Extra

Dann klappts auch mit den Nachbarn

Duisburger Filmwoche 30
10.11.2006

Podium: Elisabeth Büttner (Filmwissenschaftlerin, Wien/Bochum), Vinzenz Hediger (Filmwissenschaftler, Zürich/Bochum), Alexander Horwath (Direktor des Österreichischen Filmmuseums, Wien)
Moderation: Bruno Fischli, Werner Ružička
Protokoll: ?

Protokoll

Oder: Ein medialer Ritt über den Bodensee

Drei Länder und nicht nur der gemeinsame Sender 3sat, sondern seit 15 Jahren auch mit der Duisburger Filmwoche ein Festival für deutschsprachigen Dokumentarfilm. Zeit für ein gemeinsames Nachdenken, für ein Resümee der Gemeinsamkeiten. Die Angst vor dem „imperialen Gestus des deutschen Diskurses“ (Werner Ruzicka) ist in der Diskussion nicht zu spüren. Drei Filme der diesjährigen Filmwoche werden als eine Grundlage verstanden: Jeder schweigt von etwas anderem (Marc Bauder und Dörte Franke, Deutschland), Sonnenhalb (Martina Fischbacher, Schweiz) und, obwohl aufgrund von Intervention von Herrn Gartner nicht auf der Duisburger Filmwoche gezeigt, Keine Insel (Alexander Binder/Michael Gartner, Österreich).

Werner Ruzicka spricht einleitend von einer Osmose der Diskurse, die in den letzten Jahren zwischen Deutschland, der Schweiz und Österreich stattgefunden habe. Ein Angleichen, ein Lernen und ein gegenseitiges Zuhören.

Verorten

Bruno Fischli stellt fest, dass es bei einem Vergleich der Filmkulturen um Ähnlichkeiten, aber auch um die Differenzen geht. Er verweist auf Adorno. Nicht die Differenzen alleine dürfen als Unterscheidungskategorie zwischen den drei (teilweise) deutschsprachigen Ländern angeführt werden, sondern vielmehr ihre Fetischisierung. Dieser Fetischismus der Differenzen, so Fischli, zeige sich in Bildern und kulturellen Bezügen. Doch wie werden sie zum Ausdruck gebracht? Sind es im schweizer Film die wunderschönen Landschaften? In Österreich der ständige Bezug auf „die alte Schlampe an der Donau“ (Helmut Qualtinger über Wien)? Sind es in Deutschland die Industrielandschaften, die Barockkirchen oder die Geschichte (Elisabeth Büttner spricht im späteren Verlauf von einem deutschen „heart of darkness“)? Differenzen werden nicht geleugnet, sondern nach Fischli in einer geradezu hypostasierten Form bestätigt.

Und dennoch: Mit einem Blick von außen (Fischli war acht Jahre Leiter des Goethe-Instituts in Sao Paulo) stellt er fest: Die Unterschiede werden nicht in einer differierenden Bildsprache deutlich. Dargestellte Themen unterschieden sich, aber nicht die Art ihrer Darstellung.

Vinzenz Hediger hakt bei Adorno ein und fragt: Wer macht sich des Fetischismus schuldig, die Deutschen oder die Schweizer? Er befindet die Aussage Adornos als „politisch naiv“ und weist auf die unterschiedlichen politischen Traditionen der einzelnen Länder hin, die es zu beachten gelte. So rechtfertige sich der Schweizer Film durch einen politischen, didaktischen und industriellen Nebennutzen. Ein Bergfilm etwa verkörpere weniger einen Begriff von „Heimat“, als ein republikanisches Ideal. Das Leben in kleinen Gemeinden, die im rousseauschen Sinne strukturiert seien.

Eine weitere Besonderheit sei etwa der „Verfahrensfilm“, der „im Land Pestalozzis“ regelmäßig viele Zuschauer in den Kinos findet (z.B. Le génie helvétique. Mais im Bundeshuus von Jean-Stéphane Bron).

Landschaft, so Elisabeth Büttner, transportiere in Österreich weniger den republikanischen Geist, sondern sei immer „das Geglättete“. Österreich und Deutschland haben eine andere historische Erfahrung mit dem „Vermögen des Kinos“ gemacht. Sie benennt z.B. die politische Instrumentalisierung. Auf der formalen Bildebene stellt sie fest, dass in Österreich weniger die „Angst vor dem zu perfekten Bild“ herrsche.

Alexander Horwath spricht von dem neuen österreichischen Film, der sich Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre konstituierte. Als Ausgang nennt er Michael Pilz Film Himmel und Erde, den er als zentralen Film neuer filmpolitischer Diskussionen in Österreich bezeichnet. Für die damals beginnende Debatte über österreichische Filmförderung sei der Blick nach außen entscheidend gewesen. Horwath spricht von einem „Nachholmoment“.

Die Entscheidung der Duisburger Filmwoche ein deutschsprachiges Festival zu werden, ist für Horwath der zweite wichtige Moment in der Entwicklung des österreichischen (Dokumentar)films gewesen. Ebenso wie Vinzenz Hediger empfindet er die plötzliche Einbeziehung der Filme in einen vormals fast rein deutschen Diskurs geradezu als einen Bruch. Verschieben sich in der Schweiz die Diskussionsorte (Vinzenz Hediger stellt fest, dass parallel zur Entstehung einer deutschsprachigen Duisburger Filmwoche die Diskussionen auf den Solothurner Filmtagen abschwächten), mussten sich auch die Österreicher den neuen Diskussionen öffnen. Horwath spricht von einer anfänglichen Schüchternheit, die sich nicht nur in Duisburg zeigte sondern auch im Forum der Berlinale. Der österreichische Film habe Anfang der 1990er Jahre eine neue Qualität bekommen. Er benennt als ein Beispiel dieser „Anreicherung“ Egon Humers Film über Neonazis.

Abgrenzen

Eine Intervention aus dem Publikum. Thomas Rothschild wirft ein, dass die nationalen Filmkulturen so unterschiedlich seien, dass die aufgezeigten Unterschiede nicht anders als zufällig gewählt sein könnten. „Die Deutschen“ gibt es nicht, den „deutschen Filmemacher“ auch nicht. Ein Harun Farocki hat wenig mit einem Hans-Dieter Grabe gemeinsam. Ulrich Seidl hat mehr mit Thomas Bernhard gemeinsam als mit „dem“ österreichischen Film. Die Nationalgrenze ist kein geeignetes Differenzierungswerkzeug. Rothschild spricht eher von allgemeinen Unterschieden und Veränderungen, Filmemacher sind verschieden und das hat nicht unbedingt etwas mit ihrer Nationalität zu tun sondern eher mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen.

Sprechen

Max Frisch, der in einem seiner letzten Interviews mit dem Schweizer Fernsehen auf Schweizerdeutsch zu sprechen beginnt und nach zwei Minuten ins Hochdeutsche wechselt, weil er feststellt, dass er eh jedes dritte Wort in dieser „Fremdsprache“ verwendet. Dürrenmatt, der sich nur auf Schweizerdeutsch interviewen lässt und Hedigers deutsche Gesprächspartner, die Andorra nicht für das Werk eines Schweizers halten möchten. Sprache, Dialekt, der „eigene Jargon“. In Diskussionen ein Grund für anfängliche Schüchternheit (Horwath). Der Vorwurf, durch das schnelle Sprechen induziere sich ein bestimmter Duktus des Hochdeutschen („hier sitzt das Wissen, guckt mal, dass ihr auf diese Ebene kommt“). Dem österreichischen „bumsti“ steht das deutsche „hab acht“ gegenüber. Alexander Horwath beschreibt die Besonderheit des Österreichischen mit einer Szene, die einen rechten Politiker aus Kärnten zeigt, der in einer Fernsehdiskussion wirkungsvoll anhand einer Tafel seine Aussagen versucht zusammenzufassen. Ein Bild statt vieler Worte.

In der Schweiz kommt es durch den zweiten Weltkrieg zu einer Renaissance der eigenen Sprache. Abgrenzung durch Sprechen.

Sprache, die aber auch schwer in einen internationalen deutschsprachigen Filmmarkt einzugliedern ist. Eine Redakteurin von 3sat muss zugeben, dass es schwierig sei, schweizerdeutsche Filme im Programm zu integrieren. Die Untertitelung wird zum Hindernis für eine Fernsehverwertung.

Erinnern

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit findet in allen drei Ländern auch filmisch statt. Elisabeth Büttner gibt jedoch zu bedenken, dass hier von unterschiedlichen „Bildarsenalen“ ausgegangen werden muss. Das „nationale Gedächtnis“, das emotional behaftet ist. Vinzenz Hediger stellt fest, dass in schweizer Filmen filmische Bewältigungen von kollektiver Vergangenheit fast immer eine Szene die an einer Grenze spielt beinhalte. Vergangenes kommt von außen oder drängt von innen.

Nach außen, die Grenze überschreitend, hat sich auch lange der österreichische Film bewegt. Nach einem starken Fokus auf auswärtige Themen und Drehorte, der den Vorwurf des Exotismus schürte (Horwath), finden sich wieder Themen auf der lokalen Ebene.

(Neue) Filme

Alexander Horwath stellt eine allgemeine Entwicklung und Radikalisierung fest, die in zwei Richtungen führe: Einmal ein Wiedererstarken der „talking heads“, als Beispiel führt er Romuald Karmakars Hamburger Lektionen an. Die Kraft der Rede komme wieder zur Geltung. Für Horwath hat Christoph Hübners Thomas Harlan/Wandersplitter eine sechsstündige Version verdient. Dann das Gegenteil: Filme, die sich mit dem Bilddokumentarismus zusammenschließen, die nicht erklären, sondern sich positiv dem Rätsel zuwenden. Hier führt er als Beispiele Thomas Arslans Aus der Ferne und Thomas Heises Im Glück [ Neger] an. Die Sucht nach Informationen, so wird im späteren Verlauf festgestellt, sei allerdings etwas typisch Deutsches.

Alexander Horwath beschreibt das Modell der Referenzmittelförderung in Österreich als möglichen Einschnitt in der Filmlandschaft. Aktuelle Änderungen des Gesetzes erfordern auch von künstlerischen Filmen eine Zuschauerzahl, die in Österreich über 5000 liegen muss. Der ORF unterstützte nur eigene Filme und weise auch nur auf Selbstproduziertes hin.

Udo Bremer, Redakteur bei 3sat, spricht über die Schwierigkeiten, manche Filme zu platzieren, aber dennoch wolle 3sat „viele individuelle Stimmen produzieren“.

(Neue) Öffentlichkeiten

Abschließend bleibt die Frage, ob Kulturpessimismus herrschen müsste oder nicht. Neue Diskursöffentlichkeiten auch außerhalb der Duisburger Filmwoche werden genannt, Netzwerke und Freundschaften, die entstehen. Auseinandersetzung werde gewünscht, der Raum werde geboten. Bruno Fischli berichtet, dass die Goethe-Institute als Diskursraumkonstrukteure wieder mehr Unterstützung bekommen sollen, die Lehrenden auf dem Podium berichten auch von interessierten Studierenden.

Der Ritt über den Bodensee zu den Nachbarn, mit denen es klappen soll, geht weiter.