Film

Der Transport
von Roswitha Ziegler, Gerherd Ziegler
DE 1996 | 74 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 20
06.11.1996

Diskussion
Podium: Roswitha Ziegler, Gerherd Ziegler, Alexander Wesemann (Redaktion)
Moderation: Didi Danquart, Werner Schweizer
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Fast scheint es, als seien sich alle in ihrer Ratlosigkeit einig: Nicht mehr was und WARUM man etwas macht, sondern die Notwendigkeit von „Machen“ schlechthin steht als unhinterfragter Konsens im Raum. Nicht mehr WARUM, nicht mehr irgendetwas hinterfragen (und sei es die eigene Position), sondern nur noch beobachten, aus verschiedenen Blickwinkeln „dokumentieren“, essayistisch (also wartungsfrei) alles zeigen, kurz: Bilder produzieren (zum eigen Broterwerb?) – und es dann dabei belassen. Bester öffentlich-rechtlicher Fernsehjournalismus …

Inhaltliche Fragen zur Problematik der INSZENIERUNG (von Widerstand, Politik, Polizei) sind Hauptpunkte der Diskussion: Die Bürgerinitiative betreibt mittlerweile professionelle MEDIENARBEIT genauso wie die Polizei, die Bühne für Kameras & Mikrofone ist bereitet, und selbst die Presselritzen können nun so richtig mit ihren Handys Regisseur spielen.

„Es ist mittlerweile egal geworden, was man tut“, sagt Roswitha Ziegler, wichtig sei nur, daß überhaupt Leute da sind, die was machen. Das wäre dann das Schlimmste für alle news-geilen Medien, daß die Kameras nix mehr finden, um den schwarzen Bildschirm bunt werden zu lassen. Dem Redoktör ist nix zu schwör, und er träumt von der genialsten aller INSZENIERUNGEN: Was wäre, wenn in der blauen Kiste gar nichts drin gewesen wäre, also statt Castor-Transport alles nur ein politischer Karnevalszug durch die nördliche Bundesrepublik?

Bisher ist der Film mit Begeisterung aufgenommen worden, erzählt Roswitha Ziegler, von der Bürgerinitiative und der „Bewegung“ – „wie alle unsere Filme, weil wir ja dort wohnen und eine klare Haltung zeigen“. Einziger Kritikpunkt aus der „Bewegung“ bisher: Den Polizisten wird im Film zuviel Raum eingeräumt; das Feindbild also wird nicht klar genug transportiert.

Diese mediengerechte Form von „Widerstand“ ist aber nicht u.l)effektiver als brennende Barrikaden und Brokdorfschlachten von damals: Das Überstundensoll der Polizei für 1996 ist jetzt überzogen und der nächste Castor-Transport auf 1997 verschoben. Bei 100000 teilnehmenden Schauspielern könnte diese gigantische Open-Air-Bühne wahrscheinlich nur alle fünf Jahre errichtet werden.

Dietrich Leder hatte (wieder mal wie zufällig vor ein paar Tagen) ein altes Gorleben-Fotobuch von G. Zimt in Händen gehalten und entdeckte in dieser Next Generation nun dieselben Gesichter wie vor etwa 20 Jahren, dieselben dumm-dumpfen Lieder und dieselbe „Wut im Bauch“. Der große Unterschied sei allein die technologische Hochrüstung der Polizei und ihr sichtliches Wohlgefühl in sauberen Uniformen.

Die filmische Darstellung des Gutachters Dr. Seifert – des „letzten lieberalen Juristen“, laut Roswitha Ziegler – wurde als zu oberflächlich kritisiert: Seine wahre Rolle bei diesem Medienspektakel sei im Film nicht klar genug herausgearbeitet worden, schließlich sei es seine Idee gewesen, den Castor-Transport mit relativ menschenfreundlichen Mitteln durchzusetzen.

Als „eindrucksvoll“ gelobt werden die Aufnahmen der Störfallübung in der Kernkraftwerks-Zentrale, die Hilflosigkeit, die sich bei den lächerlichen Schalterdrehungen offenbart und das Mißverhältnis zwischen dem $150-Monatslohn dieser hochverantwortlichen Ingenieure und dem 50-Millionen-DM-Castor-Karnevalszug.

Die Tango-ähnliche Musik im Film offenbart ein gegensätzliches Hörverständnis im Diskussionsraum: Für die einen ein „folkloristischer Widerstandsteppich“, für die anderen abstrakt, streng und gerade nicht-folkloristisch.

Didi Danquart erkennt die neue Qualität in dieser Art von „Widerstandsfilmen“ im Wechsel der Kameraposition: Früher nur auf Seiten der Demonstranten (die Fressen der Bullen gefilmt) und heutzutage Polizisten von hinterrücks. Gerhard Ziegler erläutert, daß sich auch in den Reihen der Polizei viel verändert habe, so sind erst kürzlich zwei Polizisten in Lüchow-Dannenberg aufgrund der Zeugenaussagen von Kollegen verurteilt worden.

Diedrich Leder erkennt in diesem Film viele Zwischentöne, die es in früheren Widerstandsfilmen nicht gegeben habe: In ihrem ersten Film „Die Herren machen das selber, dass ihnen der arme Mann Feyndt wird“ haben die Wendländer noch reiche Bauern bei der Feldarbeit gezeigt, während hier auch kleinbürgerliche Ängste vom Werteverfall des eigenen Hauses oder die grüne Europa-Abgeordnete vor heimeligem Kamin recht feingemacht aufgenommen wurde. Trotz der vielfältigen Blickwinkel ist dieser Film kein beliebiger Bilderteppich, denn kompliziertere Zusammenhänge werden durch die Bildgestaltung bei der Aufnahme herausgearbeitet- im Gegensatz zum früheren „Bewegungsfilm“ mit der Maxime: „Hauptsache was drauf!“

Zum Schluß noch einmal eine Unmutsbekundung: Der Film wirkt mit seiner fast-postatomaren Perspektive verharmlosend, die reale Gefahr, die von der Atomenergie ausgeht, wird nicht spürbar. Die vielen Blickrichtungen gehen auf Kosten der Analyse, alles wird impressionistisch und stilisiert alles zum „Gesamtkunstwerk“. Roswitha Ziegler sieht diesen Film denn auch als „Essay“, der Dinge nicht auf den Punkt bringt, sondern nebeneinander stehen läßt.