Film

jeder schweigt von etwas anderem
von Marc Bauder, Dörte Franke
DE 2006 | 72 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 30
06.11.2006

Diskussion
Podium: Marc Bauder, Dörte Franke
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Andrea Reiter

Synopse

Sechzehn Jahre nach dem Mauerfall. Etwa 250.000 politische Häftlinge. Und die Frage: wie verarbeitet man DDR Geschichte? Miteinander sprechen, Antworten fordern, alte Wunden aufreißen – oder doch lieber schweigen? Wieviel Vergangenheit kann die Gegenwart aushalten? Drei Familien wagen eine Annäherung.

Protokoll

Noch ein Film über die Geschichte der DDR – sechzehn Jahre nach dem Mauerfall? Werner Ruzicka stellt die (rhetorische) Frage, ob man das Thema nicht insgesamt als abgearbeitet betrachten könnte. Es wurde in Dokumentarfilmen vielfältig behandelt, jeder hat seine privaten Geschichtsstrukturen entwickelt…

Dörte Franke, die selbst eine ähnliche Vergangenheit wie die Kinder im Film hat, und Marc Bauder, der seine Kindheit in Westdeutschland verbrachte, suchten jedoch mit ihrem Film ganz bewusst nach etwas anderem, nach der Vergangenheit im Heute, nach den Auswirkungen politischer Gefangenschaft auf das Private, nach Eigentümlichkeiten in den Familien-geschichten.

Nachdem sie in einem früheren Film bereits die Geschichte von Dörte Frankes Mutter beleuchtet hatten, wollten die Autoren mit jeder schweigt von etwas anderem die Schwierigkeiten im familiären Umgang mit der Gefangenschaft anhand sehr privater Geschichten ausloten. Sie beabsichtigten, den familiären Prägungen, dem Umgang mit Brüchen in der persönlichen Geschichte und der Auseinandersetzung damit innerhalb der Familien nachzuspüren und verborgene Leerstellen ins Licht zu rücken. Ihre Protagonisten hatten sich mit dem Verfassen von Büchern bereits der Öffentlichkeit gestellt – so waren Franke und Bauder mehrheitlich überhaupt auf sie aufmerksam geworden.

Der anwesende Redakteur Burkhard Althoff erzählt, dass ihn am Konzept des Films von Anfang an das Generationenverhältnis interessierte, in der die mittlere Generation eine Verletzung erfahren habe, die Traumata in der Eltern- und Kindergeneration hervorgerufen habe. Er sieht es als eine große Leistung des Films, dass er die Verletzungen behüte.

Intensiv sind die Szenen, in denen die Protagonisten sehr Persönliches preisgeben. Positive und schmerzhafte Erinnerungen liegen oft sehr nah bei einander: Anne Gollin, die in der Küche über ihren Sohn erzählt; Pfarrer Storck, der in seiner Sakristei die „Abendmahl- Geschichte“ mit seinem Vater im Gefängnis erzählen soll und daraufhin auf ihr prekäres Verhältnis zueinander zu sprechen kommt. Die Ambivalenz der Beziehungen ist bei allen zu spüren. Und oft auch zu sehen. Denn anhand der Körpersprache der Protagonisten sieht man manchmal die Erinnerungen förmlich arbeiten.

Das Thema Traumatisierung, das Weitergeben traumatischer Erlebnisse und der Einfluss auf familiäre Strukturen ist also, so konstatiert ein Diskutant, alles andere als „tot“ – aber gerade weil Anne Gollin so ausführlich über ihren Sohn sprach, vermisst er nun dessen Stimme im Film. – Doch Sebastian Gollin dieses eindeutige Moment der Leerstelle zuzuordnen, war Konzept. Die Filmemacher hatten nicht vor, die Protagonisten an einen Punkt zu führen, wo diese nicht hinwollten oder gar dramaturgisch in die Familiengeschichten einzugreifen. Deshalb kann man gerade in Sebastians Schweigen die Herangehensweise der Autoren besonders deutlich erkennen.

Dass Sebastian am Schluss ins Bild tritt oder auch die Schlussszene der Storcks, die über die Stasiunterlagen lachen, wollen sie als „Öffnungsbild“ erscheinen lassen, als Ausblick auf eine Annäherung an die eigene Vergangenheit – die jedoch prekär ist, und immer wieder mit positiven Erlebnissen wie mit Niederschlägen verbunden ist.

jeder schweigt von etwas anderem ist eine Momentaufnahme, Augenblicke des Umgangs mit Erinnerung werden aufgezeigt. Dabei wird den Protagonisten immer mit Respekt begegnet, was sich z.B. besonders deutlich in jener Szene zeigt, als Utz Rachowskis Tochter zu weinen beginnt und ein harter Schnitt das Verhältnis von Nähe und Distanz hervorhebt.

Fotos und Bilder in den Wohnungen der Protagonisten erregen die Aufmerksamkeit, denn sie manifestieren ganz unterschiedliche Erinnerungskulturen in den einzelnen Familien. Während Werner Ruzicka die Reihe der historischen Bilder in Zusammenhang mit DDR- Geschichte und persönlichen Fotos der Familie Storck fast auf eine Historisierung der eigenen Geschichte innerhalb der Geschichte des christlichen Widerstands schließen lassen, finden sich bei Familie Gollin ausschließlich Familienfotos. Das Kreuzigungsbild in der Sakristei fiel besonders ins Auge, da es symbolisch für Verrat, Leid und Tod steht, der weit über die christliche Symbolik hinausreicht. – Auch bei Utz Rachowski kommen Bilder vor, jenes das er ohne Rahmen an die Wand hämmert oder jenes, das seine Tochter mit Glasreiniger bearbeitet – sie werden jedoch in der Diskussion nicht thematisiert.

Es ist ein Film, der die Berührungsängste und Auslassungen im Umgang mit einer traumatischen Vergangenheit beleuchtet – dabei bleibt nicht aus, dass auch die Täterseite thematisiert wird, doch auf ein Echo von jenen, die die Vergangenheit im Heute weiter tragen, z.B. die PDS, warten die Autoren bis heute.