Extra

Anschlüsse II: Zum Dokumentarfilm – und zurück?

Duisburger Filmwoche 24
10.11.2000

Podium: Kathrin Resetarits, Christoph Draeger
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Heimo Schirgi

Die Grenzen zwischen Dokumentar- und Spielfilm, zwischen Experiment und Clip werden fließend. Welchen Gewinn bringt die Grenzüberschreitung? Kathrin Resetarits (Wien) im Gespräch mit Christoph Draeger (New York/Zürich)

Protokoll

Werner Ruzicka eröffnet die Diskussion. Er spricht über die genreübergreifende Referenz des Realen, über osmotische Bewegungen, die gewinnbringend seien. Die erste Frage gilt den Biografien und künstlerischen Einflüssen.

Kathrin Resetarits erzählt, dass sie in Wien lebe und arbeite. Einflüsse auf ihre Arbeit haben sich schon früh abgezeichnet. Ihre Vorliebe für Schund und Fernsehen hätte sie geprägt. Strukturen haben sich herauskristallisiert, Punkte, an denen sie das Gefühl hatte, dass sich etwas „sperrt“. Die Unglaubwürdigkeit festgeschriebener Rollen (die junge Heldin), die Differenz zwischen dem, was man sehe und dem, was gemeint sei. Cassavetes und Bresson werden genannt. Das Verhältnis von Bildern, die immer etwas Konkretes seien, zur Sprache, die Typisierung, seien ihre zentralen Themen.

Christoph Draeger ortet viele Gemeinsamkeiten aber auch Gegensätze zu seiner Position. Er sei Konzeptkünstler, kein Filmemacher. In Luzern habe er Kunst studiert, seine Laufbahn sei hauptsächlich von Zufällen geprägt und der Suche nach Material an verschiedenen Oberflächen. Seine Medien seien Photographie und Video, sein Sujet Katastrophen. Seine erste Arbeit über Katastrophen seien Puzzles gewesen, die statt der üblichen Idylle Katastrophen abbildeten. Die Arbeit sei so intensiv gewesen, dass er bei dem Thema „hängenblieb“. Die Ästhetik der Zerstörung, die Konstruktion der Destruktion. Modelle habe er gebaut. 100 m2 grosse Nachbauten der Verwüstung durch Hurrican Andrew. Das Modell als Bild, die Ambivalenz von Sichtbarkeit. Er kommt auf Simulation zu sprechen, auf künstliche Bilder, die „echter“ sind als Realaufnahmen. Twister und die Ästhetik der Zerstörung. Eine weitere Arbeit beschäftige sich mit Orten, die von Katastrophen definiert werden. Lockerbie wird genannt. Ein friedliches, unspektakuläres Dorf, geprägt von einem Flugzeugabsturz. Er fotografiere diese Orte, mache Bilder, auf denen nichts zu sehen sei. Nur die Beschriftung mit dem Ortsnamen verweise auf die Katastrophe. Er sei auch etwas besessen, gibt er zu. Die Katastrophe sei erst durch den Mensch möglich geworden.

Hier sieht Kathrin Resetarits einen Überschneidungspunkt, obwohl sie sich in verschiedenen Welten bewegten. Bei den Filmschaffenden herrsche ein starkes Dogma der Dramatisierung des Alltags. Sie könne eine Verunsicherung ausmachen, eine Frage nach der eigenen Authentizität. Draeger schreckt am Film ab, dass er immer auf die Bedingungen seiner Präsentation angewiesen ist. Die Zelebrierung des Gedankens eines „offenen Kunstwerks“ fehle ihm

————————-[Screening 1]——————————————————————————————————————————– Kathrin Resetarits – Ägypten

Christoph Draeger – Diverses Material von Installationen. ———————————————————————————————————————————— ————————————————-

Werner Ruzicka bittet um Stellungnahmen zu den gezeigten Beispielen.

Christoph Draeger meint in Ägypten Parallelen zur eigenen Arbeit orten zu können. Es gehe um das Nachspielen von Realität. Bei den porträtierten Taubstummen sei dieses Nachstellen, die Simulation, Grundlage der Kommunikation. Er vergleicht dies mit der Sprache des Stummfilms, mit der Möglichkeit für Missverständnisse.

Resetarits lenkt ein, dass es sich um eine anerkannte Sprache handle, die sie für die filmische Arbeit gelernt habe. Bei Draegers Arbeit interessiere sie ein „Doppelbluff“. Die Simulation (nachgespielte Szene auf Videomonitor) der Simulation (Blockbuster wie Taxi Driver und Pulp Fiction in der Projektion). Draeger erzählt von den Überwachungsmonitoren, die er dafür in der Installation verwendet hat. Diese stammten von einem Flohmarkt und das Bild des zu überwachenden Ladens habe sich in die Bildröhre eingebrannt. Diesen „Phantomraum“ habe er mit „hold-ups“ bespielt. Ihn bewege der Wunsch, mehr aus dem Medium zu machen, es in den Raum zu (über)tragen.

Kathrin Resetarits meint, die Simulation der Simulation passiere ununterbrochen. Sie selbst vergrößere dauernd ihre Sammlung an Erfahrungen, die sie aus Filmen kenne. Draeger nennt das eine Generationsfrage, die durch eine Flut an Information und Sekundärerfahrungen getragen werde.

Werner Ruzicka spricht das Phänomen an, dass narrative Strukturen, sobald diese fehlen, automatisch mitgedacht werden, dass man dazu konditioniert sei. Es gehe heute oft um das Suchen einer Unmittelbarkeit, eines Gefühls, dass man am Leben sei, wirft Resetarits ein. Dies übe auch auf ihn eine starke Faszination aus, schliesst Draeger an. Bei gefilmten Überfällen werde die Realität zum Fluchtpunkt der Existenz. Resetarits ergänzt, es gehe um eine Freistellung des Blicks, man sehe erst hin, wenn man etwas Neues sehe.

Ruzicka kommt darauf zu sprechen, dass der Körper im Dokumentarfilm ein Ort von Wahrheit sei. Durch die Bewegung werde ein filmischer Raum geöffnet, auf den man körperlich reagieren könne. Ob Draeger diesen Raum nicht unterschätze, lautet die Frage. Draeger meint, diese Möglichkeit bestehe. Er beneide auch die Filmemacher, die einzig durch das Medium schon ihren Raum definieren können. Resetarits meint, dass diese Einschränkung gleichzeitig auch eine Freiheit bedeute.

Ein Diskutant kritisiert die Verdoppelung in Draegers Arbeit. Diese unterschätze das Publikum und fordere eine Naivität ein, die ihm fern sei. Er attestiert eine typisch männliche Arbeitsweise, die auf die Zerstörung männlicher (Pop-)Ikonen ziele. Diese „Plattheit“ habe man bei Resetarits‘ Film nicht gesehen, so eine weitere Meinung. Eine Diskutantin verteidigt Draegers Arbeit, da sie aufdecke, wie sehr Inszenierung und das „Rohe“, Unvermittelte zusammengehörten, sich gegenseitig bedingten.

Werner Ruzicka lenkt die Diskussion auf das Mediale. Filmische Arbeit sei auch immer ein Sich- Wehren gegen die Visualisierung. Kathrin Resetarits nennt Face Off als Beispiel dafür, wie oft nur winzige Gesten genügen, um Assoziationsketten auszulösen und Geschichten zu erzählen. Hollywood habe das Bewußtsein verändert, meint Draeger und spricht über den aktuellen Präsidentschaftswahlkampf in Amerika. Eine dramaturgische Pattsituation sei dadurch eingetreten, dass das Ergebnis, das von aller Welt gespannt erwartet wurde, nicht feststeht und Erwartungshaltungen ins Leere gingen.

————————-[Screening 2]————————————————————————————————————————– Kathrin Resetarits – fremde

Christoph Draeger – 1, Apocalypse Place ———————————————————————————————————————————— ——————————————-

Zu Draegers Arbeit bemerkt Ruzicka, er sehe sie als einen Versuch der Dramatisierung von Künstlichkeit. Draeger merkt an, dass die eigentliche Installation des „Kastastrophen- Wohnzimmers“ ein begehbarer Raum gewesen sei und die Präsentation auf der Leinwand viele Facetten natürlich nicht tranportieren hätte können.

Ruzicka fragt zu fremde, inwiefern die früheren dokumentarischen Arbeiten eingeflossen seien. Resetarits meint, sie entscheide sich vor Drehbeginn nicht für die eine oder andere Form. Sie habe mit Laien-SchauspielerInnen gearbeitet, weil sie die Möglichkeit des Publikums, durch Charaktere hindurchzusehen als spannend empfinde. Leider werde dies oft als Schwäche bemängelt, statt als Möglichkeit genützt zu werden.

Werner Ruzicka fasst zusammen, dass die Diskussion von drei zentralen Begriffen geprägt war: Dem Bild, dem filmischen Raum und der Referenz der Wirklichkeit.

 Werner Ružička, Gudrun Sommer, Rita Groß v.l. © Hendrik Lietmann
Werner Ružička, Gudrun Sommer, Rita Groß v.l. © Hendrik Lietmann