Protokoll
„Grabe im Anti-Speedtest“
lautete das anekdotische auf Benno Trautmanns Film verweisende Fazit Werner Ruzickas, welches sowohl Rhythmus und Geschwindigkeit des Films, als auch die anschließende Diskussion charakterisierte.
Voll Ruhe und in einer (wohl einhellig dem Film gezollten) Atmosphäre des Respekts wurden Fragen zur Kameraführung, dem Prozeß der Materialsammlung sowie den Eindrücken, welche die Arbeit mit den geistig behinderten Schülern hinterlassen hone, erörtert.
Hans-Dieter Grabe erläuterte, daß er sich für den Gebrauch der Hi8-Kamera entschieden habe, um ein Vertrauensverhältnis zu den Gefilmten aufbauen zu können, wie es letztlich mit großem Brimborium und Einsatz von in der Regel üblichen „Drehutensilien“ (Kameraleute etc.) nicht möglich sei. – Die Lehrerin Frau Siebert habe denn auch zunächst einen großen Schreck bekommen, als er seine Intention, ihre Schüler filmen zu wollen, kundtat.– Zusätzlich sei die Erfahrung gleichsam der „Verschmelzung“ mit der Kamera eine ihm völlig neue gewesen.
Werner Ruzicka interessierte sich dafür, ob Grabe einen Verlust gespürt habe durch den Zusammenschluß der Funktionen Regisseur–Kameramann. Sei dadurch ein zentraler Distanzraum weggefallen, Grabe selber sozusagen zum Kamera-Auge geworden und Perspektivplanung nur noch schwer möglich gewesen?
Grabe wiederholte daraufhin, daß er eine „neue, schöne Erfahrung“ durch diesen „unmittelbarsten Kontakt, den man nur haben kann“ gewonnen habe. Filmen sei sonst primär Kopfarbeit, die in diesem Arbeitsprozeß eine Auflösung in körperliche Arbeit erfahren habe, einhergehend mit einer kontinuierlichen Annäherung an die Menschen und einem Prozeß der „Liebgewinnung“.
Die Cutterin Christians Bauer ergänzte, wie wesentlich die Einblicke in diese „schöne und schwere Arbeit“ mit den behinderten Schülern seien und drückte ihre Bewunderung für Frau Siebart mit ihrer „feinfühligen Pädagogik und Liebe“ sowie ihrem Bestreben, eine „Wertigkeit für diese Menschen zu entwickeln“, aus: „So eine Frau sollte für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen werden“.
Werner Zeindler schloß sich der Begeisterung für den Film an, indem er zum Ausdruck brachte, daß er, obgleich er seit bereits zwei Tagen in Duisburg weile, zum ersten Mal „Menschen gespürt“ habe. Der Film zeige die „Seele von Menschen“, was ihn zutiefst ergriffen habe. Das Vertrauen der Gefilmten zu Grabe sei spürbar gewesen, und er habe sich gefragt, ob Grabe nicht sehr einsam gewesen sei, wenn er abends nach den Dreharbeiten allein im Hotel das Bildmaterial gesichtet habe. Was Grabe verneinte. Sein Kopf sei zwar voll von diesen Menschen gewesen. Aber positiv. Eine neue, schöne Erfahrung.
Ruzicka verwies auf den Prozeß der Selektion, der ihn verleitet hatte, „Favoriten aus der Lerngruppe zu picken“ („Der Fleißigste“, „Der Rabauke“, „Der Schönschreiber“) und fragte den Regisseur, ob ihm zu Beginn des Drehens bewußt gewesen sei, daß er lediglich den kleinen Schritt vom „a“ („ein Kreis mit einem Strich“) zum „M“ („hoch-runter-hoch-runter“) erleben würde. Gerade dies habe für ihn, als einem Freund der Langsamkeit und Ruhe, den Reiz ausgemacht, erklärte Grabe. Den „wunderbaren Vorgang des Lernens“ habe er skizzieren wollen, wozu Frau Bauer zu bedenken gab, wie rasch wir gelernt hätten „MAMA“ zu schreiben. Es habe eine Notwendigkeit bestanden, die Mühsal dieses Lernprozesses für die Schüler, das „Ausschwingen“ deutlich zu machen. Nicht zuletzt dadurch mache man sich doch bewußt, „welch kostbare Gaben wir, die wir gesund sind, haben“.
Ruzicka beschrieb die Schmerzheftigkeit der Dauer, die mit dem Prinzip der Langsamkeit einhergehe. Spreizen der Zeit. LERNEN. ERNEUTES LERNEN. Es handle sich um den Versuch, einem Publikum den Prozeß des Lernens und der Lust daran sinnlich erfahrbar zu machen.
Grund für die „perfekte Länge“ dieses „opulenten Films“ (Blank) sei schließlich, die dargestellten Menschen dem Zuschauer nahe zu bringen, ihn diese Schüler lieben lernen zu lassen, so Grabe. In letzter Konsequenz sei die Qual der Wiederholung (des Lernvorgangs) zentral, zeige einen ARCHAISCHEN VORGANG, fügte Blank hinzu. Etwas entstehe, was sich unterscheide von dem, an das wir uns in dieser „Welt von Videos“, in diesem „Computerzeitalter“ gewöhnt hätten. Die Aufgabe eines Redakteurs bestehe darin, solche Projekte zu ermöglichen, selbst wenn diese Art des Ausprobierans von- ganz konkret- einem ZDF nicht gewollt sei.
Befriedigend die Erkenntnis, daß Kreise sich schließen („a“), denn der zentrale Gedanke des Films kreise um „Erinnerung“, so Zeindler. „Ein Strich. Ein Tor“. („m“).