Film

Große Ausfahrt
von Maximilian Erbacher
DE 2003 | 60 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 27
04.11.2003

Diskussion
Podium: Maximilian Erbacher, Daniel Gräbner (Kamera, Schnitt)
Moderation: Mark Stöhr, Lars Klostermann
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Ein Jungs-Spielzeug in gigantischer Übergröße verändert eine Landschaft und ihre Bewohner: Ein Film über das Verschwinden von Arbeit, Kohle und möglicherweise Biografien.

Baggerfahrer Michael benennt akribisch jede seiner bisherigen Berufsbezeichnungen (aktuell ist er stolzer „Großgeräteführer“) und schwelgt ansonsten in pubertären Träumen von dicken Maschinen und ihrem verchromten Charme: Eine Harley als Lebenstraum, damit ein paar Jahre fahren und dann die Rente vor prall vollgeklebten Fotoalben absitzen.

Jemand sieht in der Kommunikationsverweigerung Michaels (der auf Betriebsversammlungen diverse Fachausdrücke nicht versteht und sich durch Nachfragen lächerlich machen würde) einen Beleg dafür, dass die gesellschaftliche Diskussion über die Zukunft der Arbeit diese Menschen gar nicht mehr erreicht. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Dass sowas wie Weiterbildung existiert, die nicht vom Arbeitsamt bezahlt wird, haben ihm seine stoischen Arbeitskollegen („Kamerad, noch eine gute Schicht!“) natürlich nie erzählt – geistige Faulheit, die dann mit 51-jähriger Frühverrentung belohnt wird …

Für den bastelfreudigen Ruhrgebietler Michael beginnt das „fremde Land“ schon hinter Köln. Flexibilität und Mobiliserung der Gesellschaft sind immerhin zwei Worte, die er versteht: Ein Arbeitsplatz in München wäre für ihn noch akzeptabel.

Passend zur geistigen Trägheit ihres Protagonisten haben die Filmemacher das „Letterbox“- Format gewählt, mit dem sich bestens flache Landschaften oder sehr breite Personen abbilden lassen. Das dann vor allem hohe Bagger und Porträtaufnahmen Normalgewichtiger zu sehen sind, stört ja nicht weiter.

Die mehr zufällig hineingeratene russische Immigrantin Lena („Wir haben sie durch den Hunger kennen gelernt“) rettet den Film und bringt das versammelte jungslastige Publikum in Wallung: Kaum angekommen im „fremden Land“ ist Lena bereit, sich von ihrem Mann zu trennen und eigene Wege zu gehen. Sie ist das irrisierende Sinnbild einer Nomadin auf Rädern, in einer Landschaft, die sich stetig ändert, und die solche Lebensformen erfordere.

Die einzig weibliche Stimme aus dem Publikum empfand die Person der Lena nur als schmückendes Beiwerk.

Viel ist von Erinnerung die Rede. Lena schwelgt in von ihr nicht beschreibbaren verklärten Szenen der russischen Seele: Seltsame Ess- &Trink-Rituale auf gedeckten Tischen und eine alles verschlingende „Unordnung“, die ihre Heimat ins Chaos stürzt. Erinnerung als geschützter Raum, der mit nostalgischen Blicken in Fotoalben beginnt und endet.

Die beliebige Montage (das Ingenieur-Interview vor grell-weisser Wand unterschnitten mit Stimmungsbildern einer Kaffeemaschine im abgedunkelten Raum) oder der „etwas zu notdürftige“ Kamerablick auf Lena wurden in der Diskussion beiläufig erwähnt.

Immer wieder insistierten die Filmemacher auf der thematischen Verschiebung, die sich während des Drehens ergeben habe: Weg von den Maschinen, hin zu den Personen. Ob diese Hinwendung zu den Menschen wirklich tiefgründig war, wurde dann beim anschließenden Bier geklärt.