Film

Anti-Sisyphos
von Dominik Wessely
DE 1995 | 28 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 20
05.11.1996

Diskussion
Podium: Dominik Wessely, Michael Jungfleisch (Produktion)
Moderation: Constantin Wulff
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

Das Problem Unendlichkeit läßt sich ins Medium Film nicht ohne weiteres übertragen. Grenzen setzt nicht nur das Maß der auf 10 Minuten konfektionierten Filmrolle, sondern auch die Fernsehnorm: Formale Radikalität, die sich dem Projekt Opalkas dichter anschlösse, habe er dem Fernsehpublikum nicht zumuten mögen, erklärt Regisseur Dominik Wessely. Wie eine solche radikalere Variante hätte aussehen können, bleibt indes skizzenhaft; den tatsächlich beschrittenen Weg beschreibt Wessely als Versuch, die einzigartige Existenzform Roman Opalkas – eine „Dauermeditation“ – sinnlich erfahrbar zu machen. Die Auseinandersetzung mit der Verschränkung von ‚Kunst‘ und ‚Leben‘ – Opalkas Bilder als „Dokumente, die die Glaubwürdigkeit dieser Existenz bezeugen“ – gab denn auch den Anlaß zum Film: Durch die Bilder neugierig geworden, wollte sich Wessely mit der Haltung eines ‚interessierten Laien‘ dem Menschen/Werk Opalka nähern.

Vor diesem Hintergrund rechtfertigt er den Kommentartext im Film: Dem breiten Publikum sei der Künstler unbekannt, es sei daher notwendig gewesen, ein sachliches Grundwissen seiner Methode zu vermitteln. Der im Kommentar skizzierte historisch/ biographische Rahmen weise darauf hin, daß Opalkas Konzept nur unter poststalinistischen Bedingungen denkbar sei. In einem auf Nützlichkeit ausgerichteten, planwirtschaftlichen System stellt dieses Projekt eine Provokation dar- inwiefern sich auch der Westen zurecht provoziert fühlen darf, ist im Gespräch umstritten. Während nach Wessely das Leistungsprinzip ad absurd um geführt wird, findet eine Zuschauerin gerade dieses Prinzip in den Bildern gespiegelt und gesteigert: Die Zahlen, die auf den Selbstportraits Daten ersetzen, geben seine tägliche Leistung an.

Wenn in der folgenden Diskussion nicht nur zusätzliche Informationen nachgefragt, sondern auch alternative Darstellungen vorgeschlagen werden, so reflektiert dies womöglich eine besondere Qualität des Films, wie eine Zuschauerin meint: Die FilmBilder eröffnen einen Gedankenraum, in dem Fragen um sich greifen. Haben diese Bilder überhaupt einen Marktwert? Wieviele Zahlen schreibt Opalka Tag für Tag (und was passiert, wenn er sich einmal verschreibt?), wieviele Stunden arbeitet er an seinen Bildern, wie organisiert sich sein Alltagsleben neben und mit der Kunst? Wessely reicht die entsprechenden Fakten nach (Opalka ist ein ‚Popstar‘ der zeitgenössischen polnischen Kunstszene, seine Bilder verkauft er an private Sammler und Museen zum Durchschnittspreis einer Viertelmillion) und erklärt zugleich, daß sein Film die Inszenierung Opalkas übernimmt und überhöht, um sie dem Zuschauer erfahrbar zu machen. Doch, es gibt ihn auch, den Menschen außerhalb des Unendlichkeitsprojekts, allerdings habe im Privatumfeld gedrehtes Material die Intensität seiner Lebensform reduziert und sei daher nicht in den Film eingegangen. In diesem Sinne ergänzt auch Produzent Jungfleisch, Anekdotisches sei, da irrelevant für das Werk, absichtsvoll verweigert worden.

Einige Zuschauer verweisen auf die Spur des Künstlers im Bild: Seine Körperlichkeit ist dem Duktus des Schreibens, der Emotionalität des grenzüberschreitenden Moments – Opalka erreicht die Zahl 5000000 – abzulesen. Umgekehrt schreibt sich die Zahl in ihn ein, noch hat die 4 von ihm Besitz ergriffen und produziert einen Schreibfehler jenseits der Grenze. Eine andere Publikumsstimme fordert dagegen anstelle von Auskünften über das Alltags-, Privat- und sonstige Leben des Künstlers eine Markierung des Ein- und Ausstiegs in die Inszenierung. Da habe es einen Dissens mit Opalka gegeben, erklärt Wessely: er empfinde das mittlerweile selbst als Mangel und könne sich einen Film denken, der sich weniger der Ästhetik des Künstlers verpflichtet, stattdessen spielerischer mit dem Material verfährt.

Abschließend fragt sich eine Zuschauerin, ob Opalka die multimediale Dokumentation seines Projekts auch ins Medium Film/Video ausdehnen werde. Dazu besteht kein Anlaß, meint Wessely: Die photographischen Selbstportraits formieren sich zum Tagebuch, das Tonband ist Hilfsmittel, dessen es angesichts zunehmender Unsichtbarkeit weißer Zahlenkolonnen auf weißer Leinwand bedarf; die eigentliche Dokumentation ist aber das Bild selbst. So bleibt also der Dokumentarfilm bei aller – bisweilen mimetischen – Nähe zum Projekt außerhalb der ‚Arbeit an der Unendlichkeit‘.