnen müssen. Die Mutter von Mellinger habe immer wieder vergessen, was ihre Tochter für ein Projekt macht und Filmen als Form der Arbeit sei ihr eh fremd.

Ein Diskutant findet, dass alle vier trotz der medial bedingten Umkehrung der Machtverhältnisse, fair mit ihren Müttern umgehen. Johanna Straub wirft ein, wenn dann hätten eher ihre Mütter sie als sie ihre Mütter vorgeführt.

Zwei der vier Episoden werden als Beobachtungen im Alltag begriffen, bei den zwei anderen haben die Mütter den Film als Gelegenheit genutzt, Resümee über ihr Leben zu ziehen. Dabei wurden die Alltagsbeobachtungen als intensiver empfunden. Große Milieus, wie etwa das großbürgerliche von Mellingers Mutter werden sehr stark in Kleinigkeiten aufgelöst.

Ihr eigenes Bild, den Film, mit ihnen in den Hauptrollen betrachtend haben die Mütter unterschiedliche Reaktionen gezeigt: Mellingers Mutter hat sich gar nicht geäußert, Straubs ist nicht auf ihre Episode eingegangen und fand dafür die anderen drei Frauen total interessant. Kulbachs Mutter hat nur eine Zwischenversion gesehen, die sie mit einem „Oh, ich sehe ja grauenvoll aus“ kommentierte.

Barbara Pichler stellt die umgekehrte Frage: Sind die Regisseurinnen von ihren Müttern überrascht worden? Besonders in der zweiten Episode ließe sich eine emotionale Überraschtheit der Filmemacherin erkennen.

Nan Mellinger sagt, dass sie nach anfänglichen Schwierigkeiten (ihre Mutter sprach fast wie eine Politikerin über ihr „Dasein als Mutter“) oft überrascht wurde von den unverstellten Momenten die sich ihr boten. Sandra Kulbach führt die Eskalation mit ihrer Mutter auch auf die Überforderung zurück, gleichzeitig filmen und sich streiten zu müssen. Ihre Mutter habe ihr ganzes Leben vor der Kamera gestanden, ihr war es egal, dass sie gefilmt wurde. Johanna Straub gibt zu, dass ihre Mutter vielleicht in einigen Szenen ihrer vorhandenen Vorprägung durch mediale Strukturen nachgegangen sei. Trotzdem sieht die Regisseurin keine Künstlichkeit darin. Für sie hat die Mutter den Bezug ihrer Selbstpräsentation eher auf ein mögliches Publikum als auf die Kamera als Medium hergestellt.

Die Diskussion endet mit dem Wunsch nach einer Langfassung des Films, einer größeren Sammlung von Mutterstücken.