Film

In Wirklichkeit ist alles anders
von Joerg Burger
AT 2004 | 51 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 28
10.11.2004

Diskussion
Podium: Joerg Burger
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Diana Ebster

Synopse

Kunst ist Arbeit in der Fläche im Raum in der Zeit – schwer darüber zu reden, noch schwerer, darüber Filme zu machen. Wilhelm Gaube hat dies über Jahre getan: es sind außerordentliche Portraits österreichischer Künstler geworden. Burger setzt diese Arbeit fort, sieht ihnen zu, zeigt sie Reden und Arbeiten. Und zeigt eine andere Wirklichkeit.

Protokoll

Es geht also auch anders: man kann Filme machen ohne am tatsächlichen Endprodukt interessiert zu sein. Filmarbeit um der Arbeit selbst willen, für die performativen und sozialen Aspekte, die sich daraus ergeben. Als Vorwand benützt Wilhelm Gaube, um dessen mehr als 30 Jahre umfassende Filmarbeit es in diesem Film von Joerg Burger geht, das Argument des Archivs. Und damit kommt er weg vom Endprodukt Film und der Idee der Rezipierbarkeit hin zum Filmen als ästhetischen Akt und der Lebenspraxis des Filmemachens selbst als seinem eigentlichem Zweck.

Filmemachen als „Lebenskunstwerk“, wie es mit Paulo Bianci vielleicht zu nennen wäre. Burger nennt es im Katalogtext „Filmemachen als künstlerischer Prozess und vitale Welterfahrung zugleich.“

Paradoxerweise, obwohl sich Burger, wie er sagt, für Gaubes Arbeit interessiert, hebt er genau dessen mit Lust exerziertes und am Publikum völlig desinteressiertes Filmemachen als Lebenspraxis in seinem Dokumentarfilm auf. Bei Burger sieht man nun beides: Gaubes Material aus den 60er und 70er Jahren und Burgers neue Bilder von den selben Künstlern.

Werner Ruzickas Einstiegsfrage in die Diskussion, ob Burger in seiner doppelten Spurensuche die alten Mythen nicht festige, macht deutlich, dass keine grundsätzlich harten Schnitte zwischen beiden Ebenen entstehen. Burgers Bilder lassen sich vielleicht sogar als Fortsetzung an Gaubes Arbeit anschließen. Nur nüchterner ist man geworden, es gibt nicht mehr die große „Hetz“ dabei, es endet nicht mehr in dem „Mulatschak“ (?)*, um den es Gaube doch eigentlich ging.

Burger erklärt sein Anliegen darin, dass er sehen wollte, wie Gaube seine Filme macht. Ein Aspekt davon ist, dass Gaube auf keinen Fall vor der Kamera auftauchen will, weder in seinen eigenen Filmen, noch in Burgers Projekt über ihn. Damit entstand auch die Idee, die Künstler mit dem Filmemacher erneut zu besuchen und Gaubs fehlendes Bild aufzufüllen.

„Und schließlich“, so Werner Ruzicka, „fließt alles ineinander, so dass man gar nicht mehr scharf trennen kann zwischen unterschiedlichem Material und Zeit. Burger stimmt dem zu, denn er habe irgendwann tatsächlich angefangen sein Material komplett zu zerlegen.

Dass beide Ebenen sich von vorneherein nahe waren, lag vielleicht auch daran, dass Burger selbst in einigen späteren Gaube-Filmen seine ersten Erfahrungen als Kameramann gemacht hatte und er die meisten der Künstler ebenso persönlich aus seinem Umfeld kannte.

So können sich in Burgers neuen Aufnahmen die alten, als chauvinistisch empfundenen Inszenierungen des Künstlerfreundeskreises um Gaube fortsetzen, die von einigen im Publikum kritisiert wurden: dass die Szene nur eine begrenzte Auswahl zeige und nicht repräsentativ sei (Jan Verwoert), dass es ein Film über Männerfreundschaften und Machoklischees ist (Publikum), dass eine Reflexion in Bezug auf das Material, das man übernimmt, fehle, dass der gesamte Wiener Aktionismus nicht vorkomme (Brigitte Werneburg), dass man erwartet hätte die Auswahl zu politisieren und mit der jungen internationalen Kunstszene von Rockenschaub bis Heimo Zobernig zu konfrontieren (noch einmal Jan Verwoert).

Gaube/Burgers Sittengeschichte über die Wiener Künstlerszene der 60er und 70er Jahre aber ist darin letztlich nicht weniger selektiv als der aktuelle Blick der Springerin, nur dass die vermeintlich nicht primär nach Maßstäben der trinkfreudigen Sympathie auswählt. Man hörte aber auch aus dem Publikum, dass es dem Film gelinge, die eher soziale und kommunikative Struktur von Gaubes Arbeit, die auch der Struktur der damaligen Szene entspricht, zu zeigen.

Vrääth Öhner bringt dann die Diskussion auf ein entscheidendes Motiv – das des Archivs – zurück, in das sich Burger einzuschreiben versucht. Das „a priori“ des Archivs, so Öhner, für Gaubes Handeln und dessen subjektives und offenes Verständnis vom Begriff des Archivs sei doch bemerkenswert.

Das erstaunliche an Gaubes Künstler-Portraits – Burger nennt sie auch „Menschenbilder“ – ist, dass sie nur zum Zweck der Dokumentation und Archivierung entstanden. Wobei das Archiv, so Burger, für Gaube im Grunde ein Selbstschutzargument war: „Diese Künstlerportraits waren eine eigenartige Manie, der er sein ganzes Leben widmete.“

Gaube war unbeirrbar darin, seine Filme nicht zu zeigen. Ein Archiv also, das als Einbahnsystem gedacht war. Seine konsequente Konservierung des Filmmaterials, das damit auch kein Verfallsdatum gehabt hätte, hebt Burger auf.

Nun lassen sich zwar Abdrücke der Situationen sehen, für die Gaube seine Kamera gebrauchte, ihr eigentliches „Motiv“ für das sich Burger interessiert, kann aber auch in der Belichtung nicht sichtbar werden…

Staying at home,

Plugging it in,

Kissing the screen

and beeing a God

Staying at home,

Plugging it in,

Fucking the screen

and beeing a God

(Refrain aus Dave Stewart “Kinky Sweetheart”/Greetings from the Gutter)

Nicht nur das Kunstschaffen selbst, das Stewart preist, auch sein ganzes Drumherum kann eine durchaus lustvolle Situation sein. Gaube hat in seiner Filmarbeit davon Geschmack bekommen, Burger bei der seinen womöglich auch.

* Mulatschak = öster. für ein ausgiebiges Weingelage