Film

Er nannte sich Hohenstein
von Hans-Dieter Grabe
DE 1994 | 89 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 18
10.11.1994

Diskussion
Podium: Hans-Dieter Grabe, Elfi Kreiter (Schnitt), Ingeborg Janiczek (Redaktion)
Protokoll: Annette Bitsch

Protokoll

Zu Beginn des Gesprächs führt der Autor die Motive und Hintergründe des Films an. Die Aufarbeitung der polnischen Vergangenheit, die enge Verklammerung von polnischer und deutscher Geschichte sei ein Desiderat der gegenwärtigen politischen Loge. Aus diesem Anspruch heraus habe er sich dem „Wartheländischen Tagebuch“ des deutschen Amtskommissars zugewendet und noch den darin enthaltenen Ausführungen recherchiert. Die Form eines Tagebuchs haben die Aufzeichnungen, zuvor ein Konvolut unterschiedlichster Notizen, erst unmittelbar nach dem Krieg: auf der Basis eines ausdrücklichen Publikationswillens erhalten.

Filmtechnische Gesichtspunkte betreffend war Hans-Dieter Grabe die authentische Ablichtung der historischen Gegenwart wichtig. Eine gezielte Selektion dargestellter Landschaften, Menschen, Gegenden, ein kalkuliertes Arrangement der Szenen, die Vermeidung von Anachronismen, also kurz: die möglichst genaueatmosphärische Rekonstruktion der 40er Jahre habe einen wesentlichen Teil der Produktion ausgemacht. Das Charisma des polnischen Städtchens, das Kolorit der damaligen Zeit solle im Film bewahrt werden. Daneben jedoch wollte der Autor den Bezug zur Gegenwort aufrechterhalten und an den Hiatus zwischen einem verblassendem Gestern und dem Andrang des Heute rühren. Intermittenzen farbiger Filmbilder durchkreuzen vergilbte Photographien, das Gelände vergangener Dinge.

Die Diskussion selbst läßt sich auf zwei zentrale Streitpunkte fokussieren.

Zum einen geht es um die Relation von Text und Bild. Ein Zuschauer möchte den Film als Hörspiel klassifizieren und mithin disqualifizieren. Hier wird der Versuch eines noch nicht sonderlich arrivierten Filmtheoretikers unternommen, den Film dogmatisch auf ein Primat des Bildes zu vereidigen. ln einer lapidaren Gleichsetzung von Text und Kommentar wird der Text auf die Funktion reduziert, ein Filmbild zu signieren. Ein derartiges Gesetz aber, welches den Text von vornherein und kompromißlos dem Bild subordiniert, führt eigentlich jeden Versuch der Verfilmung eines Tagebuchs sofort ad absurdum.

Dem Autor dagegen geht es gerade um ein subtileres Verhältnis zwischen Text und Bild. Keinesfalls wollte er das Tagebuch durch entsprechende Bilder einfach nur verdoppeln. Ebenso seien die Bilder mehr als ein illustratives Surplus. Das Verhältnis von Text und Bild sei nicht reziprok. Viele Tagebuchzitate werden nicht durch ein Bild belegt, einige Bilder entfalten für sich einen hypnotischen und suggestiven Reiz, ohne direkt auf eine bestimmte Textstelle zu rekurrieren. Bild und Text werden durch einen Saum von Verstörung, durch eine unauflösbare Differenz, durch eine mitunter paramnestische Verschiebung separiert. Diese Technik wolle nicht zuletzt das Vorstellungsvermögen des Zuschauers aktualisieren und ihn zur Ausfüllung der Leerstellen zwischen Text und Bila durch eigene Imaginationen bewegen. Das Bild dürfe niemals die Szene vereinnahmen und dominieren, sondern müsse stets noch durch Vorstellungsbilder des Zuschauers supplementiert werden. Mehr noch, der Zuschauer müsse dazu gebracht werden, die Bilder zu distanzieren und gegebenenfalls zu dekonstruieren. Die Unterlagerung oder auch Überspielung des Textes mit einer Flut vergilbter und verwunschener Bilder will wiederum mentale Bilder im Zuschauer evozieren. Die im Film praktizierte Bildtechnik ist nicht eindeutig und exhaustiv auf die textuelle Vorlage des Tagebuches bezogen, sondern schreibt ihre eigene Geschichte mit offenem Ende, eine Geschichte mit offenem Ende.

Der zweite Punkt der Debatte betrifft abermals eine Kritik im Bild. Einige Zuschauer vermissen den Blutgeschmack des grausigen Kriegsbildes. Die Präsentationstechnik rühre an eine Art von gemütvoller Zerstäubung: impressionistisch, saturnisch, sphingoid. Im Publikum kommt es zur Kollision der Aspiranten einer muskulösen vita activa mit dem eher verträumten Typus der Kontemplation. Der Aktivist vermißt die Schubkraft des flagranten Bildes, die gebieterische Autorität des Indizes, welches eindeutige Schuldzuweisung und Verurteilung ermöglicht. Die klare Demarkation von Opfer und Täter ist für ihn das Gebot der Stunde. Mit Reminiszenzen zwischen Arkadien und Todesspuk kann er nichts anfangen. Er fordert Taten, Mord und Schrecken. Der Kontemplierer wehrt sich mit einer seine programmatischen Sanftmut für dieses Mal durchstoßenden Vehemenz. Der Film beleuchte eine andere Facette des Nationalsozialismus: dessen perfide Feinmechanik, dessen gleichsam lautlos spielende Satanie. Die Installation des konservativen Bildungsbürgers des neuronal bestimmten Wesen, des fragilen Ganglions könne nicht als Kampagne extravertieften Grauens dargestellt werden.

Die Technik der Sublimierung wird anhand zahlreicher Filmszenen exemplifiziert. Der Autor lokalisiert die implizite nationalsozialistische Virulenz der scheinbar idyllischen Lage in der Szene mit dem Hund. Die Familie schafft sich einen Hund an, die Kinder schwirren im höchstem Glück, und doch vermerkt das überdies auch nicht ganz sauber sei. Nationalsozialistische Herrschafts- und Elitebestrebungen seien hier auf subtile Weise kodiert.

Zum Schluß der Diskussion berichtet Elfi Kreiter auf eine Frage Dietrich Leders. hin über eine ausdauernde und mühevolle Produktionsgeschichtet die sich unermüdlich mit dem Sammeln und Ordnen von Bildern befaßt hat. Nicht zuletzt habe sich auch die Suche nach einem Sprecher, dessen Stimme den Film nicht überhöht oder karikiert, als kompliziertes Unterfangen erwiesen. Nach einem Schlußwort von Ingeborg Joniczek, welches die Zukunft des Spielfilms im Abendprogramm oder den Defaitismus selber sagt, geht man auseinander, gabelt sich in die jeweilige aktive oder kontemplative Sphäre.

 Elfi Kreiter, Hans-Dieter Grabe v.l. © Ekko von Schwichow
Elfi Kreiter, Hans-Dieter Grabe v.l. © Ekko von Schwichow