Film

Der Schuh Gottes
von Renata Borowczak
DE 2004 | 20 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 28
08.11.2004

Diskussion
Podium: Renata Borowczak
Moderation: Vrääth Öhner
Protokoll: Diana Ebster

Synopse

Eine armselige Hütte im polnischen Wloclawek, hier leben zwölf Hunde und Stanislaw Zagajewski in sonderbarer Koexistenz. Obwohl über die Landesgrenzen hinaus für seine Arbeiten bekannt, scheint der schnöde Mammon für Zagajewski von minderer Bedeutung zu sein: Seine Realität sieht ganz anders aus.  

Protokoll

„Der Schuh Gottes“ ist ein polnisches Sprichwort. Was genau es meint, bleibt dank seiner in der polnischen Volkskultur verwurzelten Philosophie wohl ein wenig unübersetzbar. So viel jedoch wird klar: Jeder kennt den Begriff von der „Hand Gottes“. Wenn Gott aber nun Hände hat, hat er auch Füße und also muss er auch Schuhe haben. In denen steckt Göttliches und tritt doch unweigerlich auch in den Dreck.

So wird der Schuh Gottes zur Metapher für die Hauptfigur des Films, den Künstler Stanislaw Zagajewski, der in einem unglaublichen Dreck lebt und zugleich ein „göttliches“ Werk geschaffen hat – und unentwegt spricht er davon, dass ihm die neuen Schuhe nicht passen.

Schon am ersten Abend der Filmwoche konnte man zwei Beispiele von Dokumentationen sehen, die unterschiedlicher nicht an ihr Material hätten kommen können: Während Bettina Braun in „Was lebst Du?“ vier muslimische Jugendliche fast zwei Jahre lang immer wieder mit der Kamera besuchte, blieben Renata Borowczak genau sechs Stunden Zeit, um an das Bildmaterial zu kommen, aus dem sie ihr kurzes eindruckvolles Künstlerportrait in „Der Schuh Gottes“ baut. Ein „sehr eigenartiges Künstlerportrait“, wie Vrääth Öhner denn auch seine Diskussion beginnt, „wenn der Film wie eine Sozialreportage einsteigt und schließlich im Museum landet.“

Die Entscheidungen zur Struktur des Films, seiner Chronologie und Dramaturgie, ergaben sich für Renata Borowczak einerseits aus dem eigenen plötzlichen Hineingeraten in die Szenerie und deren Entwicklung. Zum anderen entspricht dies dem Blick, mit dem man ihrer Figur, dem Künstler Stanislaw Zagajewski, als Unbeteiligter begegnen würde und ihn zunächst kaum anders als einen verwahrlosten, mittellosen, alten, verwirrten Mann aburteilt. Das erstaunliche Andere entdeckt sich erst langsam aus seinem Chaos.

Der Film, erfährt man, entstand im Zusammenhang eines Seminars an der Filmhochschule und unter widrigen Bedingungen: Stanislaw Zagajewski, der anfänglich nicht gefilmt werden wollte, ließ schließlich die Kamera und die Fragen in seinem Privatraum doch zu, weil ihm die junge Filmemacherin sympathisch war. Es blieb ein knapper Zeitrahmen, den er sich abstreiten ließ. Borowczak hatte nur eine kleine Kamera dabei, und es gab wenig Licht in der dunklen Wohn- und Arbeitshöhle des Künstlers. Diese unglaubliche Bedingung des kurzen Zeitraums der Aufnahmen für den Film sprach auch Margarete Fuchs in der Diskussion noch einmal an.

Mit Intensität stürzt sich die Kamera auf die Bilder, die der Raum hergibt, und gibt darin auch die Diskrepanz wieder, die der Ort zeigt. In einem unbeschreiblichen Durcheinander aus dreckigen Decken, Esstöpfen, angeketteten Radios (Öhner hatte zur Rolle des Motivs des Klauens nachgefragt) und einer Horde von Hunden, die sich darin tummeln, taucht plötzlich eine erste Skulptur aus Ton auf. Obwohl die Situation unzumutbar war, – „es war gut“, so Borowczak, „dass es im Winter durch die Kälte nicht so stark gerochen hat“ – wollte sie doch „nicht wieder weg“. In der ebenso verwirrenden wie faszinierenden Situation stieg unerwartet das Bild eines Bildhauers auf, bis hin zur Fahrt ins Museum, in dem Zagajewskis Werke strahlend präsentiert sind, eine Kuratorin seinen Katalog zeigt und von Ausstellungen in London und Paris spricht. Eine Ausstellung, die es dem Zuschauer kaum mit den Bildern des alten Mannes als deren Schöpfer in Verbindung zu bringen gelingt.

Borowczak gesteht, selbst verwirrt gewesen zu sein über die gesamte Situation und darin unerwartet an einen offenbar bedeutenden Künstler und dessen Werk zu geraten.

Ihr Respekt für sein künstlerisches Werk und sein klares Denken sei so groß, dass sie sich gar nicht für würdig halten würde eines seiner Werke zu besitzen. Zagajewski hatte ihr keine seiner Arbeiten verkaufen wollen, wie er die Deutsche Botschaft abgewiesen hat, die vergeblich einen seiner großen Altäre anfragte… Aber das sind die Geschichten im Hintergrund, gegen die sich Borowczak in ihrem Film entschieden hat. Die beiden möglichen Ebenen, so die Filmemacherin, aus denen sich die Story hatte bauen lassen, waren einerseits der Ort und die Situation, andererseits die Erzählungen des alten Mannes. Die fand sie ebenso faszinierend, aber in ihnen war nicht zu unterscheiden zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Und so kam der klare Entschluss beim Schnitt, sich auf den Ort und die „Arbeit“ zu konzentrieren.

Wohl auch, weil sich Renata Borowczak im Film dafür entschieden hatte, nichts mehr an privaten Zusammenhängen aufzuklären oder indirekt einzuspielen, kamen mehrere Fragen aus dem Publikum an die Filmemacherin zu den Lebensumständen und der Biografie ihrer unglaublichen Hauptfigur. Und immer noch stark beeindruckt von den unwirtlichen Lebensumständen Zagajewskis fragte sich Thorsten Alisch gar, ob sich nicht das Fernsehen für den Film interessieren müsste, da er das Dschungel-Camp und sein Motto „Holt mich hier raus, ich bin ein Star“ in Hochpotenz überträfe – kaum zu glauben also wo, Gott da mit seiner Eingebung hingetreten ist.