Film

Megacities
von Michael Glawogger
CH/AT 1998 | 94 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 22
1998

Diskussion
Protokoll: Judith Keilbach

Protokoll

Michael Glawoggers Film Megacities, mit dem die Duisburger Filmwoche eröffnet wurde, stieß beim Publikum auf begeisterten Zuspruch. Dementsprechend wurde der Film zu Anfang der Diskussion äußerst wohlwollend besprochen. Auf sein ursprüngliches Interesse am Thema befragt, berichtete Glawogger, welche drei zentralen Überlegungen ihm den Stoff für Megacities geliefert haben: er wollte eine Bestandsaufnahme darüber anfertigen, “wie die Welt aussieht”, außerdem hat ihn der Gedanke bewegt, daß “mehr Menschen in Städten leben, als auf dem Land”, und schließlich wollte er wissen, “wo die Menschen hingehen, wenn sie nach Hause gehen”. Diese Überlegungen nicht mit einem journalistischen Ansatz zu bearbeiten, sondern nach der Kraft der Menschen zu fragen, nach deren Willen, den Alltag zu bewältigen, sei sein Anliegen gewesen, so Glawogger. Gegen die Entäuschung eines Zuschauers, der eine kontrastive Gegenüberstellung von Armut und Reichtum für ein angemesseneres Bild von Städten hielt, grenzte sich Glawogger deutlich ab: er sei kein Fernsehdokumentarist. Er halte es für notwendig, sich auf eine Sache zu konzentrieren, d.h. in seinem Fall, den Blick auf die Randbereiche zu richten, die längst schon keine Randbereiche mehr seien. Die Reichen als Gegenpol in seinen Film miteinzubeziehen, hätte er als Plattitüde empfunden.

Ein zweiter Fragenkomplex bezog sich auf Glawoggers Arbeitsweise: wie, so eine Frage aus dem Publikum, werde der Kontakt hergestellt, zumal anzunehmen sei, daß sich Menschen nicht gerne in ihrer Armut filmen lassen. Ganz wichtig sei es, sich Zeit zu nehmen, um zu den Menschen eine Beziehung aufzubauen, so der Regisseur, anders könne er sie nicht filmen. Natürlich gestalte sich diese äußerst unterschiedlich: während er sich einigen seiner Protagonisten nur zu einem gewissen Grad habe annähern, lediglich eine Ebene des Verständisses habe herstellen können, sei zu anderen eine Art Freundschaft entstanden. Kennengelernt habe er seine Protagonisten bei neugierigen Spaziergängen durch die Städte. Er habe sie gebeten, ihr eigenes Leben nachzustellen, sich selbst zu spielen, wofür sie – das werde im Film auch deutlich – entlohnt wurden. Vorbeugend, so scheint es, machte Glawogger deutlich, daß der Film nichts enthalte, was nicht wirklich passiert sei. In diesem Zusammenhang verwies er auf das Problem, daß sich viele Menschen im persönlichen Gespräch anders verhalten, als vor laufender Kamera; hiermit deutete er die Schwierigkeit an, die sich bei der Auswahl seiner Figuren ergab. Gegen den Begriff ʻCastingʼ, der in der Diskussion fiel, wehrte er sich heftig: dabei würde es sich um eine ruhende Postition handeln, vor der Menschen aufmarschieren. Er sei hingegen ständig in Bewegung und würde Situationen suchen. Lediglich eine Figur in Megacities sei tatsächlich gecastet worden. Er betonte, daß seine Protagonisten alle mit dem einverstanden gewesen seien, was sie vor und für die Kamera getan haben. Und hier – das der Protokollantinnen-Einwurf – wird auch die Verbindung zu den Filmen von Seidl deutlich: Grundlage ist die Selbstdarstellung der Protagonisten, die – siehe Megacities – teilweise deren Existenz sichert. Der Film als wohltätige Finanzspritze für Arme?

Auf Harun Farockis Vorwurf an das Auditorium, der Ton der Diskussion sei zu nörglerisch für diesen wunderbaren Film, setzte die bisher in einzelnen Worten versteckte Kritik offen ein bzw. wurde – wie ein Zuhörer meinte – der “unausgesprochene Nichtangriffspakt” aufgehoben: eine Diskussionsteilnehmerin beschrieb ihr Gefühl, daß in Megacities etwas nicht stimme: so seien die Szenen in Moskau, einer Stadt, die sie sehr gut kenne, zu schwarz, zu hoffnungslos im Vergleich mit ihren Eindrücken. Glawogger hielt hingegen gerade den Gefilmten eine ungeheuere Energie zugute, die sie überhaupt erst überleben läßt. Thomas Rothschilds Kritik zielte gleich auf mehrere Punkte: den eingangs geäußerten Anspruch des Regisseurs, keine Klischees wiederzugeben, würde der Film in zahlreichen Szenen nicht erfüllen; er sei – was durchaus ʻerlaubtʼ sei – nicht an den Menschen interessiert, die er zeige, wäre jedoch auch ästhetisch nicht gelungen. Der visuellen Überrumpelung wohne durchaus eine politische Dimension inne: an sehr vielen Stellen schaue der Film einfach weg. Glawogger stellte daraufhin klar, daß die Geschwindigkeit von Filmen für ihn nichts mit Genauigkeit zu tun habe. Ein weiterer Diskussionsteilnehmer beschwerte sich über “falsche Wertungen”, die er mit Glawogger Bemerkung in Zusammenhang brachte, wonach man sich selbst im Weg stehe, wenn man darüber nachdenke, was die Konventionen einem zu filmen erlauben und was sie verbieten. Für ihn, so der Kritiker, bestehe Megacities aus hemmungsloser Effekthascherei, die sich beispielsweise in der spezifischen Darstellungsweise der Stripshow zeige. Dem hält der Regisseur entgegen, er habe Sachverhalte als das dargestellt, was sie seien, und in der formalen Gestaltung versucht, ihnen gerecht zu werden. Daraus ergebe sich das, was Rothschild als “Stilbruch” bezeichnet habe, denn jeder Protagonist fordere einen eigenen Stil. Die vorgefundene Wirklichkeit müsse bewußt gestaltet werden, wobei allerdings zu bedenken sei, daß man mit theoretischen Vorannahmen im Kopf keinen Film drehen könne.

Ein Zuhörer gab zu bedenken, daß er die Bilder bereits aus Spiegel TV zu kennen glaubt, und ihn die reißerischen Themen an Fernsehmagazine erinnern. Heike Kühn wies hingegen darauf hin, daß sich Megacities gerade durch seinen Versuch auszeichne, seine eigenen Konstruktionsprinzipien zu reflektieren: die Stereotypen des Filmes werden immer wieder an andere Medien rückgebunden, wodurch gerade ihre Klischeehaftigkeit bewußtgemacht werde. Auch würden die zahlreichen Kameraperspektiven, aus denen ein Gegenstand dargestellt werde, verdeutlichen, daß es sich nicht um ʻdieʼ Wahrheit handele. Glawogger verstärkte diese Beobachtung, indem er betonte, daß Reflexionen über das, was der Film tut, im Film versteckt seien.

Farocki versuchte abschließend, den Film auf einer anderen Ebene zu diskutieren: die Urbanistik versuche schon seit längerem, Stadtränder nicht mehr als Slum zu beschreiben, sondern den in ihnen wirksamen und sie prägenden kulturellen Formen nachzugehen. Zu diesem neuen Verständnis trage der Film in jedem Fall bei – so Farocki anerkennend.

Werner Ruzickas Freude, das Festival mit einer polarisierenden Diskussion begonnen zu haben, erscheint mir etwas fragwürdig – handelte es sich doch irgendwie um Positionen, die schon 1000mal ausgetauscht wurden…

 Michael Glawogger © Ekko von Schwichow
Michael Glawogger © Ekko von Schwichow