Film

Augenzeugen der Fremde
von Gustav Deutsch, Mostafa Tabbou
AT 1994 | 33 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 18
11.11.1994

Diskussion
Podium: Gustav Deutsch, Mostafa Tabbou
Moderation: Constantin Wulff
Protokoll: Annette Bitsch

Protokoll

Ein durch den vorangegangenen Film noch einigermaßen sediertes Publikum trottet in den Diskussionsraum, augenrollend und somnambul. Die Diskussion steht, wie der Film selber, unterm Diktum der Einschläferung.

Daß die Diskussion nicht in eine die narkotisierten Nervenbahnen aufstörende Beschleunigung hineingehetzt wird, dafür sorgen schon die äußeren Bedingungen. Mostafa Tabbou, der nur Französisch spricht, verfällt in ein flusiges Ziegespräch mit seinem Dolmetscher. Und Gustav Deutsch, dessen nicht allzu passionierte Rhetorik eher mit sich selbst als mit dem Publikum spricht, führt letzteres nicht unbedingt einer lnitiation entgegen. So bildet die, allgemeine Viskosität der Loge die besten Voraussetzungen für ein klassisches Aneinandervorbeireden.

Es geht, so Gustav Deutsch, in seinem Film um die Erprobung einer neuen Sehweise, in der Menschen- und Kameraauge koinzidieren. Erstens wäre das (so nicht mehr Gustav Deutsch, sondern der sensus communis der Zuhörerschaft) nur dann eine verlockende Neuerung, wenn sie denn auch wirklich im Film praktiziert worden wäre. Zweitens schleicht sieh bei aller fiIminduzierten cerebralen Indifferenzierung der Verdacht in die Gehirne, daß die Dressur jenes neuen Blicks auch bei möglichst autistischer Betrachtung eines Bildbandes über nordafrikanische Oasen und eines weiteren über ein eingeschneites Wien (mit besonderer Meditation über der Seitenzahl) hätte erwirkt werden können.

Wie auch immer, das Publikum weigert sich hartnäckig, dem Autor, der auf der Auszeichnung seines Filmes als ‚wissenschaftlich‘ insistiert, jene Absolution zu erteilen. Die alternierende Verschaltung von Bildeinsteilungen und Seitenzahlen, die ja noch immer dem Buch und nicht der Mathematik verhaftet sind, ist noch keine Digitalisierung, welche das Subjekt hinter Kamera elidieren könnte. Gustav Deutsch outet sich dann ober schließlich selbst, indem er bald darauf von einer künstlerisch-wissenschaftlichen, dann gar von einer künstlerisch-ästhetisch-wissenschaftlichen Zugangsweise spricht und schließlich bei der philosophischen landet, womit das Publikum endgültig wieder in sein buddhistisches Tief zurückfällt.

Also: Kamera als Wahrnehmungsinstrument, künstlerisch-ästhetisch-philosophisch-wissenschaftliche Akkomodation, Dekomponierung des bewußten oder touristischen Blicks. Und dann endlich die brutale Auslieferung des avantgardistisch hochgezüchteten, einem futuristischen Quietismus entspringenden Bildes an seine methodische Basis. Mostafa Tabbou konnte einfach keine Kamera bedienen. Hatte noch nie eine in der Hand gehabt. Flanierte einfach nur mit dem änigmatischen Instrument durch Wien, um dementsprechend änigmatische Photos zu schießen. Um diese einfache ober zweifelsohne sehr aparte Technik zu koordinieren, brauchte Gustav Deutsch bei seinen Filmaufnahmen in der nordafrikanischen Oase nur noch nicht in die Kamera zu schauen. Er gab dieses offen zu, in der Tat. Kopfschmerzen und Schwindelgefühle, die sich während des Films bei gewissen Zuschauern plötzlich und spukhaft bemerkbar mochten, bekommen anologische Kontur. Die als postmodern gepriesene Überwindung des Gegensatzes zwischen dem Blick des Fremden und dem des Einheimischen, zwischen dem Anderen und dem Gleichen, Findet für diesen Film eine profane und doch sehr bodenständige Erklärung.

Das Prinzip der Nivellierung des Blicks in einer herrenlosen Kamera ist immerhin so Wirkungsvolt daß eine Diskussionsteilnehmerin zugibt, den Bruch zwischen den Bildern Nordafrikas und denen Wiens zunächst überhaupt nicht mitbekommen zu hoben. Indem sie ihre mentale Verfassung während des Films im gleichen Zug entschuldigend als „weggeträumt“ charakterisiert, spricht sie doch nur allen aus der Seele – Drogisierung, Labilisierung, Retardierung der Reaktionsweite, Tranquilizer-Effekte, „Augenzeugen der Fremde‘, sanft entschlummert

Am Ende der Diskussion taucht der Regisseur Mostafa Tabbou noch einmal aus der talking-cure mit einem Dolmetscher-lntimus auf, um dem abschußbereiten Publikum die deklamatorische Metteilung zu machen, daß das „eine ganz verrückte Angelegenheit sei, die sie sich da geleistet hätten“, daß sie „eben ganz verrückte Photographen seien“. Und das obwohl oder gerade weil es ein Wort für „Film“ in der nordafrikanischen Oase, im Abseits jeder Verkabelung, in der Fremde eben noch nicht gebe. Und am Anfang ist schließ ich immer das Wort.

 Antje Ehmann, Anette Bitsch v.l. © Ekko von Schwichow
Antje Ehmann, Anette Bitsch v.l. © Ekko von Schwichow