Film

Wilhelm der Schäfer
von Josie Rücker
DE 2004 | 26 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 28
09.11.2004

Diskussion
Podium: Josie Rücker
Moderation: Werner Dütsch
Protokoll: Diana Ebster

Synopse

Die traurige Geschichte von Wilhelm und seiner Schafherde. Nach der Wiedervereinigung wird von den ostdeutschen Schäfern großmütig der Schritt in die Selbständigkeit gefordert. Plötzlich die offizielle Mitteilung, die Schafe seien wirtschaftlich unrentabel. Wo das Naturschöne herrscht, brechen Lebenswelten zusammen.

Protokoll

Hat der Wilde Westen seine Marlboro Cowboys, dann hat der wilde Osten seine Schäfer. In Josie Rückers Off-Road-Movie wird „Wilhelm der Schäfer“ die Hauptfigur einer dokumentarfilmerischen Wild-Ost-Romantik; oder besser, er sollte es werden, denn er stirbt zwei Tage vor Drehbeginn. Wilhelm, der stille Held konnte nicht nein sagen, „bis sein Herz nein gesagt hat“, so der aus dem Off eingesprochene Kommentar der jungen Filmemacherin. Das erfährt man im Film ganz am Schluss – in der Diskussion steht es am Anfang.

Obwohl vielleicht nicht ganz am Anfang, denn Werner Dütschs Einstieg begann zunächst mit einer begeisterten und durchaus poetischen Nacherzählung des Films, deren Einstimmung aber schließlich doch noch in der Frage nach der Ausgangssituation mit dem toten Hauptprotagonisten mündete. Josie Rücker war gezwungen zum geplanten Beginn der Dreharbeiten plötzlich alles noch einmal neu zu erfinden. Damit, so Dütsch, gab es aber auch die Chance zu Beginn des Projekts dem eigentlich vorgesehenen Projekt zu entkommen. Denn, so stellte er die Vermutung auf, der Film wäre wohl eine sehr viel klassischere Dokumentation geworden, wäre Wilhelm nicht gestorben.

Man weiß es nicht… Anders als Peter Ott jedenfalls, der in seinem Film „Jona (Hamburg)“ selbstkritisch formuliert die Bedingung des Scheiterns durch das produktive Scheitern der eigenen Filmarbeit darstellen zu wollen, versteht Josie Rücker ihre Arbeit nun als ein „Ausfüllen der Leerstelle.“ Selbst nach dem Hinweis Ihrer Produzentin, dass man mit toten Hauptdarstellern nicht mehr dreht, wollte Rücker das Projekt nicht abbrechen. Und so ist für sie der Film zu einem Film über Erinnerung, auch die Rekonstruktion der eigenen Erinnerung und – damit verbunden – über Veränderung geworden.

Dieses Prinzip der Veränderung erfährt Werner Dütsch in den langen Einstellungen während der sich das Objekt verändert und die Kamera dem, wie er sagt, nachgeben muss – eine Konstruktion, die sich durch den ganzen Film zieht, mit Stichworten die Text und Bild liefern und auf die der Film sich einlässt. Dütsch beschreibt das an konkreten Rückgriffen auf den Film und lobt überschwänglich (beispielhaft für die Begeisterung vieler, die sich bei der Diskussion zu Wort meldeten) auch die

ineinander gesetzten Widersprüche, die Rücker herstellt – etwa die Fahrt über sonnige Alleen hin zu Ruinen, der Text über das Verschwinden der Schafe im Osten, während man auf eine grasende Herde blickt, oder die Fahrt vorbei an lichtem Waldrand, unterlegt mit einer sozialistischen Hymne auf Naturliebe und Heimat, die in einem dunklen Waldfriedhof am frischen Grab des Schäfers landet. Und am Ende, so Dütsch, schließt sich das in einem rotem Bild, das begriffliche Assoziationen von „Liebe“ bis „Revolution“ zulässt (!!).

Überhaupt wird viel gesprochen über Konstruktion und die Technik des Films, die der jungen Filmemacherin wichtig ist. Schon alleine, dass der kurzen Drehzeit eine verhältnismäßig lange und intensive Schnittphase von einem halben Jahr folgt, zeigt ihr hohes Interesse an der Ästhetik ihres Materials. Mit dem Bewusstsein hatte sie sich auch klar gegen Video und für 35mm Film entschieden: „die Konzentration ist eine ganz andere, wenn ich das Material höre und weiß ich habe nur 5 Bänder.“

Mehr auch als bei anderen Diskussionen kamen Fragen zu den Vorbildern für die eigene Arbeit: Werner Ruzicka erwähnt Azved Pelesjan – nicht nur weil der auch einen Film über Schafe gedreht hatte, sondern, weil er wie Rücker in einem guten Sinne mit Pathos arbeite. Rücker selbst nennt Robert Flaherty und Frederick Wiseman „Leute, die beobachten können“. Und dazu zitiert Rücker Flaubert: „»Es ist alles interessant, man muss es nur lange genug beobachten.« Und das beginnt mit der ersten Einstellung…“

Die Rolle des Texts im Film betonen Dütsch wie Ruzicka, der präziser nach der Entstehung der Kommentare fragt. Rücker hat sie selbst gesprochen. Durch die intensive Arbeit am Schnitt war sie so „drin“, dass sie die Texte ohne sie vorzuformulieren „ins Weiß hinein sprechen konnte“ und dann fast ausschließlich auch die jeweils ersten Takes verwendet hat. Das, auch obwohl ihr von Produktionsseite geraten wurde, die Stellen von einem professionellen Sprecher übernehmen zu lassen. Darin wird die u.a. als „Frische“ bezeichnete Haltung, mit der Rücker an ihre Arbeit geht, einmal mehr deutlich.

Viel Lob also insgesamt, wie von einer Zuschauerin, die den Film als eine Mischung aus Melancholie und Nüchternheit beschrieb und von dessen Beobachtung angetan war, aus deren Prozess „Neues entsteht“. Die, die darin keinen positiven Reiz erkennen wollten, verstanden es als naive und verdeckte Ost-Romantik (heftigere Kritik ließ sich erst außerhalb des Diskussionssaals hören). Eine Kritik an der politischen Situation zwischen Ost und West oder Geschichtsbeschönigung, die das Publikum bei Rücker vorsichtig anfragte, sehen Werner Ruzicka und Werner Dütsch in ihrem Film aber nicht. „Vergangenheit“, so Dütsch, „wird hier nicht verklärt.“ Dem steht auch Rückers Interesse entgegen „die Dinge im Film gegeneinander gehen zu lassen.“ Mutig scheint auch ihr Versuch, an die anderen anwesenden Filmemacher die direkte Frage zu stellen, ob die Konstruktion ihres Films, die während der langen Schnittzeit schließlich entstand, als richtige Entscheidung gesehen wird. Für Ruzicka war es tatsächlich die Frage wie sie nach diesem Film weiter mit ihrem „Material“ neu und in einer anderen Weise umgehen könne…