Film

Todesspiel
von Heinrich Breloer
DE 1997 | 174 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
15.11.1997

Diskussion
Podium: Heinrich Breloer
Moderation: Klaus Kreimeier
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

Klaus Kreimeier eröffnet die Diskussion mit vier Überlegungen, die das ‚strittige Potential‘ des Films zu umreißen suchen: Mit „Todesspiel“ steht ein wichtiges Fernseh-Ereignis zur Debatte, doch fehlt es bislang an einer breiter angelegten, politisch-ästhetischen Diskussion auf Seiten der Linken, „die es angehen müßte“. Ebensowenig thematisiert wird die Verflechtung der Ereignisse im ‚Deutschen Herbst‘ mit dem Niedergang einer linken Bewegung bzw. ihrer Einbuße an analytischer Kraft. Als besondere Qualität des Films beschreibt Kreimeier eine veränderte Blickrichtung, die einerseits den Opfern der LandshutEntführung Raum gibt und sich andererseits zu einer Analyse der Staatsraison vortastet Zuletzt stellt sich die Frage nach einer spezifischen Methode, die im Werk Breloers bereits eine ‚Erfolgsgeschichte‘ hat: Die Kombination dokumentarischen und inszenierten Materials geht als offensive Konsequenz aus der Einsicht in den Konstruktionscharakter jedes Bildes hervor. Allerdings stößt Breloer damit an eine Grenze vor, auf deren anderer Seite die Kommerzialisierung und Serialisierung seiner Erzählstrategien durch Privatsender nur allzu gegenwärtig ist.

Breloer grenzt sich gegen die Imitationsbestrebungen der Privaten mit Hinweis auf den Mangel an Analyse und politischer Horizont-Tiefe ab. Auch sei dem Verlangen von RTLChef Thoma, Filme wie „Todesspiel“ noch rasanter zu schneiden, schlichtweg nicht nachzukommen. Bei der Kürzung seiner ursprünglich längeren Fassung (240 Minuten) auf das hegemoniale Sendeformat (2 x 90 Minuten) sei er bereits bis an die Grenzen gegangen. Auch einen Kommentar-Teil am Anfang habe er in gekürzter Form an anderer Stelle plaziert, um nicht gleich Zuschauer zu verlieren. In der Tat, zugesehen haben viele: 5 Millionen waren es genau, und diese Zahl wird in der Diskussion wiederkehren, bis sie zuletzt als einzig bleibendes Kriterium der Qualität mit zunehmender Verbissenheit skandiert werden muß.

Das Protokoll kann neben verstreuten Sach-Informationen von hier an nur noch das Scheitern einer Diskussion nachzeichnen. Dieses Scheitern beginnt mit der Verengung aller Fragen, die sich inhaltlich auf die in „Todesspiel“ vorgetragene Version historischer Wahrheit, ästhetisch auf deren Konstruktionsform beziehen, zur Frage nach den Mord- und SelbstmordHypothesen, die die Tode von Stammheim umgeben. Einer ersten kritischen Nachfrage, ob nicht auch die zahllosen Unstimmigkeiten hätten aufgegriffen werden müssen, begegnet Breloer polemisch: Er habe nicht mehr ‚kokett mit der blöden Theorie des Mordes herumspielen‘ und damit junge Leute noch ex post an die RAF binden wollen. Nahezu automatisch vollzieht sich nun die Frontenbildung, denn einige Zuschauerinnen verlangen nach einer umfassenderen Darstellung, in deren Rahmen dann auch die andere Seite vermehrt hätte zu Wort kommen können. Ganz zu Recht besteht Breloer auf den eigenen Auswahlverfahren und Entscheidungen (Auslassungen sind in jedem Film grundsätzlich unvermeidlich); zudem habe beispielsweise Irmgard Möller für ein Interview nicht zur Verfügung gestanden. Dagegen ist es der differenzierten Auseinandersetzung mit dieser Frage wenig dienlich, wenn der Regisseur herablassende Bemerkungen wie ‚Die hatte nichts zu sagen‘ anschließt, und die ‚Wahrheit‘ implizit als justiziabel definiert: Wer aufgrund falscher Aussagen bereits verurteilt wurde, braucht im Film nicht mehr befragt zu werden. Auch ein Insistieren auf den Zeugenaussagen von Vollzugsbeamten sowie der Glaube an ein rationales Verhalten deutscher Beamter im Beisein holländischer Kollegen tragen zuletzt dazu bei, einen Verdacht zu stabilisieren, den Breloer als ideologische Grobschlächtigkeit gerade zurückweisen möchte, nämlich: er habe einer „Staatsversion“ des ‚Deutschen Herbsts‘ seine Stimme geliehen. Wenn der Autor eine zweite (Gegen-)Version der Dinge gänzlich ausschließt, reduziert sich Wahrheit in einer Weise auf den Gestus des Autoritären, daß es zuletzt unwichtig wird, ob man Autorität hier mit ‚dem Staat‘ oder anderen Institutionen identifiziert.

Damit ist die Frontenbildung nahezu abgeschlossen. Breloer, der sich auf entsprechende Kritik vor-eingestellt haben muß, sieht sich immer wieder genötigt, die staatlichen Verfahren der Wahrheitsfindung zu verteidigen, indem er beispielsweise auf die Beziehung ausländischer Gutachter verweist. Ein gewisses Schwanken zwischen dem berechtigten Beharren auf dem persönlichen Blick und der Bestätigung staatlicher Befunde, die dann im Nebensatz noch gegen eine Kritik Sartres an der ‚Isolationsfolter‘ („Unsinn“) gewendet werden, verwischt etwaige Differenzen zwischen der Position des Autors und einer offiziellen Version der Geschichte. Der Kritik an einer monologischen Erzählform, die andere Stimmen und Widersprüche kaum zuläßt, begegnet Breloer dann schon mit dem verstärkenden Hinweis auf die Mehrheitsmeinung: „Den meisten hat’s gereicht. Ich fand das so richtig.“ Auch im weiteren Verlauf der Diskussion ei“Weist es sich trotz verschiedener Ansätze als gänzlich unmöglich, diese Frage nach einem poetologischen Prinzip von Mehrstimmigkeit (wie es etwa den Interview-Strategien Alexander Kluges oder Marcel Ophüls’ zugrundeliegt) von der ideologischen Konfrontation abzulösen, die in allseits erhitzter Stimmung zunehmender Vergrößerung verfällt. Fast schon findet hier eine Debatte zwischen imaginären Positionen statt – „Staatsversion“ auf der einen Seite, linke Legendenbildung auf der anderen -, die eigentlich niemand vertreten wollte.

Dazwischen legen sich Schneisen der Sach-Information, wenn Breloer auf eine Frage Werner Ruzickas zur Konzeption der inszenierten Passagen die eigene Vergehensweise erläutert. Die Recherche beginnt mit der Suche nach Zeitzeugen und zahlreichen Interviews, aus denen sich dann der rote Faden einer Geschichte ableiten läßt. Besonders nachhaltig Erinnertes kann den Anlaß für mögliche Spielszenen geben, andererseits entstehen schon im Vorlauf von Lektüre und Recherche Ideen für derartige Szenen. Erst im Schneideraum kam es zur Kombination zweier fast selbständiger Filme, des fiktionalen mit dem dokumentarischen Material: Breloer beschreibt das als Prozeß der Verdichtung, der beispielsweise eine Identifikation der realen Interviewpartner mit den Darstellern der Spielszenen erlaubt. Um die Verankerung des Films in der Gegenwart (anstelle einer historiographischen Distanzierung des Gewesenen) geht es, wenn etwa die aufgeregte Erinnerung der Landshut-Geiseln in Form von Interview-Fetzen zwischen die Spielszenen geschnitten werden. Auf diese Weise habe er das Gefühl aufbrechen wollen, das sei „alles gut erfunden“, erklärt Breloer und grenzt sich mit dieser Strategie der Brechung noch einmal gegen ‚Reality TV‘ ab.

Kritisch beschreibt dagegen eine Publikumsstimme den ‚Realismus’ der Inszenierung, der weniger eröffne als die Interviews; insbesondere die Szenen in der entführten ‚Landshut’ dienten der Verharmlosung. In Wirklichkeit sei es härter zugegangen, stimmt Breloer zu: Da gab es häßliche Details, weitere Mißhandlungen der Geiseln, von denen einige in die Sitze gepinkelt haben. Gezeigt wird das im Film nicht, weil für die kleinteilige filmische Auflösung solcher Vorgänge keine (Sende-)Zeit mehr gewesen sei. In dieser Erklärung scheint abermals die Autorität der Zuschauerquoten auf, die dem Regisseur immer wieder Recht geben, und so artikuliert Breloer auch vollstes Vertrauen in die Mechanismen des Marktes: Erfolgreiche Ideen setzen sich durch. Dies zirkuläre Argument illustriert wohl auch den (unvermeidlichen?) Prozeß vorweggenommener Anpassung, doch erweist es sich insgesamt als unmöglich, seine Konsequenzen für die Ästhetik des Films zu diskutieren.

Warum die Inszenierung nicht deutlicher als solche kenntlich gemacht wurde, wollte Thomas Rothschild wissen, und er verweist dazu auf Brecht’sche Techniken der Brechung; „Todesspiel“ präge in seinen Spielszenen dagegen einen Pseudo-Realismus aus. Von hier aus hätte die Frage nach dem Konstruktionscharakter auch der dokumentarischen Bilder, wie sie Klaus Kreimeier eingangs skizziert hatte, präziser diskutiert werden können: Wenn verschiedene Zuschauerinnen eine Brechung des Fiktionalen durch die Interviews nicht erkennen konnten, leistet der Wechsel der Ebenen allein es offensichtlich noch nicht, Konstruiertheit als solche sichtbar zu machen. Davon abhängig ist im weiteren die Frage nach der ‚offiziösen Sichtweise‘ des Films: Unabhängig von expliziten Aussagen – ob in Interviews oder Spielszenen- kann es die Rahmung der Bilder in ihrer Kombination leisten, die ‚Wahrheit‘ des Films als Konstruktion kenntlich zu machen, sie als eine Version unter den konkurrierenden Bildern vom ‚Deutschen Herbst‘ zu annoncieren. Diese Frage blieb indes ebenso unbeantwortet wie jene nach der Erzähler-Instanz in „Todesspiel“: So emphatisch Breloer sich auch zu einer persönlichen Meinung bekannte, so wenig war es zugleich möglich, der Artikulation dieses prononciert subjektiven Standpunktes im Film nachzuspüren. Nur, wenn sich ein solcher Standpunkt im Film konturiert, wird es schließlich möglich, die Version eines greifbaren Erzähler-Ich (anstelle objektiver Wahrheit) zu kritisieren. Auch in diesem Punkt blieben Breloers Ausführungen ambivalent, denn ein Ich ohne den Anderen (und eine andere, glaubwürdige Version der Dinge gibt es ja nicht), schließt sich dann eben doch mit der über-subjektiven Wahrheit kurz.

Kritisch fragte Thomas Rothschild auch nach dem Rezipientenprofil: Das Bewußtsein, auf das der Film treffe, sei doch kaum durch Sympathie für die RAF zu charakterisieren, vielmehr habe die deutsche Bevölkerung damals nach umstandsloser Exekution der Inhaftierten verlangt. Insofern sei das Pathos, eine Lüge über die Tode von Stammheim aufklären zu wollen, gänzlich unangemessen. Breloer beharrt dagegen auf der Notwendigkeit, eine ‚Wunde aufzustechen‘. Diese Formulierung könnte nach Reality TV klingen; allerdings bietet der Autor noch eine andere Beschreibung seines Verfahrens an: die Mechanik der Geschichte offenlegen, damit sie diskutabel wird. Einem solchen Programm ist im Prinzip wohl zuzustimmen, doch trat genau dieser Effekt zumindest in Duisburg nicht ein. Bestimmend waren für die Diskussion statt dessen die Chimären einer ideologischen Konfrontation, die mittlerweile zwanzig Jahre alt ist. Mir stellt sich daher auch weiterhin die Frage, warum es über eine solche Distanz hinweg nicht möglich ist, anband eines Films über die RAF das ästhetisch-formale Problem der Wahrheitskonstruktion und ihrer Angreifbarkeit, monologischer oder dialogischer Erzählprinzipien zu diskutieren. Wo immer sich entsprechende Ansätze boten, wurden formale Kategorien sofort in ideologische übersetzt, und so hat das Gespräch mit Heinrich Breloer die Zweifel an einer Differenz zwischen dem subjektiven Standpunkt eines Autors und der Stimme der Autorität – ganz gleich, ob man diese Autorität als ‚Geschichte‘ oder ‚Staat‘ oder vielleicht auch nur als mehrheitliche Konsensbildung im Modus der Zuschauerquote benennen will – am Ende nur bestärkt.