Film

Siebenbürgischer Heuweg
von Ralf Marschalleck
DE 1996 | 90 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 20
09.11.1996

Diskussion
Podium: Ralf Marschalleck, Frank Sputh (Kamera)
Moderation: Didi Danquart
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Ein erstes Video-Exposé entstand 1993, während eines Arbeitsurlaubs in Rumänien, von Ralf Marschalleck selber auf einer kleinen Videokamera gedreht. Dieses Material überzeugte Fernsehredakteure und Filmförderungen. Vorher Festgelegt war, daß der Film in den zwei Jahreszeiten Sommer und Winter gedreht werden sollte. Bei der Recherche stand für Ralf Marschalleck das Thema im Vordergrund, wie Menschen in der Landschaft leben und welche Stimmungen aus Menschen und Landschaft herausstrahlen.

In Siebenbürgen erlebt man die Zeit in Schichten, erzählt Marschalleck, die Leute leben dort gänzlich anders in ihrer Geschichte. Ihn interessierte auch, wie diese 800jährige Geschichte so plötzlich abreißen kann: Der Exodus von 700.000 Menschen innerhalb von 1 1/2 Jahren, die jetzt last alle in der Gegend um Nürnberg leben und dort sogar neue Ortschaften mit alten, siebenbürgischen Namen gründen. Marschalleck interessierte, was in Siebenbürgen nicht stattgefunden hat an multikultureller Möglichkeit. Der Film beantwortet diese Frage(n) nicht, sagt er selbst, aber er wollte sie immerhin stellen: Heimat & Identität. Was ist man bereit zu geben. Das Weggehen & das Bleiben.

Parallelen zu den Filmen Volker Koepps, Kalte Heimat und Fremde Ufer, werden benannt: Warum richten ostdeutsche Regisseure ihren Blick nach Osten? Aus Sehnsucht, aus Sentimentalität? Nein, sagt Ralf Marschalleck, selbst „Ostberliner“, das Thema ist größer als „Ost und West“. Das hat mit Emigrationsströmen zu tun. Wohin strömen die Menschen, und wohin strömt das Geld?

Didi Danquart entwickelte Spaß an der Topographie der Bilder, am „Platz lassen zum Herumschauen im Bild“ – obwohl ihm die (ostdeutsche?) Langsamkeit des Films beim Betrachten Mühe gemacht hat. Eine Zuschauerin ist gar hellauf begeistert, vom „langsam schauen“ und was sich da an Geschichte entfaltet …

Ja, die Großmutter ist schon ein offenes Buch, erzählt Marschalleck, es sprudelt nur so heraus, aus dieser „reichen Quelle“, aber das läßt sich nicht einfach so drehen: „Diese integre, kluge, weise, verständige Frau, die uns angeschaut und verstanden, die aber auch ihre Tabus hat, wo sie sich nicht reingucken lassen wollte.“ Diese Frau will ihr Wissen weitergeben, bevor es zu Ende geht – und das ganz ohne Larmoyanz. Streckenweise wurde es dem Team bei den Dreharbeiten „zu nah“, man musste Distanz schaffen, zwischen Machern und Protagonisten. Deshalb haben sie in einer anderen Stadt übernachtet: Das war wichtig, dort wegzukommen, aber auch wieder dort hinzukommen.

Hans-Dieter Grabe fiel auf, daß es im Film nichts „Abfälliges“ gibt, weder an filmischen Mitteln noch etwa in der rumänischen Bevölkerung. Wie die Rumänen sich dem Team gegenüber denn verhalten hätten? Ralf Marschalleck erzählt, daß mit der rumänischen Bevölkerung ja auch gearbeitet und gedreht wurde, in Raststätten und bei der Beerdigung. Überhaupt reagieren die Menschen dort auf eine Kamera: „Sie wollen gedreht werden! Sie stehen auf Pose, und da ist Stolz drin, daß man sein Abbild geben kann“. (Das blieb an dieser Stelle dann einfach so stehen, aber auch hier, im „Westen“, können sich Fernsehkameras und Talk-Shows nicht gerade über ein Desinteresse an potentiellen Selbstdarstellern beklagen.)

Das „Medien-Rumänien“ gibt es auch, erzählt Ralf Marschalleck (= bösesböses Spiegel-TV). Ihm ging es aber um das „andere Rumänien“: Bukarester Bahnhofskinder und verlauste Kinderheime sind nur ein Teil der Wahrheit.

Der Schweizer Urs Gral störte sich nicht an der Langsamkeit des Films, sondern an den Szenen zum Ende hin, wo kommentierende Montagen und thematische Raffungen das „Entdeckenkönnen“ ersetzen. „Unbehagen“ äußerten mehrere Diskussionsteilnehmer an den fünf bis sechs „Schlüssen“ des Film. Der Film hat mehrere Enden, erzählt Marschalleck, weil so die komplex-ineinander verschachtelten Zeitebenen nacheinander zu Ende gehen können. Didi Danquart wurden diese Bilder am Ende „lästig“, ob es denn eine Längenvorgabe gegeben habe? Nein, so was hat es nicht gegeben.

Andere Kritik äußerte sich an den Dialogen, die zum Teil „künstlich“ erschienen: Sprachen die Leute (miteinander), weil die Kamera lief? Auch hierauf ein klares Nein von Ralf Marschalleck: dieses siebenbürgener Deutsch hat eine andere Diktion, ist umständlicher, altertümlicher, eher gestelzt als gestellt. Sie reden sonst nicht mehr soviel Deutsch, sondern ungarisch, sächsisch, rumänisch, luxemburgisch …