Film

Stau – Jetzt geht’s los
von Thomas Heise
DE 1992 | 85 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 16
1992

Diskussion
Podium: Thomas Heise, Sebastian Richter (Kamera)
Moderation: Didi Danquart
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

Was will der Film aussagen? Buhrufe und Gelächter, aber keine Antwort; stattdessen die obligatorische Frage nach den Produktionsmitteln und -bedingungen. Verspätet ans Ministerium für Arbeit und Soziales in Sachsen-Anhalt gezahlte „Ost-Hilfe“ und die Notwendigkeit, derartige Mittel vor Ende des Haushaltsjahres ’91 noch auszugeben, ermöglichten „Stau“: Ein Projekt, das seitens der Produktion an Thomas Heise herangetragen wurde.

Während die Frage nach einer „moralischen Vorbereitung“ auf den Umgang mit rechtsradikalen Jugendlichen – biographisch (um-)gedeutet – unter Hinweis auf Heises frühere Auseinandersetzung mit Konzentrationslagern rasch dem Blick wieder entschwindet. ist die Frage nach Recherche, praktischer Vorbereitung offensichtlich stimulierender: Von häufigen Besuchen im Halle’schen Jugendclub „Roxy“ ist nun die Rede, von einer „permanenten Flucht vor dem Drehort“ und der Ambivalenz, sich gleichwohl einem solchen (finstren? leeren?) Ort aussetzen zu müssen und zu wollen. Halle, heißt es, sei „kaum auszuhalten“ gewesen. Aushalten also: Ein Begriff, der in Heises Äußerungen auch zum „Umgang mit Rechts“ wiederkehren, jenen (Moral-)Begriff einer „Bewertung“ ersetzen wird.

Zunächst kapriziert sich die Diskussion allerdings auf den Umfang dessen, was den im Film befragten Jugendlichen auszuhalten zugemutet wurde. Es fällt das Wort „Verhör“, geistert durch verschiedene Redebeiträge, bis man zuletzt jedes Interview als Verhör entlarvt und das häßliche Wort wieder loswird: Gerade davon habe er ja „versucht wegzukommen“, sagt Thomas Heise. Die Peinlichkeit in der Interviewsituation, das lange Schweigen eines Gesprächspartners, dessen Verlegenheit: dem einen ist es fragwürdig, die andere lobt eine solche Strategie, Prozesse der Annäherung durchsichtig zu halten, als Stärke der exDDR-Filmemacher. Ein dritter Redebeitrag beanstandet mangelndes Feingefühl des Kameramanns, der aufs Gesicht des verlegen Schweigenden verengt, statt etwa wegzuschwenken

Solcher Vorschlag erweist seine Logik im nachhinein; da nämlich, wo die Filmemacher die Hintergründe einzelner Szenen offenlegen: Nachdem das Konzert einer gleichgesinnten Band ausfiel, entschlossen sich die portraitierten Jugendlichen, der Langeweile mittels eines Ausflugs zum KZ Buchenwald zu entgehen; einige von ihnen fuhren der Einfachheit halber im VW-Bus des Film-Teams mit. Vor Ort entschloß sich Kameramann Sebastian Richter allerdings, nicht mitzugehen aufs KZ-Gelände, nichts mehr zu drehen- eine damals vom Regisseur kritisierte, inzwischen aber bewunderte „Haltung“. Vergleichbares geschah, als einer der Jugendlichen eine Flasche gegen das Auto eines Ausländers schleuderte und zu Drohgebärden überging, als im Vorübergehen der Zigarettenständer eines vietnamesischen Händlers umgetreten wurde. Im erstgenannten Fall blieb Richter im Auto sitzen (eine Haltung, die man scheiße finden kann, kommentiert Heise, aber eine Haltung immerhin), der Regisseur reagierte mit „Hingehen“ und „Ignorieren“ (?!),eingegriffen jedenfalls wurde nicht: Keiner der Jungs werde doch im Beisein einer Kamera Straftaten begehen, anders darüber zu reden sei „albern“. Es ist, erklärt Heise, sobald man mit diesen Leuten zu tun hat, kein moralisch sauberes Verhalten möglich. Das müsse man aushalten.

Zwischenruf: „Damit der Film fertig wird!“ Kurzfristig erhebt sich Stimmengewirr im. Zuschauerraum, begehrt man nach einer Grenzbestimmung: des Punktes, an dem einzugreifen wäre. Probleme der Grenzziehung gibt Sebastian Richter zu (irgendwann identifiziere man sich auch mit denen, die einen beschäftigen), definiert diese jedoch als Frage der „Distanz“. Hier ist auch der Punkt erreicht, an dem das Interesse der Filmemacher an ihrem Gegenstand wenigstens in der Negation beschreibbar wird.

Was will der Film nicht. aussagen? oder: Welche Fragen sollte man nicht stellen ? Darunter fällt Auschwitz fällt ideologische Organisation: Ersteres ist, laut Heise, keine Art, mit einem Denken umzugehen, das die Jugendlichen nicht ändern könnten; sie seien ferner zu „anarchistisch“ um auf eine Parteilinie eingeschworen, entsprechende Disziplin zu üben. Ihn habe interessiert, sagt der Regisseur woher sie kommen und wohin sie gehen und wie „rechts“ überhaupt zu verstehen ist. Allerdings, das zeigt die Diskussion klarer als der Film selbst, ist schon eine solche Richtungsbestimmung dem Regisseur fragwürdig, der den Jugendlichen neutral begegnen wollte, so beharrlich sie ihn auch befragten (Bist du „links“?). Seine Antwort: „Ich bin ein Neutrum“. Sein Erfolg: Zuletzt glaubten sie ihm, glaubten dann auch endlich, als sie den Film sahen, daß er sie nicht, wie zuvor die öffentlichrechtlichen Medien, „überfahren“ wollte. Gelernt haben sie daraus, daß „nicht alle so blöd sind wie der WDR“. Als „sozialarbeit“ bezeichnet Thomas Heise denn auch die Entscheidung, einen sechzehnjährigent von der Gruppe verspotteten Mitläufer vor seine Kamera zu holen – wieviel an gegenseitiger Peinlichkeit da auch auszuhalten war: Er habe dem Jungen einen Gefallen getan

So also wurde die Abwehr der medien-mißtrauischen Jugendlichen, denen man „Bewertung“ nicht zumuten durfte, durchbrachen: Um die Leute in den Betonwürfeln geht es, ums „Nachkucken, wer sie sind“. Anders wäre nämlich, der aufmerksame Leser ahnt es schon, eine Weiter- (oder Zusammen-)Arbeit nicht möglich gewesen

Dem entspricht, daß man im Publikum auch „was Flirrendes, Intensives“ in der Art, wie die Kamera eine entstehende Beziehung zwischen Filmenden und Gefilmten offenlegt, entdecken mag ¬– jenen Zwiespalt, in dem die Jungs sich ja vor allem selbst befinden, jenes Umkippen von sympathischer Schüchternheit zur Verhärtung, zum brutalen Schläger kann man dann auch als Qualität eines Films goutieren und dort belassen.

Es beginnen nun auch die Begriffe an den Rändern auszufransen, zu „flirren“: Von der „engen Grenze zwischen Links und Rechts“ wird etwas eingeworfen, Thomas Heise spricht davon, „Blödheit“ zu „akzeptieren“, in der „dumpfen Hoffnung, daß das keine Mehrheit sein wird“. Und zuletzt eine weitere Enthüllung der Hintergründe: Eigentlich habe man auch „Linke“ im FiIm zeigen wollen, habe allerdings nicht zur richtigen Umgangsform gefunden, und es waren die „Linken“ tatsächlich „verklemmter“ als die „Rechten“. „Auch das muß man aushalten“

Vorsicht mit Methode. Spät, für die Diskussion wohl zu spät, formuliert Thomas Rothschild sein Unbehagen mit dieser Diskussion selbst, der Einforderung eines Zartgefühls (Begriff: Verhör, obschon bereits entschärft) gegenüber rechtsradikalen Jugendlichen (ohne Anführungszeichen gesprochen und daher so wiedergegeben). Ein anderer Zuschauer schließt sich an, befragt die Tradition des Interviewstils: jenes platzgebenden Zuhörens, das sonst entweder der Solidarität oder der Kalkulation mit entlarvender Selbstdarstellung entspringe, hier. aber Zeichen von „Übervorsicht“ sei. In dieselbe Richtung zielt Dietrich Leders Anmerkung über die irritierende Geduld der Filmemacher („der dramaturgische Trick mit dem Kuchen ist so gut, wie dieser nachher aussieht“), ihre Tendenz, Fragen, die dem Unvoreingenommenheitspostulat geopfert waren, an andere – den Vater, die Freundin der Gesprächspartner – zu deligieren

Genauer hat das allerdings niemand mehr formuliert – oder etwa die ungestellten Fragen eingeklagt (wie zuvor die Rücksicht mit den Befragten). Die Diskussion von STAU hat gezeigt, daß ein Gespräch über Film Ieichterdings auch dort enden kann, daß „Haltung“ sich allemal leichter als filmische Methode denn als politische Forderung besprechen läßt, daß die Prädizierbarkeit einer Redeweise als „albern“ solche Fragen effizient auszuschalten erlaubt.

Was wir gelernt haben: Haltung, die einzig mögliche bei einer Arbeit wie dieser, ist Aushalten, das Aushalten aber dem Wegsehen verwandt. Weiter: Daß Wegsehen auch mit einer Kamera möglich, und daß angesichts schlagwortartiger Fernsehberichterstattung Verständnis und „Akzeptieren der Blödheit“ (vergleichbar wohl einem geistigen Spagat) vielleicht doch die bessere Lösung sind. Die Differenzierung vernichtet zuletzt jede (auch sprachliche) Klarheit: „Wer ist denn wessen Opfer?“ Das, so meint, Sebastian Richter, muß im Einzelfall überprüft werden. Die Gesprächspartner Opfer der Kamera, der gesellschaftlichen Verhältnisse, besonders in der DDR? Andere Opfer (die der realen Gewalt) gespensterten auch in dieser Diskussion nur am Rand einher, denn es läßt sich der Gegensatz von Opfern und Tätern offensichtlich genauso leicht verwischen wie der von „Links“ und „Rechts“. Toleranz, dachte ich, setzt eine Haltung schon voraus. Auch solche Diskussionen wie die hier wiedergegebene muß man offensichtlich aushalten.