Extra

Wo bleibt die Arbeit?

Duisburger Filmwoche 21
11.11.1997

Podium: Harun Farocki, Hans G Helms, Gertrud Koch, Jean Ziegler
Moderation: Mark Terkessidis
Protokoll: Judith Keilbach

Protokoll

„Wo bleibt die Arbeit?“ lautete die Frage, die in einem Special der Duisburger Filmwoche an Wissenschaftlerinnen und einen Filmemacher gestellt wurde. Zur Einleitung der Podiumsdiskussion faßte Moderator Mark Terkessidis die Rahmenbedingungen zusammen, die Grundlage der gegenwärtigen Umstrukturierung sind. Diese beschrieb er als Reaktion auf die – seit den 60er Jahren zu beobachtende – Krise des Wirtschaftssystems bzw. der Arbeit. So habe sich die Arbeitsorganisation einerseits in Form von Rationalisierungsmaßnahmen, die einer Profitabilitätskrise entgegentreten, verändert, andererseits durch eine Erhöhung der Identifikation mit der Arbeit, die auf die schwache informelle Bindung der Arbeiter {“Diskrepanz zwischen Kopf und Hand“) reagiert. Weiterer wichtiger Aspekt eines Panoramas, in dem neoliberale Anschauungen verankert sind, sei die Veränderung der Vorstellung von Arbeit, die wiederum auf soziale Bewegungen zurückgeht: der Wunsch nach Selbstverwirklichung habe sich, so Terkessidis, inzwischen so verschoben, daß sich der Faktor „Spaß“ in eine Ressource zur besseren Ausbeutung verwandelt habe. Neben einer Reduzierung von Kernbelegschaften und einem Rückgang gewerkschaftlicher organisierter Arbeiter stellte Terkessidis u.a. auch eine „Fraktionierung“ der Entwicklung als Folge dieser Umwandlungsprozesse fest: als erstes werden Frauen und Migranten entlassen.

Gertrud Koch stimmte dieser pauschalen Analyse zwar grundsätzlich zu, setzte jedoch in ihrem Statement andere Akzente. Aus ihrer Perspektive stelle sich die Krise der Arbeit nicht als ökonomisches Problem, sondern vielmehr als ein Problem der Demokratie dar. An Situationsbeschreibungen, die das Auseinanderfallen von „Have und Have-Nots von Arbeit“ konstatieren, müsse sich die Frage anschließen, unter welchem Aspekt diese Erkenntnisse zu betrachten sind. So habe der Arbeitsbegriff beispielsweise in feministischen Diskussionen eine Umformulierung erfahren, indem er nicht mehr als abhängige Lohnarbeit definiert werde, sondern der Blick darauf gerichtet wird, wie Tätigkeiten in Zivilisationen überhaupt verteilt sind. Dabei werde deutlich, daß sich aus der sozialen Verteilung von Tätigkeiten erst ein Begriff von Arbeit herausbildet. Mit diesem kulturalistischen Konzept von Arbeit im Hintergrund eröffne sich, so Gertrud Koch, die Frage, ob die abhängige Lohnarbeit als Mittelpunkt von sozialer Identität zu akzeptieren sei. Diese Relativierung (also: Arbeit ist nicht zwingend identitätskonstitutiv sondern kann auch einfach nur als Erzielung von Lohn und als Reproduktionsfähigkeit verstanden werden) ermögliche es, eine sozial verträgliche Verteilung von Arbeit einzufordern. Unter diesem sozialen Aspekt könne die gegenwärtige Situation als Krise der Gerechtigkeitsvorstellungen beschrieben werden und damit auch als Krise der Demokratie. Diese könne deshalb nicht mehr auf die Übergriffe des gesellschaftlichen Teilsystems Ökonomie reagieren, weil sie selbst inzwischen dem Primat des Ökonomischen unterstehe und sich damit dem systemeigenen Steuerungsmechanismen unterwerfe. Aus Gertrud Kochs Perspektive gelte es zu fragen, welche politischen Instrumente und Institutionen es gibt, um diesem Primat des Ökonomischen entgegenzutreten. Dabei müsse man sich auch darüber klar werden, wie eine Gesellschaft strukturiert sein soll und welche Modi zur Distinktion bedeutsam sein können. Arbeit sieht Koch nur als eine von vielen Möglichkeiten.

Harun Farocki schilderte die Veränderung der Arbeitssituation von Filmemachern, die ebenfalls starken Rationalisierungsmaßnahmen unterliege. Das allgemein gezeichnete Bild von Menschen mit mehreren Jobs und vom Zerfall des Privatlebens, in dem sich die Umstrukturierung von Arbeit gegenwärtig verdichtet, fände im Medienbereich eine „lyrische Aufnahmebereitschaft“. Gleichzeitig erscheinen ihm, seit der Einführung des Privatfernsehens die Orginalitätsermutigungen im Filmbereich lächerlich. llm interessiere gerade der Zusammenhang zwischen den Entmutigungen des originellen (künstlerischen) Ausdrucks und der Rationalisierungsmaschinerie. Auch der Widerspruch zwischen dem Wunsch, die Arbeit abzuschaffen, und der Panik, ohne Arbeit zu sein, wäre von Interesse. „Welcher psychische Apparat ist hier am wirken?“ möchte Farocki wissen. Seine abschließende Bemerkung, daß im Kino von dieser widersprüchlichen Situation nichts zu sehen wäre, knüpft an Fragen des „Ateliers“ an, in dem nach der Abbildbarkeit von Arbeit gefragt wurde.

Hans G Helms faßte die Arbeitsthematik unter dem Schlagwort „Militarisierung der Gesellschaft“ zusammen, wobei er mit dem Begriff Militarisierung auf die steuernde Macht verweist. Der „Militärwissenschaftsindustriekomplex“ habe dafür gesorgt, daß die „Früchte des Computers“ (z.B. Produktionssteuerung, Steuerung von Informationsprozessen) möglichst rasch industriell umgesetzt würde. Der Hinweis, daß die notwendige Technik bereits alt ist und lange Zeit keine revolutionären Umwälzungen von ihr ausgelöst worden seien, ist vermutlich als Abgrenzung gegenüber medientheoretischen Argumenten zu verstehen, in denen gesellschaftliche Veränderungen aus der Wesenheit der Apparate heraus erklärt werden. Helms sieht diese hingegen eher durch die „geballte Kraft aus dem Pentagon“ initiiert. Um 1980 habe sich die Politik aus dem wirtschaftlichen Geschehen zurückgezogen, es könne von einer „Privatisierung der Politik“ gesprochen werden (Deregulierung). Zur gleichen Zeit sei die High-Tech-Entwicklung zur Anwendungsreife gelangt, d.h. Hard- und Software befanden sich auf gleichem Entwicklungsstand. Seither sei der Produktionsprozeß von Systemen (d.h. Computerprogrammen) gesteuert, die die „enteignete Erfahrung von Facharbeitern“ enthielten. Die Qualifizierung ist also, so Helms, in die Programme eingeflossen, wohingegen der Mensch dequalifiziert übrigbleibe. Die Deregulierung führe in Kräftefeld der Globalisierung zu Prozessen, die Helms als „normal“ zyklische und technologisch bedingte beschreibt: der Verlagerung von Zwischenstufen der Produktion in Billiglohnländer wirke die Relevanz der Marktnähe entgegen, so daß sie jetzt in automatisierte Produktionsstufen rückverlagert werden. Als Folge dieses Prozesses ginge der Anteil der Lohnarbeit an der Gesamtproduktion zurück. An diese Analyse schlossen sich unzusammenhängend Spekulationen und pauschale Aussagen über die Zukunft des Arbeitsmarktes und die Globalgesellschaft an, so z.B. die Feststellung, daß Innovationsgeist gefragt sei, um sich seinen Arbeitsplatz zu sichern (ausgeführt am Beispiel von hochspezialisierter Nischenproduktion in der ehemaligen DDR), oder daß das Bröckeln der 1/3-Gesellschaft bzw. globalen 1/25-Gesellschaft große Probleme vermuten lasse.

Der grippekranke Jean Ziegler entschuldigte sich vorab für seine dogmatische These: mit Bezug auf Sartre stellte er fest, daß der arbeitenden Mensch als epistemisches Subjekt (das heißt, als arbeitend die Welt erkennendes und veränderndes Subjekt) verschwinde; die Geschichte werde nicht mehr von diesem Subjekt, sondern vom Finanzkapital gemacht. Dieses Finanzkapital hat dabei nichts mehr mit Produktion zu tun, wie er mit Zahlen belegte: es zirkuliere 18x mehr Kapital als das Kapital, das den Gegenwert der produzierten Güter und Dienstleistungen ausmache. Mit Blick auf das global erwirtschaftete Bruttosozialprodukt sprach Ziegler davon, daß eine Oligarchie den Planeten beherrsche. Er empörte sich darüber, daß in der Weltordnung, die sich diese Oligarchie gegeben habe, zwar ein Imperativ zur freien Kapital-, Güter- und Patentzirkulation enthalten sei, jedoch keine Sozialklausel, die z.B. festschreiben würde, daß nur Güter, die unter „menschlichen Arbeitsbedingungen“ hergestellt werden, an der freie Weltmarktzirkulation beteiligt sein dürfen. Er stellt eine „ontogenetische Tendenz des kapitalistischen Produktionsmodus“ fest, die lange durch Arbeitskämpfe und die Existenz einer Alternative (‘realexistierender Sozialismus’) gestoppt worden sei. Nicht nur der Niedergang der Sowjetunion, sondern auch die Niederlage im theoretischen Klassenkampf würde jetzt dazu führen, daß es die neoliberale Theorie geschafft habe, ökonomische Zusammenhänge und Prädeterminationen im Althusserschen Sinne zu naturalisieren. Wie eine Diskussion unter Astronomen würde sich die Rede über Kapitalflüsse anhören. Das menschenfeindliche Weltwirtschaftssystem sei zum Naturgesetz geworden. Diese Naturalisierung ist nach Ziegler ein qualitativer Sprung: die kapitalistische Ideologie hat sich ihres Ideologisch-Seins entledigt, erscheint als natürlich. Es handele sich also um ein Ende der Ideologie. Dadurch werde der Kampf gegen dieses System wesentlich schwerer.

An Zieglers abschließendes Rousseau-Zitat, wonach die Freiheit unterdrückt und das Gesetz befreit, anknüpfend, verwies Gertrud Koch darauf, daß die Globalisierung in allen Bereichen, außer in der Gesetzgebung stattgefunden habe (eine Institution zur Durchsetzung der Menschenrechte gibt es nicht). Es ginge also darum, bessere Gesetze zu machen.

Die auseinanderklaffenden Positionen versuchte Terkessidis zu bündeln, indem er das Podium fragte, was es heißen solle, daß die Arbeit nicht mehr im Mittelpunkt des Lebens stehen solle. Hier klärten sich nochmals die unterschiedlichen Ansätze, von denen die einzelnen Redner ausgingen: Ziegler präzisierte seine/Sartres Definition des epistemischen Subjekts und erklärte dessen Verschwinden: Rationalisierungsprozesse hätten dazu geführt, daß eine aus der Arbeit/Praxis abgeleitete Erkenntnis nicht mehr möglich sei. Helms stimmte dieser Ansicht zu: die vom Computer dequalifizierten Menschen hätten keine Möglichkeit mehr, die Welt zu verändern, und würden somit dumm werden. Genau diese steuerbaren Menschen, so Helms, seien das Ziel des Pentagons. Gertrud Koch stimmte der Zustandsbeschreibung zu, daß es immer weniger und immer qualifiziertere Arbeit gebe, warnte aber davor, die Arbeit zu fetischisieren. Auffallend sei doch beispielsweise, daß in der Rede von der Arbeit immer nur über qualifizierte Jobs gesprochen werde. Das Bild, das dabei von der Arbeit entstehe, sei jedoch nicht mehr gültig. Am Beispiel der beiden Filme GANZ UND GAR NICHT und BALLERMANN 6 wies Koch auf die sozialpsychologischen Folgen der veränderten Arbeits(losigkeits)situation hin. Beispielsweise verdeutliche sich hier das Wirken von „Body Politics“ (was machen Männer mit ihren Körpern, wenn diese nicht mehr zur Arbeit eingesetzt werden?) oder auch, wie sich Teilzeitarbeitslose die Welt vorstellen. Es darf, so Koch, nicht übersehen werden, daß hier auch Neues freigesetzt werde, daß (bei uns) eine Entlastung von der Arbeit stattfinde.

Nach einem Abgleich der Informationen über die geplante oder vollzogene Privatisierung der Sozialpolitik in den USA und der BRD unter den Referenten stellte Ziegler seine These vom Zivilisationsbruch in den Raum, den er wortgewaltig mit Kant als „Abbruchkante der Zeit“ umschrieb. Durch das Verschwinden der Arbeit gebe es keine „Verhandlungsmasse“ mehr (die bisher der Generalstreik war), mit der Gespräche über eine Umverteilung geführt werden könnten. Von dieser „Freiheit von der Arbeit“ habe Marx geträumt, das Problem sei nun jedoch, daß die gesellschaftliche Kontrolle auf die „Killerkapitalisten“ der Oligarchie übergegangen sei. Mit Bezug auf französische Soziologen stellt Ziegler fest, daß der Mensch nicht mehr eine Funktionszelle im System sein wolle. Opposition drücke sich heute jedoch lediglich in den – von Ziegler negativ beschriebenen – „Identitärbewegungen“ aus, in denen sich die Menschen von der Welt abklemmen würden. Die Dialektik der Gesellschaftszerstörung öffne ein Loch, in dem beispielsweise Moral, Gesellschaft, Demokratie usw. verschwinden würden. Hier widersprach Gertrud Koch: möglicherweise stelle sich die Zukunft aus sozialdemokratischer Sicht (des vom Kommunismus konvertierten Zieglers) als Loch dar, es gebe jedoch durchaus Gruppenbewegungen, die dem von Ziegler gezeichneten repressiven Modell nicht entsprechen würden (hier fiel das Stichwort „Civil Society“). Gegen die Fetischisierung der Arbeit und als Beleg der von Ziegler beschriebenen Naturalisierung versuchte sie einen historischen Blick zu aktivieren: die Oberschicht habe sehr lange ohne Arbeit/nicht arbeitend gut gelebt. Allerdings sei sie mit Zieglers von Sartre ausgehenden Argumentation nicht einverstanden, denn Sartre habe eine starke Idee vom Entwurf, vom sich ständig neu entwerfenden Menschen gehabt. Die Arbeit müsse dabei nicht im Zentrum stehen.

Die Fragen aus dem Diskussionspublikum stimmten einerseits in die pessimistische Situationsbeschreibung mit ein, andererseits wurde nach Oppositionsmöglichkeiten und neuen Erkenntnissubjekten gesucht. In einem dialektischen Weltbild, so ein Redner, müsse es doch noch etwas anderes als den Neoliberalismus geben. Zieglers Beschreibung von gesellschaftlicher Macht, mit der er diesem Statement indirekt antwortete, kreiste nur um das spekulative Kapital. Er könne kein Kollektivsubjekt identifizieren, das an der symbolischen Produktion mitwirke. Von einem dialektischen Weltbild, so scheint es und so deuten es auch seine Verweise auf Althusser an, ist Ziegler längst abgewichen. Auf eine weitere Nachfrage, wonach es doch nicht sein könne, daß auch die Opposition nur in einer negativen Bewegung zu beschreiben sei, unterstützte Koch Ziegler, indem sie eine Metaperspektive einnahm: mit der Veränderung und zunehmenden Komplexität der Erkenntnismodelle, die sich beispielsweise bereits in der Schwierigkeit eines Beobachterstandpunkts manifestiere, sei die Annahme eines integrierten Subjekts, das die Welt verändern könne, aufgegeben worden. Daher sei auch die Vorstellung der Handlungsmöglichkeiten von Menschen bescheidener geworden. Helms schloß die Diskussion mit einem Beispiel aus der Berliner Stadtplanung ab: das Interesse der Bevölkerung habe gezeigt, daß es auf eine Verknüpfung von Einzelinteressen ankomme, daß rätedemokratische Elemente gestützt werden müßten.

Da hierfür jedoch eine Diskussionskultur notwendig ist, die nicht nur auf Statements basiert sondern ein gegenseitiges Zuhören und Eingehen erfordert, rückt Helms‘ Utopie, betrachtet man den Verlauf der Duisburger Diskussion, in weite Feme. Lediglich das Paar Ziegler/Koch lieferte intellektuell anregende Gedanken(widersprüche). Das Protokollieren stellte sich dabei als um so schwieriger heraus.

 Mark Terkessidis, Hans G Helms, Jean Ziegler v.l. © Ekko von Schwichow
Mark Terkessidis, Hans G Helms, Jean Ziegler v.l. © Ekko von Schwichow