Film

Good Morning Hanoi
von Julia Albrecht
DE 2003 | 30 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 27
07.11.2003

Diskussion
Podium: Julia Albrecht, Busso von Müller (Kamera)
Moderation: Eva Hohenberger
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Sprechen

Im Leben der jungen Vietnamesin Lê gibt es mehrere Sprachebenen: Im Umgang mit Oma und Tante regeln sich die alltäglichen Lebensnotwendigkeiten, in Gesprächen mit ihren Freundinnen kommt die Sehnsucht nach etwas „anderem“ zum Vorschein. Eine kraftvolle Sehnsucht. Noch nicht ausformuliert.

Die dritte Sprachebene hat dann alle überrascht: Im Bewerbungsgespräch bei „Tiger Beer“ scheint Lê vor Energie fast zu explodieren. Sie will ihre Träume verwirklichen. Und scheint sich fast in eine andere Person zu verwandeln.

Blicke

Beim Gang durch die hektische Großstadt kommt es zu kurzen heftigen Seitenblicken. In versteckt liegende Räume. Im Vorübergehen erhascht. Auch dort könnten Sehnsüchte lauern. Jedenfalls gibt es auch dort etwas dahinter.

Töne

Die städtische Dauerberieselung durch Straßenlautsprecher ist O-Ton. So ermüdend und anstrengend wie der ununterbrochene Fahrradstrom oder eine Messe für „sicheres Gemüse“.

Die beiden intensivsten Szenen mit Lê wurden als „Beobachtung“ gedreht. Der Übersetzer war nicht anwesend (Bewerbungsgespräch) bzw. konnte das Gespräch wg. des Straßenlärms nicht hören (Restaurantszene). Erst bei der Bearbeitung und Übersetzung in Deutschland erfuhren Julia Albrecht & Busso von Müller, was sie da aufgenommen hatten.

Bilder

Die Bewegungen sind in die Kamera-Arbeit „eingeschrieben“, mit Unterbrechungen, Wiederholungen, Abbrüchen. Die Eindrücke der Filmemacher von Geräuschen, Schnelligkeit und einer „unglaublichen Fülle“ wurden in Bilder übertragen.

Bilder 2

Diverse neue Identitätsbilder müssen von jungen Vietnamesen gemeistert werden: „Good Morning Hanoi“ zeigt das Eindringen einer neuen Marktwirtschaft („wie ein Staat erwacht“) und ist nicht nur das Porträt einer Jugendlichen, sondern bildet auch die „pubertäre Phase“ des Kapitalismus ab. Das Leiden, die Trauer und die Melancholie der Pubertät treten im Film zutage.

fehlende Bilder

Vater und Mutter sind nicht zu sehen, weil sie im Leben von Lê nicht präsent sind. Sie gehen morgens vor ihr aus dem Haus und arbeiten bis spät abends.

exotisches Fachwissen

Sätze wie „in asiatischen Kulturen werden Gefühle nicht offen gezeigt“ wurden von mehreren Diskussionsteilnehmern repetiert, ebenso (weil man irgendwann mal dort war): „Ich kann bestätigen, dass es dort genauso aussieht“. Die Gespräche Lês wurden wohl durch die längere Anwesenheit des westlichen Filmteams initiiert.

„Good Morning Hanoi“: Ein komplexes Porträt in sehr eigener Form, das die filmischen Gestaltungsmittel vielleicht etwas zu offensiv und überwältigend einsetzt.