Film

Eine Synagoge zwischen Tal und Hügel
von Franz Rickenbach
CH 1999 | 139 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 24
11.11.2000

Diskussion
Podium: Franz Rickenbach
Moderation: Elisabeth Büttner
Protokoll: Andrea Reiter

Synopse

Seit Jahrzehnten findet in der Landsynagoge von Delémont im Westschweizer Jura kein Kult mehr statt. Dazu braucht man zehn erwachsene Männer – aber die jüdische Gemeinde ist auf sieben Mitglieder geschrumpft. Ein Film über Verschwinden und Erinnern, und zugleich ein dichtes wie anrührendes Stück schweizerischer Alltagsgeschichte.

Protokoll

Nur noch sieben Mitglieder zählt die jüdische Gemeinde von Delémont im Kanton Jura (Schweiz). Zu wenig um nach der jüdischen Tradition einen Gottesdient abzuhalten. Wir lernen die Menschen kennen, die Geschichte ihrer Synagoge.

Der Film ist eine verschlungene Komposition aus Informativem und Atmosphärischem. Die filmische Eigenart tiefgreifend erfahren zu können, ist ein grosses Anliegen des Regisseurs, weshalb er vor der Projektion die Zuschauer instruiert, sich während des Betrachtens intensiv dem Hör- und Seherlebnis hinzugeben und den Film ähnlich wie einen Museums- oder Opernbesuch wahrzunehmen.

Annäherung

„Eine Synagoge zwischen Tal und Hügel“ entwirft eine regionale Topografie. Allerdings ist es nicht so, dass Rickenbach etwas beschreibt, das er bereits sehr genau gekannt hat – was vielleicht eine Abgrenzung, im Sinne einer fehlenden Objektivität gegenüber dem Dokumentierten, erschwert hätte? Mit dem Projekt begann er einige Jahre bevor er in den Kanton Jura zog.

Eine ihm nicht sehr anregend erscheinende Idee, die ihm zugetragen wurde, einen Film über die Synagoge in Delémont zu machen, die ihm beim Vorbeifahren zuvor noch gar nie aufgefallen war, brachte Rickenbach aber doch dazu, sich mit dem Präsidenten der jüdischen Gemeinde dort zu treffen. Dessen Charme und sein Verweis auf die fünf Frauen der Gemeinde, die Rickenbach daraufhin kennenlernte, führten dazu, den Film zu konzipieren.

Gedächtnis

Rickenbach erklärt, dass er einen „Film über Nichts“ gemacht habe, was nicht polemisch zu verstehen ist, sondern einfach, dass keine Archive mit historischen Fakten zur Verfügung standen und die Menschen, die er porträtieren wollte, von sich meinten, sie hätten nichts zu erzählen.

Mittels Zeitungsaufrufen und Nachforschungen sammelte er die gesamten im Film gezeigten Zeugnisse eigenhändig zusammen. Niemand habe sich um Archivierung gekümmert. Die jüdische Gemeinde habe es vernachlässigt, ihre Geschichte zu bewahren. Von den Historikern sei sie ignoriert worden, bis sie durch Rickenbachs Film angeregt wurden, diese Leerstelle in den Geschichtsbüchern über den Kanton Jura zu erschliessen.

Seine Spurensuche und die Rekonstruktion der Geschichte der Synagoge und der jüdischen Gemeinde Delémonts, bei der er die Menschen auch an Orte ihrer Vergangenheit begleitet hat, hätte ein Interesse und ein Bewusstsein an ihrer eigenen Geschichte geschaffen.

Archivierung und Subjektivität

Das Besondere des Films ist seine Form. Er zeigt eine ganz spezielle Ästhetik. Durch die Art der Aufnahmen – komponierte Bilder und stilisierte Kameraperspektiven, Filmstills oder verlangsamtes Archiv-Filmmaterial – werde ein Lebensgefühl bzw. eine Lebensgeschichte in einen atmosphärischen Raum gesetzt (Büttner). Rickenbach meint, man müsse den Zuschauern etwas spezifisch Filmisches präsentieren, was sie selber (in der Realität) so nicht hätten sehen können. Als Beispiel erwähnt er die Filmaufnahmen vor der Synagoge, die an einer lauten Strasse gelegen ist. Um die Stille, wie sie im Film herrscht, erreichen zu können, habe er durch den (verständigen) Dorfpolizisten immer wieder die Strasse sperren lassen.

Spricht Rickenbach davon, sein Film sei genuin, und setzt er eine Beziehung zu Oper und Museum, geht es ihm darum, vom „angespannten Sehverhältnis zum Thema des Jüdischen“ zu abstrahieren. Die Zuschauer sollten den Film, die Bilder und Töne auf sich wirken lassen. Durch diese Verortung seines Films scheint Rickenbach von einer Diskussion über die Schwere des Films und dessen Thematik wegweisen zu wollen. Auf Büttners Frage nach dem Verhältnis der Schweizer zu Juden, die Schweiz sei für Deutsche ja oftmals eine „terra incognita“, geht Rickenbach sofort ein. Er berichtet über den schwierigen Umgang der Schweizer mit dem Thema, einerseits seien die Juden (indirekt geht es hier immer auch um die Rolle der Schweiz im 2. Weltkrieg) kein Thema mehr, andererseits habe es seit „Schindlers Liste“ an Aktualität gewonnen. Rickenbach kritisiert den Umgang der Schweizer, der sich oft durch Unwissenheit, Desinteresse, gar bewusste Nichtbeachtung auszeichnet. Diese Ablehnung einer Auseinandersetzung zeige sich auch in der Tatsache, dass es ganz schwierig gewesen sei, für seinen Film finanzielle Unterstützung aufzutreiben.

Man kann heraushören, dass Rickenbach ein Bewusstsein im Umgang mit jüdischer Geschichte schaffen will, spricht er z.B. von seiner Freude, mit der Musik im Film den Schweizer Landschaften eine jüdische Färbung zu geben, und doch habe er den Film, dessen ästhetisches Konzept, nicht „auf die Füsse“ stellen wollen.

Alles ein Spuk?

Das letzte Bild: die Kamera zeigt die Synagoge, schwenkt dann langsam gen Himmel, das Bild ist verwaschen hellblau. Bedeutungsschwer wie viele andere Bilder. Rickenbach ging es darum einen Schlusspunkt zu setzen, der Film endet mit einer „weissen Seite“. Alles ist offen.

Es ist ihm wichtig, dass er die Geschichte anhand von Spuren aufsuchen musste. Dass das Wissen ohne seine Suche und seinen Film verschwunden wäre, dass Spuren, die sich verlieren bzw. die Geschichte dahinter wie ein Spuk erscheinen, sollte auch auf formaler Ebene sichtbar werden.