Film

Ich bin nicht der, der ich bin
von Matthias Brunner, Stefan Brunner
DE 1999 | 38 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 24
10.11.2000

Diskussion
Podium: Mathias Brunner
Moderation: Elisabeth Büttner
Protokoll: Torsten Alisch

Synopse

Ein alter Mann mit Bart und Mantel läuft tagelang durch Berlin. Er ist ohne Ziel auf der Suche nach einem Sinn. Zwischen dem 07. und 12. Februar 1996 stirbt der Schauspieler Lienhard Brunner vereinsamt in seiner verwahrlosten Wohnung. Die beiden Filmemacher machen sich auf, seine Suche zu verstehen…

Protokoll

Ich bin nicht der, der ich bin …

Wir wohnen in Zeit der Stroms Menschen bei, einer künstlerischen Karriere, einem Konzept, einer Performance, bis hin zur Selbstauslöschung. Der eigene Körper wird zum Austragungsort, zum Schlachtfeld eines Konflikts gemacht, auf dem sich die Wunden (s)einer Generation zeigen. Eine Schauspielerrolle verwandelt sich in Realität, der Schauspieler wird zum Regisseur seines eigenen Lebensstückes: Handkes Publikumsbeschimpfung spielt mit der Auflösung von Strukturen – Lienhard Brunner spielt es bis zum Ende, und kann irgendwann auf das Publikum ganz verzichten. Die Bibel wird zur Regieanweisung dieses Lebens, das runterbrennt wie eine Kerze.

Politisch geprägte Zuschauer haben Schwierigkeit mit dieser Art von Interpretation: War Andreas Baader dann auch nur ein Konzeptkünstler, der durch eine spezielle Performance gestorben sei? Zeitkritik wird gefordert und gefunden: Die Porträts der interviewten Personen ergeben ein sehr authentisches Bild aus kleinen Partikelchen – in der Erinnerung von Leuten spiegelt sich das Leben von Lienhard Brunner. Die Explosionen der 60er Jahre werden gesehen und wie sich Menschen in den religiösen Bewegungen der 70er verloren haben. Die Schuldfrage taucht auch auf (daß sich Lienhard selbst guten Freunden gegenüber als Jude ausgab, und die nun verstört sind, daß er es gar nicht war). Und das ganze Kriegsschicksal der vorherigen Generation, wo sich die Weltpolitik in das Leben einzelner Menschen zwängt und diese entzweit. Andere wollen Familiengeheimnisse gelüftet sehen. Das Private soll politisch werden. Und dann endlich gibt Mathias Brunner das Verwandtschaftsverhältnis zu L preis! (…)

Die Idee zu einem Film entstand etwa zwei Jahre vor L.s Tod, aber außer den im Film enthaltenen Kameratest-Aufnahmen gab es kein eigenes filmisches Material mit L. (diese Aufnahmen ohne Ziel hat L. auch gar nicht registriert). Die Fotos im Film entstanden während einer 7tägigen Verfolgung mit einer Fotokamera. Während der mehrjährigen Recherchen erhielt Mathias Brunner von den Interviewten Hinweise auf die Spielfilme mit L. (Das Abonnement mit Gudrun Ensslin mußte aus dem Iran besorgt werden). Mathias Brunner war überrascht, daß sich die Interviewten, nachdem sie L. über Jahrzehnte nicht gesehen hatten, so detailliert – und teilweise stundenlang – von L. erzählten.

Die Sichtweise auf den Protagonisten differenzierte zwischen den beiden Filmemacher-Brüdern: Der in Duisburg nicht anwesende Stefan sah mehr das Krankhafte im Leben von L., während Mathias Brunner dem Drogenkonsum gern weniger Beachtung im Film gegeben hätte. Die generelle Offenheit des Films, das Fehlen von pädagogischer Wertung, läßt Zuschauer- Interpretationen zwischen einem Heiligen („Lienhard aus der Mülltonne“) und einem (ganz normal) Verrückten zu. Schwierigkeiten gab es mit der Lokalisierung eines „Bruches“ im Leben von L., an dem das extrovertierte in ein introvertriertes Leben umschlägt. Mathias Brunner hat solch einen „Bruch“ nicht finden können, manche Zuschauer hätten ihn gerne gesehen … L. lebte in seiner eigenen Welt, und Mathias Brunner hatte das Gefühl, zu stören, als er ihn besuchte. Es war schwer, mit L. zu kommunizieren, er schwieg stundenlang vor sich hin. L. vermittelte aber den Eindruck, ausgeglichen und relativ glücklich (mit seinen Schmerzen & Ängsten) zu leben. Ein fertiges Konstrukt.

… sondern der, der ich sein werde.