Film

Totschweigen
von Eduard Erne
DE/AT/NL 1994 | 88 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 18
09.11.1994

Diskussion
Podium: Eduard Erne
Moderation: Klaus Kreimeier
Protokoll: Annette Bitsch

Protokoll

Die Diskussion, indem sie ausbleibt, macht den Titel des Films selber zum Gebot der Stunde. Ob das Publikum den anfänglichen Verweis Klaus Kreimeiers auf Verschleiß und Aushöhlung des Begriffs Spurensuche als Vogue-Technik zeitgenössischer Filmemacher sehr devot beherzigt oder auch pervertiert, soll dahingestellt bleiben. Stattdessen lauscht man artig dem seiner eigenen Authentizität verpflichteten Regisseur, der seinen Film mit einer auratisch exakt abgestimmten Schilderung der Produktionsgeschichte repetiert.

Konsequent der atmosphärischen Morbiditätsvorgabe des Filmtitels folgend, führt Eduard Erne zunächst eine Tote ein. Der Film „Totschweigen“ ist die letzte Produktion der im Februar diesen Jahres verstorbenen Margareta Heinrich. Auch die filmische Karriere der Regisseurin scheint dem Verdikt des Horoskopischen, Verhängnisvollen, Orphischen ausgeliefert. Selbst in der Nähe des Österreichischen Dorfes Rechnitz geboren flieht Margareta Heinrich diesen Ort des Unheils augenscheinlich in ihren Filmen, deren Schauplätze in der ganzen Welt verstreut liegen. Für ihren letzten Film jedoch holt der Pendelschlag des Schicksals sie noch Rechnitz zurück.

Der Filmautor verläßt das Terrain transmundaner Tentakel, um in aller Sachlichkeit einige Unterschiede in der deutschen und der österreichischen Entnazifierungsgeschichte zu referieren. In Form sogenannter Volks- oder Sondergerichte überantwortet die österreichische Bevölkerung sich selbst die Bewältigung der Vergangenheit. Ein Unternehmen, welches an seinem eigenen unanimen Wunsch nach Läuterung scheitert. Es kommt zur Akkumulation einer undifferenzierten Masse von Protokollen, Augenzeugenberichten, Referaten und Reminiszenzen, die den Willen zur Beleuchtung selber diffamieren. Eduard Erne berichtet, daß nicht zuletzt dieser Spuk von aporetischen Rechercheversuchen, der nichts als die Ohnmacht eines Volkes seiner eigenen Vergangenheit gegenüber verrät, sein Interesse geweckt habe. Daß die Spur dann schließlich nach Rechnitz geführt habe, in jenes Unheilsreservat, in dem sich eine obstinate Verdrängung der Vergangenheit zum Symptom verdichte und sich in lemurenhaften Dorfbewohnern personifiziere, das sei nur noch ein zufälliger Stoß ins Wespennest gewesen.

Desweiteren beschreibt der Regisseur die von vornherein einer makabren Verzweiflung verschriebene Suche nach dem jüdischen Massengrab, die schließlich auf einen deutschen Bunker stößt. Die erfolglose Suche koinzidiert mit ihrer eigenen Metapher: einem monströsen Bagger der Firma Mengele, der feuchtes Erdreich und mithin das Reale selber, das eine Wahrheit ja nicht kennt, durchpflügt. Flutkuationen von detektivischem Ehrgeiz in Form geologischer Meßtechniken einerseits und einer Resignation, die gerade darin jede vox humana vermißt andererseits – der Regisseur schildert de Hintergründe des Films. Mehrfach betont er, daß sein Film gerade diese Zerrissenheit, die Hilflosigkeit im Umgang mit der unbewältigten Vergangenheit ablichten will. Der Blick des Voyeurs richtet sich auf innere Dramatik, nicht auf die Exkavation von Skelettüberresten. Es geht nicht um die Sensationierung durch lang vermißtes Gebein.

Eine Publikumsstimme stellt der symbolischen Bedeutung des Baggers jene des in seiner Unauffindbarkeit gewissermaßen permanent offenen Grabes zur Seite. Das Lösungswort der Spurensuche werde in dieser paränetischen Metapher auf seine Unabschließbarkeit hin erfaßbar. Die Spurensuche sei als eine sublime Form geschichtlichen Gewissens und nicht als eine archäologische Analyse zu verstehen, die konkrete Resultate mit karthatischen Effekten anvisiere. Es gehe gerade darum, zu einer Konzeption der Spurensuche in ihrer approximativen Unendlichkeit zu gelangen, um historisches Bewußtsein an nachfolgende Generationen zu tradieren.

Schließlich arbeitet sich zwischen den lauschenden Betroffenheiten doch noch eine tentative Kritik hervor, welche eine Ankettung des Films an soziologische Fragestellungen vermißt. Der Zuschauer moniert metaphysische Diffusität, vermißt klare Stellungnahmen und möchte statt Knochen lieber jene sozialen Strukturen ausbuddeln, deren Virulenz das Schicksal der Knochen erst entzündet haben. Die Ankopplung ans Säkulum soziologischer und psychologischer Wissenschaft soll das erreichen, was metaphysische Trübungen versäumt haben.

Dagegen führt Eduard Erne an, daß sein Anliegen gerade darin bestehe, die simple Gleichsetzung von Wahrheit und Eindeutigkeit zu unterlaufen. Es geht ihm um die Dekonstruktion eines Wissens- und Wahrheitsbegriffs, der im Kreuzfeuer unterschiedlichster Aussagen und Erinnerungen noch immer glaube, mit juristischer Schärfe unterscheiden und entscheiden zu können. Gerade die Facettierung unterschiedlichster Haltungen und Formen von Vergangenheitsbewältigungen sei ein zentrales Anliegen seines Films, der sich gerade darum jeder moralischen Wertung enthalte. Was allerdings in keiner Weise die direkte Anklage gegen jene saturierten und selbstgerechten Gestalten ausschließe, die wissend ein grenzenloses Nicht-Wissen prätendierten und damit jeden Versuch historischer Aufarbeitung unweigerlich sabotierten. Klaus Kreimeier pflichtet bei, daß eine soziologische Recherche gerade nicht in der Intention des Films liege, sondern in der Nivellierung des Blicks gleichsam jedes immer schon ein bestimmtes Resultat präfugierendes Erkenntnisraster ausgeschaltet werde. Ein indifferenter und illusionsloser Blick, eine Lidschlaglosigkeit, ein Streifen über Landschaften, Menschen, Szenen, und gerade darum ein auf subtile Weise trauernder Blick.

In diesem Zusammenhang apostrophiert der Autor seinen Film als einen Film über das Vergessen. Zum einen sollte in den Bildern des Films eine Wut zum Detail als verzweifelte und zugleich frenetische Reaktion auf die im Laufe der Geschichte unweigerlich verblassende Präzision und Schärfe des historischen Augenblicks illustriert werden. Zum anderen aber solle die Diversität und Heterogenität der dargestellten Mnemotechniken und Vergegenwärtigungsmethoden wiederum die Nichtexistenz der eindeutigen historischen Wahrheit demonstrieren.

Dietrich Leder sieht in jener Suche nach dem unauffindbaren Ort, die dennoch insistiert, einen charakteristischen Zug des zwanzigsten Jahrhunderts, eine historische Ruhelosigkeit, welche dennoch nur im halbwachen Zustand jenes Grauen registriert, daß jener kursivierte Ort, jene nicht ortbare Lokalität das Leichenfeld selber ist. In diesem Zusammenhang geht der Autor auf die eminente symbolische Bedeutung der Grabstätte und des Begräbnisses in der jüdischen Religion ein.

Er kontrastiert die Sakralisierung und Verehrung deutscher Soldatengräber, über denen das Fluidum von Heldentod schwebt und patriotisch stets frisch aufpoliert wird, mit der Verwahrlosung eines Ackers. Jener Acker aber berge menschliche Knochen, denen eines der herausragendsten Symbole der Humanität: das Begräbnisritual versagt bleibt. Das Dorf Rechnitz wird ein Pandämonium bleiben, verwunschenes Gelände, letale Zone, erstickter Donner. Nemesis wird für alle Zeiten jene Sphäre verdunkeln, und Klaus Kreimeier memoriert abschließend die Unlösbarkeit des Problems Wahrheit, das weder im monologischen Schluchzen alter Dann noch im programmatischen, lichtscheuen Schweigen marastischer Dorfbewohner seine Auflösung finden wird.