Protokoll
„Aber jetzt ist genug mit Andy Warhol. So viele Leute waren hier wegen ihm. Jetzt ist es genug mit diesen Leuten und genug mit ihm.“ Mit diesem Statement einer gewitzten alten Mikovanerin endet der Film des nicht weniger gewitzten Regisseurs Georg Misch über den slowakischen „Heimatort“ von Andy Warhol, und die Diskussion beginnt.
„I am from Nowhere“ nimmt sein Genre, den Dokumentarfilm, mit Humor und kontert auch sein eigenes Zuspätkommen mit smarter Ironie. Denn seit Mischs Film vor nahezu 10 Jahren als eine BBC Projekt angedacht wurde, ist eine stattliche Anzahl von „Mikova-Filmen“ entstanden. Stanislaw Muchas „Absolut Warhola“, der vor zwei Jahren ebenfalls in Duisburg auf dem Festival gezeigt wurde, ist ein weiteres Produkt der medialen Eroberung Mikovas.
Fred Trunigers Einstiegsfrage denn auch, wie man sich bei all der Konkurrenz als Team vor Ort gegeben habe. Vom Auftreten her scheint es, als sei der Film mit viel Geld und Rückhalt von Produzentenseite gemacht worden – eine geschickte Produktion über drei Länder und mit dem Erscheinungsbild der Filmcrew als BBC-Team. Tatsächlich waren stattdessen mehrere Jahre Geldbeschaffungsarbeit nötig, so Misch. Aber da die Slowakei bekanntlich kein teures Land sei und man mit Drehverhältnissen zwischen 7:1 bis 3:1 auskam, konnte man mit wenig Geld operieren. Das Markenzeichen BBC erwies sich dabei als hilfreich, „weil man das überall kennt. Jeder hat schon mal einen Tierfilm von BBC gesehen.“
Das Stichwort „Tierfilm“ griff der Moderator Fred Truninger denn auch gerne auf. Denn nicht nur, dass der Film selbst Aufnahmen aus historischen Tierfilmen einbaut, das Genre Tierfilm scheint auch geeignet, die Strategie zu bezeichnen, mit der sich der Film seinem Objekt, dem „Warhol- Land“ in tiefer slowakischer Provinz annähert: „Man hat den Eindruck, man landet wirklich wie auf einem fremden Planeten?“
Sicher, so Misch, kommt man in ein fremde Welt und schaut sie sich von außen an. Und die Tierfilmmetapher schien auch dem Cutter Michael Palm interessant. Nicht aber im Sinne, „wie man in den Zoo geht und sich Tiere ansieht“, sondern indem man zeigt, „dass man die Bewohner nicht einfach filmen kann, sondern ebenso sichtbar macht, dass man mitten drin steckt.“
Für Misch hat der Film aber dennoch etwas sehr allgemeingültiges, das man so auch an jedem anderen Ort drehen könnte. Als Beispiel nennt er den Fall eines Rheinländisches Dorfes, in dem zwei Kindern die Heilige Maria erscheint. Was damit ausgelöst wird ist vergleichbar…Statt der Heiligen Jungfrau muss dafür im Warhol-Dorf Mikova dann eben Andy Warhol herhalten. Und deshalb ist das eigentliche Thema des Films, das dessen tragischer Held Joe verkörpert, „der amerikanische Traum von einem besseren Leben“. Auch bei der Nachfrage aus dem Publikum, ob das von vorneherein die Grundidee des Films gewesen sei, bleibt Misch dabei. Für den Landstrich in der Ostslowakei sei bezeichnend, dass in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts viele der dortigen Bewohner nach Amerika ausgewandert seien. Konkretisiert hätte sich diese Idee, als die Figur Joe aufgetauchte, der gerade auf dem Weg nach Amerika war.
Für Maximilian Erbacher (seine „Große Ausfahrt“ war am Dienstag zu sehen) blieb fraglich, was man sich damit beweisen wolle, wenn man irgendwohin gehe, „wo alles schon abgefilmt“ sei. Dass Mikova aber bereits derart abgefilmt war, wurde dem Regisseur Misch erst nach dem Start des Projektes klar, und der anfängliche Frust darüber hat sich verkehrt in die glückliche Eingebung: „Genau das ist die Idee: Der Warhol’sche Gestus.“
Mit diesem Antrieb machte man sich an die Konstruktion des Films, die nicht unwesentlich dadurch beeinflusst war, dass es einerseits schon mehrere Filme zu genau dem gleichen Ort gab und dass andererseits die Menschen in dem kleinen Ort Mikova bereits geprägt waren von den Filmteams und ihrer Arbeit, von der eigenen Rolle als Dokumentarfilm-Helden und dem Bewusstsein, im Fernsehen zu existieren. Und damit auch Trunigers Frage zur Konstruktionsweise des Films, der sich ganz unterschiedlicher Film-Gattungen und deren Mittel und Darstellungsweisen bedient. Genannt werden neben dem Tierfilm auch der Experimentalfilm, der Spielfilm mit seinem gewohnten Spannungsbogen, die American-Dream-Story und der Dokumentarfilm als klassische Version wie als Homemovie.
Misch und Palm verstehen ihren Film ganz klar als Dokumentarfilm. Wichtig sind ihnen aber die „medialen Unterschiede“ ihrer Materialien und die Frage, wie man die drei Ebenen – von historischem Filmmaterial, eigenen Filmbildern und dem Home–Kino Josef Keselicas in ein Verhältnis zueinander bringe. Der Film, so Misch, ließe sich mit diesen drei unterschiedlichen Materialien auch nacheinander in drei ganz unterschiedlichen Versionen erzählen. Die in den Film integrierte Reflexionen des eigenen Filmemachens kommt hinzu, wenn Misch etwa zu Beginn von „I am from Nowhere“ akustisch einspielt, was sich seine Protagonisten von ihm wünschen, oder gegen Ende der Film selbst als Film im Film erscheint. Auf einem Bürgerfest zu Ehren des berühmten Mikovaners Andy Warhol laufen sechs dieser zum Ort und seinen Menschen entstandenen Produktionen. „Wir“, so Misch, „haben ja auch Selbstironie eingebaut, z.B. auf dem gezeigten Filmfest wo unser eigener Film verliert und der Film von Joe gewinnt.“
Im Vergleich gerade zu „Absolut Warhola“ sei dies, so ein Zuhörer, eine viel feinere, vielleicht englische Art des Humors, die Misch hier walten lässt.
Ein wichtiges Thema in „I am from Nowhere“ ist die Musik, die von mehreren Stimmen aus dem Publikum gelobt wurde. Durch intensive Recherchen ist der Film nicht nur mit amüsanten historischen Filmausschnitten ausstaffiert, sondern auch durch wunderbar schmalzigen Filmsound: „Billige B-Moviemusik aus Hollywood-Archiven“, so Misch, die ihm an einigen Stellen zum wahren Retter der Situation wurde. Und auch Michael Palm betont deren Wirkung als Stoff, mit dem sich Stimmungen entwickeln und Träume assoziieren lassen. Hilde Hain fand sie wunderbar gesetzt, um das Thema Traum zu transportieren. Für Vrääth Öhner lag im Musikeinsatz die Lösung für das Problem, dass das Dorf eigentlich abgefilmt ist. Eine Abgrenzung zu den „Vorbildern“ (eher wohl „Vorläufern“), sei „durch die glaubhafte, aber absolute Erhöhung gelungen, eben nicht dahinter schauen zu wollen.“ Als Beispiel erinnert er an die Szene, in der der am Dorf-Laden ankommende Coca-Cola-Laster das Pathos der bekannten Werbung noch bei weitem übersteigert.
Einige Wünsche blieben den Zuschauern aber dennoch offen. So hätte etwa Michael Girke von der Jungle World gerne mehr „Horrorfilm“ gehabt. Den Druck, den der Hauptdarsteller Joe bei der eigenen Home-Kino Produktion auf seinen Sohn ausübt, während er ihn vor laufender Kamera immer wieder Sätze in Englisch zu wiederholen zwingt, hätte Girke als terroristische Ebene im Film gerne ausgebaut gesehen. Das hätte seiner Meinung nach die Zuschauer stärker berühren können. Gemäßigter in Bezug auf das Phänomen Joe war diesbezüglich der Wunsch, dass andere gerne erfahren hätten, wieso genau er nun so schnell wieder aus den USA zurück gekehrt ist. Im ersten Fall wollte man kein falsches Bild von Joe zeichnen, der wirklich ein netter Kerl gewesen sei, für den zweiten Fall fehlte schlichtweg das Material.
Und für Brigitte Werneburg wurde doch in den gezeigten Sequenzen aus Joes amerikanischem Videotagebuch sehr schnell und wunderbar dessen Dilemma transportiert, von der slowakischen Provinz in die nicht weniger triste Provinz eines amerikanischen Feriencamps geraten zu sein und dabei alle seine Erwartungen enttäuscht zu sehen.
Die restlichen Dorfbewohner aber gehen mittlerweile mit Andy Warhols Pop Philosophie, „Famous for 15 minutes“ recht gelassen um, das zeigt „I am from Nowhere“ mit großer Lust. Mischs Film ist ein hoffnungsvoller Beweis für relative Medienresistenz.
Was Misch selbst noch sagen wollte, was den Leuten aus dem Dorf gut gefallen hat: Dass sie im Film nicht andauern saufen!