Film

Barluschke
von Thomas Heise
DE 1997 | 94 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 21
15.11.1997

Diskussion
Podium: Thomas Heise, Peter Badel (Kamera)
Moderation: Didi Danquart
Protokoll: Christian Steinhauer

Protokoll

Die Dunkelheit des Kinosaals schien sich in der Filmprojektion von BARLUSCHKE nicht auf gewohnte Weise aufzuklären, und so wie das Prinzip des Geheimdienstes über eine von außen undurchsichtige Verteilung von Wissen und Verschweigen funktioniert, die gleichermaßen faszinierend wie abstoßend wirkt, so hatte auch BARLUSCHKE im Urteil der meisten Duisburger professionals einen Eindruck von gothic und gloom hinterlassen. Voller Spannung und emotionaler Aufwühlung hatte Didi Danquart das Kino verlassen, um in der Diskussion ein paar Schneisen in die Nebel zu schlagen, die nicht nur Geheimdienste sondern offenkundig auch Dokumentarfilme verbreiten können (eine merkwürdige Parallele, so Heise: Geheimdienst und Dokumentarfilm akkumulieren ein Wissen über den Menschen, das die eigene Selbstkenntnis übersteigt).

Von den Schwierigkeiten, Berthold Barluschke näher kennenzulernen, berichtete Thomas Heise, immerhin sei B.B. ein Mensch, der wie ein Schauspieler auftrete, selbst Erfahrung mit der Kamera habe, der beredt vieles in seinem Leben im Dunklen lasse, Offenheit ankündige, dann aber nicht einlöse und seine Biographie mit Lügen und Legenden umgebe – alles andere als ein Sympathieträger also, und einzelne Teilnehmer des Duisburger Publikums charakterisierten B.B. als „gefährlichen Typ“ oder gar als „widerlichen Zombie“.

Didi Danquart sah in der Konzeption des Films viele Themen angesprochen, Themen, die dann immer wieder abgebrochen würden und so anstelle einer abgeschlossenen Geschichte auf Abgründe hinter der Oberfläche verwiesen. In einer Arbeitsweise Heises, die Danquart als „pur“ bezeichnete, reflektiere sich diese Offenheit: sichtbare Schnitte, keine stringente Chronologie, Schwarzblende – diese Techniken machten deutlich: Man sieht nicht das Leben, sondern einen Film (über ein Leben, das sich selbst wie ein Film liest). Stefan Reinecke charakterisierte BARLUSCHKE als dezidiert „anti-journalistisch“: Die Geheimdienstthematik, B.Bs. HIV-Infektion, das seien Themenkreise, in die ein Journalismus a la Stern-TV eingestiegen wäre. In BARLUSCHKE aber erscheine das Journalistische en passant (etwa als Nachrichtenticker zu B.Bs. Waffengeschäften), der Film funktioniere eher wie ein „Märchen“, das Geheimnisse und Rätsel aufgebe, die nicht aufzulösen seien.

Thomas Heise wollte denn auch gar nicht die ‘vordergründigen’ Themen bearbeiten, das wäre zuviel für einen Film gewesen, dazumal etwa die Geheimdienstthematik noch gar nicht aufgeklärt sei. Mit BARLUSCHKE sollte vielmehr einen Typus aus diesem Milieu beschreiben werden, wobei zu viele Detailinformationen dieser Absicht widersprochen hätten. Die Abgründigkeit, die sich aus den Lücken und Rätseln des Films ergibt, und die etwa Danquart, Reinecke und auch Herbert Schwarze (BARLUSCHKE als „Arbeit über Sprachlosigkeit“) beeindruckt hatte, sorgte bei anderen Zuschauern für Enttäuschung: B:eise führe bestimmte Themen ein, lasse den Zuschauer dann aber „regelmäßig im Regen stehen“: Welche Geschichte Reise eigentlich erzählen wolle, wurde da gefragt. BARLUSCHKE erzähle sehr wohl eine Geschichte, so Danquart, freilich werde auf der Kommentarebene das Interesse auf die Lücken, auf das Ungesagte gelenkt. Auch Heise bestätigte, daß der Film zu Beginn ein Bild des Umfeldes und der Familie von B.B. liefere, sich dann aber von diesem oberflächlichen Trugbild einer heilen Welt abwende.

Bei soviel Tiefgründigkeit und Mut zur Lücke blieb die Frage, inwieweit diese Perspektive eine Interpretationsleistung des Films ist oder ob BARLUSCHKE sich einfach den gefährlichen Spielen und (Selbst-)Täuschungen des B.B. ausliefert? Didi Danquart betonte die „eigene Interpretation“ des Autors, die sich u.a. in Heises (Hinter-)Fragen von B .Bs. Selbstdarstellungen und in den „Befreiungsschlägen“ (etwa in der Szene einer ‘Fluchtfahrt’ aus Paris) zeige. Thomas Heise räumte den Einfluß von B.Bs. Eitelkeil und Schauspieltalent auf die Struktur des Films ein, berichtete aber auch von ungewöhnlichen, beinahe sympathischen Verhaltensweisen, zu denen B.B. durch die Dreharbeiten motiviert worden sei (B.B. geht mit seinen Kindern gemeinsam essen!). Insgesamt also eine „extrem schwierige“ Ausgangslage für den Film, wie eine Stimme des Auditoriums erkannt hatte (Heise wollte die Dreharbeiten auch schon einmal abbrechen), doch gelinge BARLUSCHKE die Auseinandersetzung mit B.B., denn der Film „demaskiere“ in einzelnen Szenen die Strategien des Protagonisten.

Die (journalistische) Enttarnung vermeintlich kaltblütiger Agenten hat freilich immer einen ambivalenten Status: Im Einzelfall beruhigt sie, weil sie eine negative Identifikation über das demaskierte Böse (das immer das andere ist) suggeriert. BARLUSCHKE aber, so ein Tenor der Diskussion, hält jenes Bewußtsein wach, wonach die Figur des Agenten auch nach Quittierung des Dienstes fortbesteht. Aus der Sehnsucht einer besonderen Existenz des tätigen Agenten entwickeln sich im komfortablen Ruhestand dann „Ersatzgeschichten“ und „Utopien des Restlebens“ (Stefan Reinecke), die sich vom Vor-Leben nicht wirklich befreien. So wie B.B. sieb im letzten Satz des Films in der gewohnten (Selbst-)Täuschung einredet, „Mittenwalde nicht mit nach Paris zu nehmen“, bleibt vielleicht der Verdacht bestehen, daß die dunklen Mächte des Geheimdienstes wie fortbestehende Chiffren des Lebens zu lesen sind: Mittenwalde ist dann nicht das ganz andere und ferne, sondern auch das eigene und überall.

Eine schöne, eine genaue Diskussion – und vor allem: TSCHÜSS DIDI! (Wiedersehen macht Freude)