Protokoll
Karin Jurschicks erster, vor zwei Jahren in Duisburg preisgekrönter Film „Danach hätte es schön sein müssen“ war auch eine Bürde und eine Forderung an ein bestimmtes „Weitergehen“. Doch das Thema in „Die Helfer und die Frauen“, angestoßen von Inge Classen (Redaktion ZDF/3Sat), ein vielleicht dankbarer Push weg vom Biografischen, verlangte ein ganz anderes Arbeiten.
Jurschick kannte die Orte: Sie war bereits in Bosnien und im Kosovo gewesen. Interessiert hat sie die Spannung zwischen den Personen vor Ort und dem gesellschaftlich-politischen Gesamtzusammenhang. Und im Nachhinein entdeckt sie nun doch Parallelen zwischen den beiden Filmen: Die Darstellung einiger Aspekte der Folgen von Krieg und die Erkenntnis, dass (die) Frau(en) kein Bild haben. Und die Frage, wie man damit als Filmemacherin umgeht?
Hinzu kommt der Zynismus, dass eine Legitimation des Krieges die „Befreiung der Frauen“ war und „Trafficking“ seine Folge.
Struktur:
Keine Opfergeschichte sollte erzählt werden, vielmehr ein Kreislauf: Frauen, die angelockt durch falsche Versprechungen auf einem Sklavenmarkt landen. Aussortiert werden. Eingeteilt in „schön“ und „nicht-schön“ an Barbesitzer verkauft werden. Bei der Polizei landen und wieder kategorisiert werden, in „richtige Opfer“ und „echte Prostituierte“. Nach den Verhören folgt die Abschiebung, Re-Integration, und vielleicht fängt alles wieder von vorne an. Die Struktur des Films ist kreisförmig, so steht es auch im Katalog, aber nicht chronologisch. Den Film mit der Kleidungsfabrik in Moldawien, dem Ort, aus dem die Frauen kommen, zu beginnen und zu zeigen, es gibt wenig und unterbezahlte und monotone Arbeit, hieße sich auf die Argumentationslinie eines Jacques Klein (UN Sonderbeauftragter für Bosnien-Herzegowina) einzulassen, der das Problem „Trafficking“ von den Herkunftsländern der Frauen her betrachtet. Daher wurde die Szene später in den Film eingebaut, um einen größeren Zusammenhang darzustellen.
Jurschick verzichtet auf voice over. Neben die eloquenten Reden der Institutionsmitarbeiter sollte nicht noch eine Meta-Stimme gesetzt werden. Stattdessen gibt es Texttafeln: Solche, die Informationen geben, und solche, die stellvertretend für die Stimmen der Frauen und auch das Bild der Frauen, das nicht gezeigt werden kann, stehen. Diese den Film rhythmisierenden und raumgebenden Tafeln funktionieren intensiver und besser als jede andere Technik es könnte, um das Schutzbedürfnis der Frauen sicherzustellen. Statt eine Art Maske einzusetzen oder gar die Gesichter zu schwärzen, wird durch die Tafeln den Worten die Autorität der Schrift verliehen.
Als Befragende fühle man sich als Polizei oder Behörde; und der Versuch, Verhörsituationen zu durchdringen und gleichzeitig selbst für den Film zu verhören und Leid bezeugen zu lassen, dies geht nicht, so Jurschick.
An einigen wenigen Stellen werden aber doch Frauen gefilmt. Die junge Frau, die den Polizisten während der Razzia lächelnd erklärt, es sei alles „super“, sitzt wenig später ‚eingesunken’ mit abwesendem Gesichtsausdruck vor dem Spiegel. Für eine Zuschauerin inkonsequent, für Jurschick ein wichtiger Moment der viel über die (Selbst-)Inszenierung dieser Frau erzählt. „Vielleicht war sie auch nur müde“, wurde gegen Ende der Diskussion von einem Diskutanten in den Raum gestellt. „Ja, möglich“, so die Antwort. Die Montage stellt Sinnzusammenhänge dar: Das Bild der Frau im Spiegel lässt Aussagen zu, die so nicht hätten verbal eingefangen werden können.
Unabhängig davon wäre die Arbeit der Polizei allerdings auch nicht vollständig darstellbar, würde man versuchen, an den Frauen total vorbeizufilmen.
Bilder der Helferorganisationen
Interessanterweise produzieren die Helferorganisationen selber jede Menge Bildmaterial: Werbe- und Aufklärungsspots. Die Medienarbeit wird professionalisiert, und Bilder werden hergestellt und angeboten, die die Ökonomie am Laufen halten und die Kritiker beruhigen.
Die ambivalenten Personen der Helferorganisationen
Zum Beispiel: Madeleine Rees (hohe Kommissarin für Menschenrechte in der UN).
Sie ist sehr wichtig für den Film: Sie ist im System, sie hat das Wissen und bringt sehr eloquent die Dinge, die Fehler – auch die Fehler ihrer Institution – auf den Punkt. Das ist auch ihr Job: Reden, Statistiken erstellen, Interviews geben, mahnen. „Sie ist das schlechte Gewissen der UN: Sie weiß alles, den anderen ist es wurscht“, so die Beschreibung aus dem Zuschauerraum.
Oder auch Jacques Klein (UN Sonderbeauftragter für Bosnien-Herzegowina).
Einen „dokumentarischen Zufall“ nennt Jurschick die „Musikszene“ mit Jacques Klein. Er ist nicht nur der klassische Antagonist, „der eine Mann, der den Raum und am liebsten den Film verlassen möchte“; Hier verbindet sich europäische „Kultursentimentalität“ mit Militärdenken.
Gesamtzusammenhang / Ökonomie
Die Abfrage nach den Gehältern dient auch der Vorbereitung auf die Frage, ob nicht ganze Länder in die Prostitution geführt werden. Das ökonomische Gefälle wird sichtbar. Die Verwaltung, die Unmengen kostet und dabei so viel Schaden anrichtet, der zu neuen Kosten führt: ‚Da hätte man auch das Land direkt aufkaufen können, um es später dann zu verpachten.’ sagt der amerikanische Staatsanwalt im Film.
Lob (ausdrücklich)
Gesprächsführung: Gerade gegen Ende der einzelnen Interviews, wenn die Kamera noch filmt, legen die Interviewten noch einmal nach: Besonders dann entstanden spannende Momente, Brüche wurden erkennbar.
Viele Informationen, viele Gesichter, auch Schicksale, auch Politik, sogar viel Politik, und trotzdem, so wurde in der Diskussion bemerkt, fällt es nicht schwer zu folgen. Man hört/sieht zu, wie man einer Rede zuhört. Dadurch behält der Film seine Leichtigkeit.