Film

Herr Zwilling und Frau Zuckermann
von Volker Koepp
DE 1999 | 126 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 23
06.11.1999

Diskussion
Podium: Volker Koepp, Thomas Plenert (Kamera)
Moderation: Elisabeth Büttner
Protokoll: Judith Keilbach

Synopse

Herr Zwilling ist Pessimist, Frau Zuckermann Optimistin. Beide haben als Juden erst im faschistisch-rumänischen, dann im sowjetischen Czernowitz Hitler und Stalin überlebt, Ghetto, Verfolgung und Deportation. Jeden Abend besucht „der Ritter von der traurigen Gestalt“ die lebhafte alte Dame, die ihm etwas kocht und den Kopf zurechtrückt. Danach schauen sie zusammen Fernsehen.

Protokoll

Die bedächtige und respektvolle Art, in der Herr Zwilling und Frau Zuckermann von der Kamera begleitet werden, setzte sich am Samstagnachmittag auch in der Diskussionsatmosphäre fort. Von einem Kräftefeld der Filmemacher Koepp und Plenert, das die Anwesenden in ihren Bann zieht, sprach Werner Ruzicka hinsichtlich der Protagonisten des Films – und retrospektiv lässt sich die Diskussion ebenfalls beschreiben als von einem solchen Kräftefeld durchzogen… Langsam und bedächtig tastete man sich gemeinsam voran, um dem Geheimnis / der Wesenheit / den spezifischen Mechanismen / (…) des Film(en)s (von) Zwilling/ Zuckermann näherzukommen. Elisabeth Büttner stieß diesen Prozess mit ihrer Frage nach dem Filmanfang – ein sehr atmosphärischer und u.a. durch die Verwendung von Musik kultureller Einstieg -an.

Bedenken habe er gehabt, dass Herr Zwilling nicht damit einverstanden ist, berichtete Volker Koepp und erzählte von einem Geiger in Czernowitz, der auf die Frage nach dem Musikwunsch von Herrn Zwilling die Antwort bekommen hat: am besten Sie spielen Schach. Herr Zwilling habe aber nichts gegen die Einstiegsmusik des Films eingewendet. überhaupt – das wisse er zumindest von Frau Zuckermann – habe Herr Zwilling, der im August gestorben ist, das Interesse, das ihm während der Tour mit dem Film entgegengebrach wurde, genossen. In Berlin sei er beispielsweise von einem jungen Mann auf der Straße erkannt und angesprochen worden. Koepp sprach von Trost, denn Herr Zwilling, der seine Geschichte nie aufgeschrieben hat, habe den Menschen die Dinge mitteilen wollen.

Dass der Geist des alten, versunkenen Czernowitz noch lebendig sei relativierte Koepp, eigentlich erzählen eher die alten Menschen davon mit. Von der Bevölkerungszusammensetzung sei Czernowitz ein Mythos, was sich auch in Herrn Zwillings Zweifel hinsichtlich einer Vorführung des Films ausdrücke: wenn soll das in Czernowitz interessieren?. Koepp berichtete in diesem Zusammenhang auch von der Entstehung und Entwicklung dieses Filmprojekts, von der Reise in die Ukraine und der Begegnung mit seinen Protagonisten. Dass die beiden im Zentrum des Filmes stehen würden, sei nicht von Anfang an klar gewesen, erst bei der Sichtung der Muster habe sich das abgezeichnet.

Zahlreiche Fragen zu Herr Zwilling und Frau Zuckermann richteten sich auf die Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Kameramann. Thomas Plenert beschrieb, dass er leichter in einem offenen System, wie Koepp es ermögliche, arbeite, als Bilder nach einem vorgegebenen Rahmen zu liefern. Die Frage nach dem fiktionalen Gestus, den Elisabeth Büttner in Pleners Kamera ausmachte, fand er schwer zu beantworten: Gefühlssache, Unbewußtes, jedenfalls kein vordergründiges Denken. Der Platz für Nachdenken und Schweigen, das Aushalten von Schweigen kennzeichnete für einen Diskutanten Volker Koepps Filme. Was in solchen Momenten im Kameramann eigentlich vorgehe? Je nach Entfernung höre er den Menschen vor der Kamera zu, offenbarte Plenert, gleichzeitig denke er jedoch auch über mögliche Kameraschwenks und Perspektivwechsel nach, über die Lichtverhältnisse und über die Montage (wird evtl. noch eine Totale benötigt?). Wenn er Spielfilme drehe, sei das Denken von der Montage bestimmt – vielleicht erkläre das auch den fiktionalen Gestus und den Eindruck von Inszeniertheit in seinen dokumentarischen Arbeiten. Wie es eigentlich klappe, Koepps bedächtige Interviewtechnik und Plenerts erzählende, sich verselbständigende und den Raum absuchende Kamera mit den verwendeten 4-Minuten Cassetten in Einklang zu bringen? Hier zeige sich die Qualität des Regisseurs, lobte Plenert Koepp, der seinen Ton anschlage, dem die Kamera dann einfach folge, und der darüber hinaus mit vier Minuten umgehen könne. Wessen (Landschafts-) Bilder es denn nun seien, die der – so ganz ohne Autorenautorität gedrehte -Film zeige? Koepp schaue selten selbst durch den Sucher, berichtete Plenert, aber durch die lange Zusammenarbeit kenne er natürlich dessen Umgang mit Landschaft…

Seine Art der dokumentarischen Arbeit bezeichnete Koepp als sehr anstrengend. So fordere allein das Thema des Filmes viel ab, man gehe Bindungen ein, verteile seine Sympathie auf viele Leute, die man gern habe, beschäftige sich ununterbrochen mit deren Situation – irgendwann sei das zu viel. So sei Plenert denn auch froh darüber gewesen, im Anschluß einen Spielfilm zu drehen. Aber ein Reisender, der entgegen dieser Arbeitsweise im voraus schon alles weiß, sehe nichts mehr. Trotz der Unsicherheit, die sich u.a. daraus ergeben habe, dass es während des Drehs keine Möglichkeit zur Materialsichtung gegeben habe, habe er sich während der Arbeit sehr frei gefühlt. Die Reste (gedreht wurde in einem Verhältnis 1:6) zeugten dann auch von einer sehr konzentrierten Arbeit. Die Ernsthaftigkeit des Interesses und der Arbeit vor Ort, zu der auch der Tonmann sowie die Kameraassistenz beigetragen haben, habe letztendlich auch den Zugang zur anfangs gegenüber dem Filmteam sehr strengen Frau Zuckermann ermöglicht. Zur Frage der Inszenierung nennt Koepp Szenen, die ohne Absprache und zufällig entstanden sind, während er bei andere Szenen eingegriffen und beispielsweise an zuvor geführte Gespräche erinnert habe.

Dass der Film von seinen Protagonisten lebt, bestritt Koepp nicht: wir wären blind gewesen, wenn wir nicht zugegriffen hätten. Allerdings wollte er seinen Film auch als Dokument verstanden wissen, in dem die gefilmten Personen und die gefilmte Welt der Nachwelt aufbewahrt werden; auch gebe es nur wenige Filme über diese Gegend – deshalb die Landschaftsaufnahmen.

Zum Abschluß der Diskussion wurde noch über die Situation der Juden in der Ukraine gesprochen, über Antisemitismus, Emigration und sentimentale Heimatverbundenheit. Auf die Frage nach Frau Zuckermanns Sohn Felix, weigerte sich Koepp ganz im respektvollen Gestus seines Filmes, dessen private überlegungen zur Emigration auszubreiten. Frau Zuckermann werde er jedenfalls davon berichten, dass der Film in Duisburg gefallen habe.