Film

Tierische Liebe
von Ulrich Seidl
AT 1996 | 114 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 20
09.11.1996

Diskussion
Podium: Eva Hohenberger, Werner Ružička, Constantin Wulff
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

In Abwesenheit des Regisseurs und der am Film Beteiligten fanden die festivalseitig erhofften oder befürchteten Entladungen affaktivischer Erhitzung nicht statt. Vielleicht hat die Epoche moralisch abgestützter Ich-Entäußerungen schlicht ihr Verfallsdatum erreicht (was wünschenswert wäre) – als lauernde Erwartung unterlag sie jedenfalls noch dieser relativ verhaltenen, sach-orientierten und distanzierungsbewußten Debatte. (Wird sich nicht jemand ereifern, sich glaubwürdig spontan empören – nein?) Nur eine einzige Stimme wurde da laut: „viel zu erregt“ für distanziertes Sprechen über diesen Film fand eine Zuschauerin bloß ein Wort noch, „widerwärtig“ … doch das verhallte schnell. Eine weitere Stimme reflektiert darauf die eigene Ungerührtheit: Uber diese Form, Protagonisten „vorzuführen“ habe er sich im letzten Jahr noch geärgert, diesmal war’s schon Grund zum Lachen. Abstumpfung? Erkenntniszuwachs? Der nurmehr referierten eigenen Empörung auf die Spur kommen wollte jedenfalls Eva Hohenberger, die sich zugleich weigerte, das einleitend beschworene Contra („Skandalfilm!“} zu personifizieren und stattdessen eine Auseinandersetzung mit formalen Elementen, mit den ‚Einstellungen‘ des Films im technischen wie im rezeptionsästhetischen (?) Sinne anregte.

Auf der Spur der (ausgebliebenen oder ausgegrenzten} Empörung wovitierte das Gespräch um die Relation von ‚Inszenierung‘ und ‚Dokumentation‘. Ulrich Seidl beobachtet nicht zufällig entstandenes, er inszeniert seine (bezahlten oder zumindest materiell entschädigten) Darsteller, probt jede Szene mehrfach, greift in gesprochene Texte ein, indem er ‚echte‘ Dialoge reduziert, kondensiert. Seine frühere Unzufriedenheit mit den eigenen Arbeiten habe stets dem Unerwarteten, dem unbeherrschbaren Element des Dokumentarischen gegolten, weiß Constantin Wulff (also der Genre-Substanz?). Demnach könnte sich die Ungerührtheit der Zuschauer (der meisten?) dem ‚Selbstdarstellungsspiel‘ verdanken. Es ist schließlich niemandem weh getan worden – oder doch? Die sich beißenden Hunde waren nicht inszeniert, da ist echtes Tierblut geflossen (mit oder ohne Kamera, so die implizite Annahme}: ein letztes Residuum des Dokumentarischen? Inszenierung heißt beim Tier Dressur: Ein Begriff, der durchaus Deformation und Schmerz konnotiert, doch scheint sich das nicht einfach auf den menschlichen Darsteller rückübertragen zu lassen. Im Gegenteil: Inszenierung lindert offensichtlich Mitleid und Schock, die das Publikum punktuell erfaßt hatten. Trotz der so deutlichen Inszenierungen habe er aber einen gewissen Etikettenschwindel empfunden, sagt ein Zuschauer: Wurden einzelne Darsteller nicht überfordert, insofern benutzt? Dem Befund ‚ästhetischer Strenge‘ hält Lothar Schuster eine ‚verwaschene Ästhetik‘ entgegen, die Inszenierung und Dokumentation gerade nicht kenntlich differenziert. Die klare Kälte der Stilisierung helfe, sich von der moralisch impulsiven Reaktion zu entfernen, findet dagegen eine Zuschauerin; damit ermögliche der Film einen nüchternen Blick aufs Wesentliche. TIERISCHE LIEBE stoße an Grenzen vor, überschreite sie bisweilen.

Zwei Grenzen kommen damit in den Blick: die formale (Fiktion/Dokumentation) und die soziale. Auch wenn man, laut Auskunft Dietrich Leders, „in Wien allgemein weiß, daß der Mensch polymorph-pervers ist“, fällt anderen Zuschauern auf, daß hier der soziale Unterleib dem (vermutlich) vorwiegend bildungsbürgerlichen Publikum vorgeführt wird. Werden auf diese Weise sexuelle und soziale Randständigkeit miteinander identifiziert? Ganz so eindimensional will eine weitere Stimme das nicht sehen: Schließlich deute der Film an, daß das Problem in allen Schichten vorhanden sei, nur eben unterschiedlich geschickt verborgen werde. Das ‚Problem‘ oder das ‚Wesentliche‘ des Films: unerfüllte Sehnsucht, Einsamkeit? Geilheit, kleine Perversionen? Beides schließt sich nicht aus, insistiert ein Zuschauer, der keinen „romantischen Begriff von Einsamkeit“ gehen lassen möchte. Aber um das Thema des Films geht es in dieser Diskussion eigentlich nicht.

Dietrich Leder, selbst Kleintierhalter (eine Minderheit im Auditorium? – jedenfalls outet sich sonst niemand), beschreibt die „Erinnerungsästhetik“ des Films, der Bildmuster übernimmt und modifiziert, indem er sie auf sein Sujet überträgt. Dann aber kommt es stets zu Abbrüchen: Onanie beispielsweise wird nicht mehr gezeigt. Weiter vermißt Leder, was in früheren Filmen Seidls noch zu sehen war: Unberechenbarkeiten, Einbrüche ins Konzept. Im Anschluß versucht sich Eva Hohenherger an einer Beschreibung des autoritären Gestus der Bilder: Arrangierte Personen werden in der Kadrierung eingesperrt – was ist das für ein Blick auf die „Randbereiche der sexuellen Perversion“? Was wäre denn ein anti-autoritäres Bild, wird gegen-gefragt: „Muß man mit verwackelter Handkamera arbeiten?“ Der autoritäre Gestus ergebe sich aus der Position, die dem Zuschauer angeboten werde, ergänzt Hohenberger; eine weitere Stimme kritisiert die mangelnde Reflexion der Bilder durch den Film selbst. Schuster spitzt zu: Dieser Film traktiert/trainiert durch seinen Einsatz von Bild und Musik das Publikum wie einen Pavlovschen Hund. So verwischt sich am Ende der Diskussion wenigstens metaphorisch eine weitere Grenze. Es bleibt ein gewisses Mißbehagen gegenüber der hybriden Form von TIERISCHE UEBE, der Bastardisierung von Spielwirklichkeit und unberechenbar Realem, die der Film nicht zu erkennen gibt und um die er nicht recht zu wissen scheint. Zum Skandal taugt er wohl deswegen – zumindest in Duisburg – gerade nicht.