Film

Gestern war heute noch morgen
von Gerhard Ziegler, Rebecca Harms, Roswitha Ziegler
DE 1991 | 95 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 15
13.11.1991

Diskussion
Podium: Andreas Schreitmüller (Redaktion), Rebecca Harms, Roswitha Ziegler, Gerhard Ziegler
Moderation: Dietrich Leder
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

1. “ ••• in Galaxien vorzudringen, die noch nie ein Mensch gesehen hat~ oder: „Wer macht was ? Was ist wo ?“

Mit diesen Fragen artikulierte eine Zuschauerio ihr Unbehagen über den Filmschnitt: Bildrätsel seien nicht aufgelöst , Zusammenhänge nicht klar geworden. Trotz des Einwurfs von Themas Rothschild (‚ Endlich ein Film, der Fragen offen läßt!‘) kreiste die Diskussion des längeren um die Montage, die ‚Bild- und Tonzerstückelung‘, die Wiederholungen, mit denen der Film arbeitet.

Synonymreihen we rden gebildet: zerschneiden, zerhacken, zertrümmern, atomisieren. Der Metaphorik des Augenblicks folgend erklärte Fosco Dubini den Film zum ‚Plasmastrom•: Die assoziative Montage funktioniere am Anfang, führe dann aber in die Wiederholung und zuletzt zur Unverständlichkeit.

Seine eigene Irritation erklärte Dietrich Leder mit dem Hinweis, in GESTERN WAR HEUTE NOCH MORGEN werde mit dem Ton so verfahren, wie sonst das Fernsehen Bilder verarbeite: Wortres t e, Satzfragmente r e ihen sich auf, Begriffe werden aus ihrem Zusammenhang gelöst. Er erkenne darin, so Leder, ein sprachkritisches Arbeiten, wenn ihm auch die Gewichtung nicht immer eingeleuchtet habe. Auf die Puttkammer ’sch· Zeitrechnung , die von einer bezeichnenden Teil-Amnesie geprägt war („Vor fünfzig Jahren. Also 1920.“ 0-Ton 1990) wurde beispielsweise kein Akzent gelegt.

Es sei ein Experiment gewesen, die Sprachebene auf diese Weise zu bearbeiten, betonte Roswitha Ziegler, man habe den Aussagen der Gesprächspartner etwas Eigenständiges entgegensetzen wollen, was in diesem Fall nur über die Form möglich gewesen sei. Die ZerschneideTechnik sei auch Ausdruck des „nicht mehr Aushaltenkönnens“, ergänzte Gerhard Ziegler, und zitierte von den befragten Herren verwandte Begriffe wie „Weltjudentum“ und „Verschwörung“. Dem zuschauerkommentar, hier habe die Technologie-Thematik auf problematische Weise Eingang in die Form gefunden, d ie die auf der Ebene des Inhalts kritisierten technoligischen Spielereien einfach übernehme, hielt Ziegler entgegen,’Zertrümmerung‘ (hier auch wieder Metapher für den Schnitt) sei wohl kaum der Zweck der Rakete.

2. Paranoide Ideen und utopische Momente

they want weapons to arm themselves I against every childhood fear

they want rockets to fly up to heaven I and get the hell out of here

(Timbuk3)

Definition der NASA: Eine P.R. Organisation für die Idee der Raumfahrt (Gerhard Ziegler)

Definition der Raumfahrt: Die paranoide Idee der Planetenflucht (Roswitha Ziegler)

Dies, so ergänzte Roswitha Ziegler, sei der Ausgangspunkt des Filmprojekts gewesen, die vorgefundene Wirklichkeit habe jedoch schlimmste Befürchtungen schnell übe rtroffen. Jesco von Puttkammers Ausführungen seien wie eine Nacherzählung des (ihm unbekannten) Drehbuchs gew.esen, erklärte Rebecca Harms, auf diese Weise habe das erste Interview den Filmschluß bereits vorw·eggenommen.

Puttkammer, bekannt aus verschiedenen Film- und Fernsehauftritten, er,zähle eigentlich immer dasselbe, .be merkte Bodo Schönfelder darauf; da habe man wohl offene Türen eingerannt, und insofern erscheine ihm der Film wie die „hochartifizielle Verfremdung’~ dieses Tatbestandes.

Von verschiedenen Seiten wurde kritisch vermerkt, daß den Interviewpartnern, deren Erklärungen und Selbstdarstellungsstrategien doch äußerst enthüllend ausfielen, zu wenig Raum gewährt worden sei. Dietrich Leder kommentierte: An einigen Stellen im Film verrieten sich Widersprüche im Selbstbild der Befragten – etwa anband des Bebarrens auf dem Zusammenhang von Raketenentwicklung und KZ-Arbeitskräften – die möglicherweise mehr in den Vordergrund hätten gerückt werden sollen.

Man. habe mit diesen Herren, die sich gleich zu Anfang beim ZDF der Seriosität des Projekts hatten versichern wollen, äußerst vorsichtig umgehen müssen, erklärte Roswitha Ziegler. Über das in die USA importierte ‚Deutsche Raketenteam‘ berichtete Gerhard Ziegler ergänzend, daß sich in der Sprache der Beteiligten ihr ganzes Weltbild dokumentiere: So bald die Ingenieure wieder deutsch sprechen zeigt sich, daß sich Wertvorstellungen von 1945 ungetrübt erhalten haben, daß die Einbürgerung in demokratisches Denken nur oberflächlich gelungen ist. Ein zweiter Film über diese besonderen Karrieren wird derzeit vorbereitet.

Hier vermißte nun Thomas Rothschild die genauere Dokumentation des politischen Zusammenhangs, der eine historische Lokalisierung von Planetenflucht-Ideen erlaubt hätte. Er wehrte sich zugleich gegen die ‚vereinfachende Diskussion’~ GESTERN WAR HEUTE NOCH MORGEN sei mehr als ein „Lächeln über technokratische Mä nnerträume“, demonstriere, wie technokratisches Denken unter ande r em eben auch für den Krieg funktionalisierbar sei. Das Moment der Utopie weise der Film ebenso auf: ‚ An ein Leben außerhalb der Erde zu denken, ist keine grundsätzlich konservative Idee‘.

Ein anderer Zuschauer hatte gerade dies Ernstnehmen naiver TechnikBegeisterung im Film vermißt: Die Projektion von Wünschen in technische Apparate sei kein auf die gezeigten Raketenplaner beschränkbares sondern ~ in viel allgemeineres Phänomen. Eine Auseinandersetzung damit fehle aber, stattdessen produziere der Film Karikaturen. Gerhard Ziegler begegnete dieser Kritik mit dem Hinweis auf den klaren militärischen Verwendungszweck der Raketen, klassifizierte die Begeisterung ihrer Erbauer insofern als Lüge.

Was nicht mehr zur Sprache kam: Wie der im Film angedeutete Zusammenhang von Kinderspiel und Technologienzüchtung zu verstehen ist – ob als Konsequenz von „Männerträumen“ oder nicht vielleicht als die Zwangsläufigkeit einer sich rückwärts wendenden Zukunftsvision, die unter apderem aus Fritz Lang-Filmen gespeist wird.

3. Wo ist Amerika ? Ungestellte Fragen.

my mother said I to get things done I you better not mess with major tom. (David Bowie)

Öb die Filmemacher ihre Arbeit auch als Konfrontation europäischer und amerikanischer Kultur erlebt hätten, wurde abschließend aus dem Publikum gefragt. Während Gerhard Ziegler dies im Rekurs auf die eigene Sozialisation {Aufwachsen in d e r Nähe amerikanischer Militärstützpunkte u.v.m.) verneinte, wollte Rebecca Harms zwischen USA und NASA differenzieren: Die NASA-Zentren seien eine in sich geschlossene Welt, innerhalb derer man sich während der Dreharbeiten fast ausschließlich bewegt habe.

Gerade hier hätte sich – auch im Blick auf das im Film vorgestellte BIOSPHERE II- Projekt – die Frage nach Simulationsstrukturen und -bedürfnissen anschließen lassen. Was bedeutet die gezeigte Ähnlichkeit der Prinzipien, nach denen Raumfahrtphantasien, Kinderworkshops über Mondmissionen und naturwissenschaftliche Testreihen zur Weltraumkolonisation zu funk~ionieren scheinen ? Erklärt sich aus einem solchen Simulationsbedürfnis die unreflektierte Nähe zur Fiktion (wie sie der Film in der Verwendung von Dialogfragmenten aus dem Science Fiction-Kino anzudeuten scheint)?

Vor einigen Jahren benannte die NASA ein Space Shuttle unter dem Druck zahlloser Zuschriften und Petitionen in ENTERPRISE um. Zur Taufe dieses Raumschiffs waren alle Hauptdarstller der gleichnamigen Fernsehserie anwesend.

 Torsten Alisch, Judith Klinger v.l. © Ekko von Schwichow
Torsten Alisch, Judith Klinger v.l. © Ekko von Schwichow