Film

Do Sanh – Der letzte Film
von Hans-Dieter Grabe
DE 1998 | 99 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 22
1998

Diskussion
Podium: ?
Moderation: ?
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Werner Schweizers Eröffnungs-Worte der Diskussion zum Film: Spannend, sehr klug geschnitten, die Kunst des Verkürzens, und ein Lob an die kleinen Geschichten in der großen [ (die Geschichte von Marlies und ihren eigenen Interessen oder der Überlebenswille von Do Sanhs Frau, wie sie sich am Ende sicher durch das Verkehrsgewühl bewegt) ]. Dann die Frage an Hans-Dieter Grabe, wann die Ausbeutung des Leidens-/Lebenswegs eines Sterbenden beginne. ZDF-Redakteur Grabe spricht von Verpflichtungen der Hauptperson und natürlich auch den Zuschauern gegenüber, die ein Recht darauf haben, zu erfahren, wie die Geschichte weiter und zu Ende geht, und von seiner Angst vor dieser Aufgabe (man dachte, endlich schafft es jemand nach den Zerstörungen an Leib & Seele weiterzuleben, aber dann ging dieses Leben doch folgerichtig zu Ende …), eine professionelle Angst, zuviel über sich zu sprechen (dem Thema zu nah zu kommen) oder dem Film eine Kälte zu geben, die er nicht bekommen darf (dem Thema nicht nah genug zu kommen).

[ Eine kleine Geschichte in der großen: Marlies – der Mensch, der am stärksten in Do Sanhs Leben eingegriffen hat. Sie hatte ihn als kleines Kind ausgewählt/ auserwählt/errettet, aber ihr war es nicht gelungen, ihn zu adoptieren. Sie hatte den Kontakt verloren und ist erst „viel zu spät“ zu Do Sanh gefahren. Marlies wollte „entgegen ihrer Einsicht und ihres Wissens“ die Weichen für Do Sanh stellen. ]

Die klinischen Schockaufnahmen vom kleinen Do Sanh mit den unglaublichen Verletzungen verletzten die Seh-Kraft einiger ZuschauerInnen. Aber Grabe wollte nicht schocken, sondern Distanz schaffen: Solche Bilder könne man in diesem Film nicht weglassen, weil diese wenigen Bilder zeigen, wie schnell ein ganzes Leben zerstört werden kann. Diese Aufnahmen von 1970 wurden von anderen als imperialistisch gelesen/gesehen: Wie da jemand aus dem US- Hubschrauber das Rettungsschiff Helgoland umkreist und kriegsberichterstatterartig verletztes Menschenmaterial dreht. Wieder andere entdeckten in den Standbildern am jeweiligen Ende dieser alten Filmsequenzen ein Hilfsangebot: Der Arzt umfaßt und hält besorgt die Hand des Jungen …

Kann es überhaupt einen Ort geben für Do Sanh? Und fanden sich seine Spuren wirklich nicht? Hans-Dieter Grabe ging es bei der Suche nach dem ominösen Ort um die Würde des einfachen Menschen, er wollte – genau wie bei „großen“ Persönlichkeiten – herausbekommen, wo jemand herkommt und wer seine Eltern waren/sind; eine Form des Ernstnehmens eines kleinen vietnamesischen Bauernjungen. [ Eine Subgeschichte, die nicht im Film war: Die überlieferte Angabe des alten Wohnorts war eine katholische Gemeindebezeichnung, die mehrere Ortschaften umfaßte. Das Wissen um diese westlich-religiöse Kartographie Vietnams ist verlorengegangen. Eine große Wanderungsbewegung nach dem Kriegsende in Vietnam vertrieb die meisten Einwohner aus dieser Gegend. ] Die Suche, nicht das Ziel, war für Grabe der Grund, diesen gescheiterten Versuch in den Film aufzunehmen, und diese Suche gab die Möglichkeit, die Erzählung zu strukturieren und Ruhepunkte zu setzen.

Die deutsche Synchronisation erlaubt das Lesen der Mimik anstelle der Untertitel: Besser für den Zuschauer. Untertitel wurden eingesetzt, wenn es um den Inhalt von Worten ging.

[ Noch eine Subgeschichte, die nicht im Film war: Die Geschichte der Rückführungen der Kriegsopfer. Es gab andere Hilfsorganisationen, die nur in Vietnam tätig wurden, um sich zu profilieren. Terre des Hommes gehörte nicht dazu, diese Organisation erkannte, daß vielleicht auch mit der Evakuierung ein Verbrechen an der Seele begangen wurde – Menschen ihrer Heimat ohne ihre Einwilligung zu entreißen und in völlig fremden Kulturen aufzuziehen. Die durchdachte Idee der Rückführung wurde durch das Kriegsende wiederum zunichte gemacht. Terre des Hommes mußte Vietnam verlassen und die Heime wurden geschlossen. In der neuen politischen Gesellschaft wurden die zurückgekehrten Kriegsopfer zu Fremdkörpern, mit westlichen Verhaltensweisen (lebendig und frech sein) infiziert, wurden sie als feindliche Elemente isoliert. Bei vielen von ihnen herrscht noch heute eine große Sehnsucht nach Deutschland, einem zauberhaften Land, wo sie eine glückliche, umsorgte Kindheit erlebten. ]

Der Vorwurf eines suggestiven Fragestils wird von Grabe zurückgewiesen, allenfalls sehr scheue Kinder würde er so befragen, um ihnen etwas zu entlocken. Diese Fragen im Interview mit Do Sanh seien notwendig gewesen, weil Sanh sonst diese Antworten nicht gegeben hätte, sagt Grabe. Wenn er jemanden nach 15 Jahren wiedertrifft, ist er einfach neugierig und stellt Fragen. Aber er will einer Person nicht Dinge entlocken, die diese nicht sagen will. Paternalistisch empfanden das andere und nannten Grabe einen soften Imperialisten, der als Mittler zum Zuschauer daheim in fremden Ländern herumreist. Eine ästhetische Methode werde zum ethischen Problem. Aber eigentlich hat niemand Zweifel, daß der Filmemacher seinem Protagonisten Do Sanh nicht freundlich gesonnen war …

Professionelle Distanz ist ein anderer Schlüsselbegriff, der mehrmals fiel. Diese Distanz, diese Kälte ist zwingend notwendig bei solch einer Geschichte die zum Mitleid(en) geradezu einlädt: Man könnte sich diesen Film nämlich auch als grenzenlose Sentimentalität vorstellen. Diese Zurücknahme ist die besondere Qualität dieses Films.

Noch eine schöne analytische Beschreibung folgte dem Schlagwort Strategie der Blicke, wie nämlich Hans-Dieter Grabe Bilder aufnimmt – etwa im vietnamesischen Dorf als die Rollstuhlfahrerkolonne einzieht: Einwohner blicken offenen Mundes dem Fremden entgegen – Konstellationen des Sich-Fremdwerdens; Blicke, die Menschen einkapseln werden.

Am Ende der Diskussion ein obligatorischer Schlagabtausch zwischen aufgeregten alten Männern, die ihre Wortkonstrukte bis dato nicht loswerden konnten.