Film

Jaba
von Andreas Bolm
DE 2006 | 37 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 30
07.11.2006

Diskussion
Podium: Andreas Bolm
Moderation: Werner Dütsch
Protokoll: Torsten Alisch

Synopse

Eine Familie in einem Dorf irgendwo in Ungarn. Ruhig fließt das Leben dahin, nur dass das Geld fehlt. Alle müssen sich durch den Tag schlagen, in der Zwischenzeit. Man schaut, was man tun kann, überschlägt die Ausgaben, hört ein bisschen Musik und raucht eine. Wenn es ganz eng wird, kann einer ja wieder Chinchillas häuten gehen.

Protokoll

Ein Film aus lauter kleinen Sackgassen, mit kleinen Anfängen und kleinen Enden, so eröffnet Werner Dütsch das Gespräch: Wir sinken in eine andere Zeit, in der kein eigentlicher Mangel herrscht, jedenfalls kein Mangel, der durch die „Europäische Union“ abzustellen wäre. Ein schlapper Existenzialismus im osteuropäischen Sackgassendorf Jaba.

Die Zeit tickt langsamer in diesem Film. Langsam, aber extrem spannend. Der Film quält uns nicht mit der physischen Erfahrung der Langsamkeit: „Hier passiert jede Menge, auch wenn eigentlich nichts passiert – wenn sich ein Tag ereignet.“ Virilio wird in den Raum geworfen, der festgestellt hat, dass eine Wanderung durch den Schwarzwald sinnlicher sei als das Zurücklegen einer weiten Strecke mit dem Flugzeug.

Die Kamera ist kein heimlicher Beobachter sondern sehr präsent in diesem Film. Die Protagonisten sind zur Selbstdarstellung aufgefordert: es gelingt dem Film in einer einzigen Einstellung alle körperlichen Laster (Muskelsport, Rauchen und Biertrinken) einzufangen. Porträt-Bilder und die klassische Porträt-Fotografie werden reminisziert: Das Wesentliche spiegelt sich in Gesicht, Haltung und Gesten der Protagonisten; Abwarten; das Beobachten von geringsten Veränderungen. Sexuelle Wünsche schlagen um in einen Schlager („weiterreden, indem man davon singt“.)

Die Tonmontage öffnet Räume, die im Bild fehlen.

Andreas Bolm hat sich bewusst für das Drehen mit Stativ und Filmmaterial entschieden; bei der Recherche hatte er eine Mini-DV-Kamera dabei, die aber von den Leuten nicht ernstgenommen wurde: „Lady Cam“ nannten sie das kleine Ding, mit so was könne doch niemand „richtig arbeiten“. Arbeit. Anfangen ein Auto zu reparieren, und nach der Arbeit unter dem Auto einschlafen. Filmische Arbeit. Maschinen. Eine richtige Film-„Maschine“ wollte Andreas Bolm seinen Protagonisten bieten: große Kamera mit Stativ, Lichtaufbau und guter Ton. Und die Zutaten eines Spielfilms: Bezahlte Protagonisten, gut gesetzte Pointen und Pausen. Manche sehen hier eine Art von Neo-Realismus und finden Anklänge ans iranische Kino, wo mit Amateuren als Schauspielern ähnlich gearbeitet wird. Jaba ist dem Spielfilm näher als einem existenzialistischen Dokumentarfilm.

Andreas Bolm kannte den Ort schon seit langer Zeit, seine Mutter kommt aus Ungarn und hatte in dieser Gegend gelebt. Für den Film hat er ein halbes Jahr recherchiert und knapp vier Wochen gedreht. Erlebte Szenen wurden gescriptet und während des Drehens wieder zum Leben erweckt, Dialoge vor Ort entwickelt und geprobt, bis das Timing stimmte.

Der Film schielt nicht nach dem Fernsehen, an die „Verwertung“ wurde im Vorhinein nicht gedacht. Er ist im Hochschulrahmen auf 16mm entstanden, Förderung für eine 35mm-Kopie wurde möglich als der Film in Cannes platziert war.

Der verloren wirkende Einwurf von Dr. Huber (Tagesspiegel und Jury) – dieser Film sei „unzeigbar“, es fehlen die wichtigen „journalistischen 7 Ws“ (Wer, Wie, Wo, Wann, Warum, Weshalb, Wieso – oder so ähnlich) – führte zur Frage, welcher ideelle Zuschauer denn hier gemeint sein soll: Jemand, der nicht in Duisburg anwesend ist, der ungebildet und vereinsamt irgendwo draußen sitzt und sich sowieso nur privates Unterschichtenfernsehen reinzieht?