Film

Kanalschwimmer
von Jörg Adolph
DE 2004 | 92 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 28
09.11.2004

Diskussion
Podium: Jörg Adolph
Moderation: Vrääth Öhner
Protokoll: Natalie Lettenewitsch

Synopse

Wundersame Leidenschaften treiben manchen Geist. Für welchen Moment schwimmt „Mann“ durch den meist befahrenen Kanal Europas — 33 Kilometer bei 16 Grad? Allein der Anblick schmerzt, trotz intensiver Vorbereitungen bleibt jeder Versuch eine quälende Grenzerfahrung. Die Passion überträgt sich dennoch, auf wundersame Weise.  

Protokoll

Wenn man einen Film über das Schwimmen machen möchte, welche dramaturgischen Vorteile bringt dabei gerade der Kanal? So Vrääth Öners Einstiegsfrage. Jörg Adolph antwortet zunächst noch eher vage, indem er vom „Mythos“ des Ärmelkanals spricht, von den zahlreichen Versuchen, ihn schwimmend zu überqueren, wie auch den zahlreichen Schwimmern, die bei diesem Versuch scheitern. Konkret allerdings habe der Kanal die dramaturgische Möglichkeit geboten, zwei verschiedene „Schwimmtypen“ zu zeigen, den Leistungssportler und den „Schwimmromantiker“, die zugleich auch zwei sehr unterschiedliche zeitliche Dimensionen der Überquerung vermitteln. Dann das Umfeld des Kanalschwimmens, die erstaunliche Logistik (Begleitboote usw.): Bei der Recherche stellte sich schnell das Gefühl ein, daraus sei ein spannender Film zu machen.

Ist Kanalschwimmer ein Sportfilm? Oder will er Bilder des Sportfilms relativieren? Jörg Adolph stellt fest, Klischees seien zwar durchaus vorhanden, vor allem auf der Seite von Christof Wandratsch und seinem Trainer, der ihn sozusagen über den Kanal brüllt (und ausgerechnet Stefan Hetzer heißt). Dennoch sei Wandratsch kein typischer Leistungssportler. Dieser Sport hat keine Fernsehpräsenz und auch sonst kaum Publicity. Entsprechenden Vorbehalten gegen das Projekt ist Adolph denn auch begegnet: Langstreckenschwimmen müsse hochgradig langweilig und könne weder fernseh- noch filmtauglich sein.

Als ein Unterscheidungsmerkmal zum Sportfernsehen sieht er, dass für ihn das Endergebnis nicht relevant sei. Scheinbar aber doch, nur eben andersrum: Über das jeweilige Scheitern seiner beiden Schwimmtypen war er „froh“. Nicht zuletzt ermöglicht dieses Scheitern die melancholische Schlussszene, in der die zwei zusammen auf einer Felsbank sitzen und über den Kanal in die Ferne schauen. Im übrigen sei Langstreckenschwimmen ein anachronistischer Sport, da er temperaturbedingt eine Menge Unterhautfettgewebe erfordere, das sich schlanke, durchtrainierte Athleten erst aneignen müssen…

Der Neuigkeitswert des Films ist offenbar groß – die ersten Zuschauerfragen fordern Sachinformationen ein: Wie viele Minuten ist Wandratsch unter dem Rekord geblieben? Wie niedrig ist die Temperatur im Kanal? Gibt es auch erfolgreiche Kanalschwimmerinnen? Letzteres bejaht Adolph, die Frauen seien sogar die erfolgreicheren bzw. von ihnen kämen die meisten Versuche. Warum sie trotzdem nicht repräsentiert seien? Er habe eben nicht alles zeigen können – das Material von Schwimmerinnen sei unspektakulärer gewesen bzw. die Zusammenarbeit mit einer bestimmten Schwimmerin sei nicht zustande gekommen.

Aus dem Publikum wird später indirekt noch einmal auf die Geschlechterfrage abgezielt: Es gehe hier doch um Männer, deren Motivation Romantik sei, dann aber in nackten Ehrgeiz ausarte, ein „typisches Männerproblem“ (?). Jörg Adolph verwahrt sich: Der Bruch mit der reinen Romantik sei im Film doch offensichtlich, auch wenn er einen Rest davon bewahrt habe.

Worin lag Adolphs eigenes Interesse bzw. Motivation – ob er selbst schwimme? Die Vermutung trifft zu: Er habe mit dem (Kraul-)schwimmen angefangen und den Reiz daran entdeckt, habe das Motiv des Schwimmens weiterspinnen und einen „Abenteuerfilm“ daraus machen wollen. Grundsätzlich existiere im Sportfilm ein dankbares dramaturgisches Muster: „Jemand will von A nach B“.

Die Montage allerdings war in diesem Fall sehr kompliziert und Jörg Adolphs wohl vertraute Cutterin Anja Pohl hatte ihre Mühen – wie erzählt man eine solch ungeheure Dauer? Vrääth Öner parallelisiert die Montage des Films mit der Musik von „The Notwist“. Erst gerate man in einen Flow, dann passiere wieder etwas Überraschendes. Meditatives Abtauchen gegen Sturz in kaltes Wasser.

Weitere Nachfragen betreffen Inszenierungsstrategien. Direkte Interview- Situationen gebe es ja nicht – aber ob die Gespräche zwischen den Protagonisten „auch ohne Kamera so stattgefunden hätten“ oder doch eher gestellt seien? Nein, seien sie nicht, entgegnet Adolph entschieden. Der Film sei eine Verdichtung aus 120 Stunden Material, da passe dann manches so gut, dass zu Unrecht der Verdacht von Inszenierung aufkomme. Auch das ausführliche Nachvollziehen der Kanalüberquerung von Brian Finley auf der Karte wäre in jedem Fall so erfolgt, da es im Anschluss natürlich immer Nachbesprechungen mit den Schwimmern gebe. So bot sich auch für den Film eine willkommene Möglichkeit der Veranschaulichung und Orientierung – die Erläuterungen mit der Karte wurden bei der Überquerung von Brian Finley zwischen geschnitten (bei der Überquerung von Christof Wandratsch ist diese Strategie dann nicht mehr nötig).

Den historischen Exkurs empfindet eine Zuschauerin als aufgesetzt; Adolph verteidigt ihn als angemessene Hommage an Kapitän Webb (erster „Bezwinger“ des Ärmelkanals 1875). Auch nach der Notwendigkeit bzw. Funktion des Prologs mit dem dritten, hoffnungslos scheiternden Schwimmer wird gefragt. Adolph hat diese Aufnahmen an den Anfang gesetzt, um die Widrigkeiten und potentiellen Probleme während der Überquerung vorweg aufzuzeigen. Dieser Schwimmer sei tatsächlich eine etwas tragische Figur und bis heute der Meinung, dass er es geschafft hätte, hätte man ihn nicht so früh aus dem Wasser geholt.

Weitere formale Anmerkungen: Ein Zuschauer bekundet, die physische Anstrengung körperlich mitempfunden zu haben (so ging das offenbar mehreren) und führt diese Wirkung auf die Tonspur zurück: das Wellenklatschen und den Lärm der Dieselmotoren. Adolph berichtet von der Tonmischung wie auch von der Farbmischung, die individuell auf die drei Schwimmer hin abgestimmt worden sei.

Ruzicka erkundigt sich genauer nach der Musik bzw. der Zusammenarbeit mit „The Notwist“. Adolph hatte schon während der Arbeit an seinem Notwist-Film On/Off The Record (Duisburger Filmwoche 2002) mit der Band über das Projekt gesprochen, es gab also einen längeren Vorlauf. Die Musik habe sich organisch entwickelt; beim Schnitt schließlich habe sie in einzelnen Spuren vorgelegen und sei von zwanzig auf zwei bis vier Spuren hin ausgedünnt worden.

Am Ende möchte Vrääth Öner noch einmal etwas über Jörg Adolphs grundsätzliche Überlegungen und Ziele bei der Produktion eines Abend füllenden Dokumentarfilms wissen. Adolph erwähnt die gute Zusammenarbeit mit Christian Cloos vom Kleinen Fernsehspiel und liefert dem Festival anschließend als Schlusswort ein zweifelhaftes, aber charmant vorgetragenes Kompliment: Er habe einen spannenden Film machen, damit aber trotzdem zur Duisburger Filmwoche eingeladen werden wollen.