Film

Verrückt bleiben, verliebt bleiben
von Elfi Mikesch
DE 1997 | 88 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
12.11.1997

Diskussion
Podium: Elfi Mikesch
Moderation: Sabine Fröhlich, Didi Danquart
Protokoll: Liane Schüller

Protokoll

„Und doch ahnen gerade im Stande der Liebe manche vernünftigen Subjekte ganz plötzlich, daß die Verrücktheit da ist, möglich ist, ganz nahe ist: eine Verrücktheit, in der die Liebe selbst unterginge“. (R.Barthes)

Die unerwartet doch noch angereiste Regisseurin Elfi Mikesch wurde nach der Filmvorführung mit tosendem Applaus belohnt. Und auch der immense Andrang im Diskussionsraum bestätigte das große Interesse und die Begeisterung einer Vielzahl von Besuchern.

Didi Danquart stürzt sich und die Gesprächsrunde in medias res und fragt, wie Elfi Mikesch an den Protagonisten des Films – Torsten – gekommen sei, was sie an ihm interessiert habe, wie die Zeit mit ihm gewesen sei.

Mikesch berichtet, daß sie Torsten, der gerne mit nach Duisburg gekommen wäre („Ich bring’ ihm den Plan von der U-Bahn mit“), übers Kino kennengelernt habe. Nachdem sie ein Feature über ihn gesehen hatte, habe sie ihn kennenlernen und eine neue Geschichte mit ihm erzählen wollen. Torsten sei, u.a. durch die Filmarbeit, ein Mensch geworden, der seine Scheu zu überwinden sucht. Dann komme er und umarme die Menschen, erzählt Mikesch. Es sei eine interessante, manchmal bedrohliche Arbeit gewesen, bedrohlich in dem Sinne, daß es während der Dreharbeiten plötzlich geheißen habe, Torsten sei sehr krank geworden. Zusätzlich habe er sich in dieser Zeit- wie so oft – unglücklich verliebt. Durch den Film habe er die Kraft bekommen, seine Krankheit zu überwinden. Torsten sei STELLVERTRETER FÜR VIELE. Der Film zeige, so Mikesch auf einen Einwurf aus dem Publikum hin („Torsten wirkt am Ende des Films glücklicher“), daß uns oftmals die KREATIVITÄT fehlt, um glücklich zu sein. Aus diesem Grunde sei auch das Theater Thikwá so wichtig gewesen. Für sie sei von Bedeutung, welche Fragen der Film, welche Fragen Torsten aufwerfe. Er sei ein herzlicher und offener Mensch, wie man ja im Film sehen könne, „er macht einem nichts vor“.

Wie mit der unglücklichen Liebesgeschichte von Torsten umgegangen worden sei, will Pepe Danquart wissen. Mikesch erzählt, wie Torsten sich immer und immer wieder unglücklich verliebe und wie die damals involvierte Frau sich „übernommen“ habe. Torsten habe sich vor die U-Bahn schmeißen wollen. (Im Film sagt Torsten bezeichnenderweise: „Die U-Bahn ist noch nicht vergeben – die bleibt mir treu. Mit den Frauen ist das so ein Problem …“). Letztlich wünsche er sich nur, wie doch alle, (s)eine LIEBE zu finden.

„Das war ein großartiger künstlerischer Film“, lobt ein Mann aus dem Auditorium, „es werden Themen angesprochen, die die ganze Welt angehen“. Dennoch zeige er in der Darstellung eine nur schokoladenartige Seite. Dinge, die woanders lägen als da, wo es so WUNDERBAR sei, würden nicht gezeigt. Das sei ihm zu kurz gekommen.

Das war eine bewußte Entscheidung, erklärt Mikesch. Es läge an uns, nach diesem Film in die Welt zu gehen und die Probleme und das, was hinter den Dingen liege, wahrzunehmen. Sie habe Torsten nicht noch mehr belasten wollen, es wäre ein zu großes Risiko gewesen. Man könne letztlich alles an seinem Gesicht ablesen. E.s sei doch bereits so viel gesagt und gezeigt worden. Wir alle würden schon so viele Filme kennen. Torsten erzähle uns etwas Neues, gebe uns eine neue Geschichte, KRAFf.

Auf die Frage, wie es dem Protagonisten nach dem Film gegangen sei, ob er in ein Loch gefallen sei, antwortet die Regisseurin, daß Torsten oft und voller Neugier mit im Schneideraum gesessen habe. Auch habe er, nachdem der Film angelaufen sei, begonnen, jeden Tag die Vorführung zu besuchen. Er habe durch Gespräche Kontakt mit dem Publikum gehabt. Torsten sei nicht in ein Tief gefallen. Der Film habe auch ihr letztlich ein Geschenk gemacht. Das Geschenk der FREUNDSCHAFT mit Torsten.

Auf welche Art und Weise der Protagonist gezeigt werde, die Einstellungen, die Kamera – überall werde spürbar, daß da eine GRENZE, eine Gefährdung sei, fügt Ruzicka hinzu. Gleichzeitig mache der Film deutlich, daß man auch· im Dokumentarfilm KÖRPERLICHKEIT, Erotik zeigen könne. Die Szene, in welcher Torsten dem Mädchen in Budapest begegne, zeige Erotik im Entstehen. Berührung von Körpern, Erotik, Sexualität seien wunderschön in solchen Sequenzen vermittelt worden.

Es ist etwas in Gang gesetzt worden, beschreibt Elfi Mikesch, neue Erfahrungen. Vielleicht werde Torsten das Mädchen aus Budapest wieder besuchen, auch wenn sie natürlich ein TRAUM bleibe – Euridike. „Ich setze einen Impuls und das bewirkt etwas. Das kann der Dokumentarfilm“.

„Hat Torsten ein gutes Gedächtnis?“ will tatsächlich jemand wissen. Das habe man doch in der „Woyzeck-Szene“ mit Thikwá-Regisseur Peter Wehr sehen können, so Mikesch. Die intuitive Intelligenz von Torsten, die sich dort manifestiere, habe sie regelrecht umgehauen. Mancher professionelle Schauspieler könne sich davon etwas abschneiden.

Pepe Danquart möchte wissen, wie die Szenen vor dem Löwenkopf und mit den Filmausschnitten aus dem Dritten Reich entstanden seien. Nochmals betont Mikesch, daß ihre Methode darin bestünde, einen Impuls zu geben und dadurch die Geschichte weiterzuführen. Die Szene, bei welcher er von Tim (dem „roten Fabelwesen“) von den Schreckensbildern des Holocaust weggeholt werde, sei eine Hommage an einen Film der portugiesischen Regisseurin Teresa Villaverde. „So einfach sind die Zusammenhänge von INSZENIERUNG und REALITÄT“.

Thomas Rothschild meldet sich zu Wort und stellt fest, dies sei der schönste Dokumentarfilm, den er in diesem Jahr gesehen habe. Was ihm gefalle, sei die „Artifizialität“ (das Artifizielle?) des Films, Überlappungen von Text und Bild, das Nicht-Chronologische, die Dramaturgie eben. Der Film habe eine Spielfilmstruktur, die unheimlich aufregend sei im Dokumentarfilm. (Die „Spielfilm-Dokumentarfilm-Debatte“ zwischen Angela Haardt und Thomas Rothschild vermochte sich an diesem Punkt der Diskussion nicht durchzusetzen).

Sie müsse sich diesbezüglich bei der Cutterin Heide Breitel bedanken, die gekürzt und gestrafft habe, wo es nötig gewesen sei. Breitel habe selbst schon Filme über Behinderte gemacht, was sehr hilfreich gewesen sei.

„FRIEDEN, MENSCHLICHKEIT, ein MITEINANDER-UMGEHEN. Ein wunderschöner Film“, kommt aus dem Publikum.

Eine Szene sei ihm besonders eindrücklich gewesen, erklärt Ekko von Schwichow. Nach Torstens Sprechen über seine Erlebnisse mit sexuellem Mißbrauch folge anschließend ein Schnitt in den V-Bahn-Schacht. Hier sei gar nichts Schokolade, sondern DER PURE ABGRUND.

Auf Sabine Fröhlichs Nachfrage, wie denn die Visualisierungen von dem, was Torsten denke und empfinde, von ihr nun umgesetzt worden seien, erzählt Mikesch, daß sie ein Atelier im Künstlerhaus Bethanien gemietet hätte, wo diverse Szenen entstanden seien. Sie habe zu Torsten gesagt: „Der Film ist ein Haus. Du kannst es gestalten mit mir“. Das sei letztlich das Drehbuch gewesen. „Auf diese Weise sind die Geschichten entstanden“.

Folgendes gibt Elfi Mikesch dem Auditorium mit auf den Weg: Einen AUSDRUCK FÜR DAS EIGENE LEBEN SCHAFFEN. Das sei es, was wir von Torsten lernen könnten.

– „Boah, war das gutmenschlich“, hört man jemanden im Herausgehen sagen. –

 Elfi Mikesch, Sabine Fröhlich v.l. © Ekko von Schwichow
Elfi Mikesch, Sabine Fröhlich v.l. © Ekko von Schwichow