Film

Lindenhotel
von Andeas Fischer, Fayd Jungnickel
DE 1990 | 70 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 14
16.11.1990

Diskussion
Podium: Andeas Fischer, Fayd Jungnickel
Moderation: Klaus Kreimeier
Protokoll: Reinhard Lüke

Protokoll

Produktionsnotizen

Die Idee dieses Films entstand, so Fayd Jungnickel, als er anläßlich eines ‚Tages der offenen Tür‘ das Lindenhbtel besichtigt habe. Er selbst habe aber nicht die Mittel zur Realisierung des Projektes gehabt. Deshalb habe er sich mit Andreas Fischer in Verbindung gesetzt, weil er über einen festen Stab von Mitarbeitern verfüge. Nur so sei es möglich gewesen, den Film binnen kürzester Zeit zu drehen. Finanzielle Unterstützung wurde den Filmemachern durch das Filmbüro NW zuteil, das relativ unbürokratisch 10.000 DM zur Verfügung stellte. Davon habe man, so Jungnickel, unter Ausnutzung der Verwirrungen in jener Zeit das Filmmaterial für einen Spottpreis (700 DM für 40 Rollen) gekauft. Die Entscheidung für s/w sei von Beginn an klar gewesen, da ‚Farbe‘ in einem solchen Film keinerlei dramaturgische Funktion gehabt hätte. Auch ‚Video‘ habe nie zur Debatte gestanden. Man habe dem hektischen Aufzeichnungsfieber, das unzählige Fernsehanstalten in den Tagen der Öffnung des Lindenhotels an den Tag gelegt hätten, ganz bewußt einen Kinofilm entgegensetzen wollen. Eine detaillierte Konzeption habe es auf Grund der kurzen Vorbereitungszeit nicht gegeben. Klar sei nur gewesen, so Andreas Fischer, daß man bestimmte Dinge wie Kommentar oder Musik nicht habe verwenden wollen.

Die Interviewpartner habe man entweder am Tag der offenen Tür im Lindenhotel getroffen oder per Zeitungsannonce ausfindig gemacht. Andreas Fischer erläuterte, daß es manchmal schwierig gewesen sei, die Betreffenden davon abzuhalten, schon vor Beginn der Dreharbeiten die Geschichte ihrer Leiden zu erzählen. Detaillierte Vorgespräche habe man deshalb möglichst vermieden.

Zur Frage der eingespielten Tonbandaufzeichnungen; es habe im Lindenhotel einen Raum voller Tonbandcassetten gegeben. Als sie Interesse daran bekundet hätten, seien die Bänder mit dem fadenscheinigen Hinweis auf den Datenschutz jedoch umgehend entfernt worden. Sie hätten also nur ein einziges Band zur Verfügung gehabt, das ihnen von anderer Seite zugespielt worden sei. Doch der Inhalt dieser Aufzeichnungen sei weit weniger ungeheuerlich gewesen als erwartet. Die im Film verwendeten Ausschnitte seien eigentlich auch die prägnantesten Stellen. Aber vielleicht sei die Vorstellung, die STASI habe in den letzten Jahren noch vorwiegend geprügelt, etwas naiv. Auch dort habe man schließlich weit subtilere Verhörpraktiken entwickelt.

Klaus Kreimeier pflichtete dem bei und meinte, das Tondokument mache ‚Unterdrückung‘ im Tonfall plastisch hörbar.

(Dis-)Kontinuitäten

Thomas Rothschild: Die Sequenz mit dem Häftling aus der Nazi-Zeit solle doch wahrscheinlich eine Kontinuität andeuten. Diese Linie werde jedoch im Rest des Films nicht weiter verfolgt. Warum nicht. Andreas Fischer dazu: der Grund sei primär, daß man hierzu nur diesen einen Zeitzeugen gefunden habe. Dieser sei jedoch auf Grund seines angeschlagenen Gesundheitszustandes nur wenig belastbar gewesen und habe zudem selbst diese Kontinuität auch gar nicht gesehen.

Eine ausländische Diskussionsteilnehmerin glaubte auch in der Tatsache, daß viele Menschen im Film wieder einmal behaupten, ‚von allem nichts gewußt‘ zu haben, eine Kontinuität zu sehen. Oder ob so etwas wirklich denkbar sei?

Fayd Jungnickel: Das entspreche in vielen Fällen möglicherweise durchaus den Tatsachen. Natürlich habe jeder davon wissen können, nur die meisten hätten eben nicht wissen wollen. Insofern gebe es natürlich Affinitäten zu den Verdrängungsmechanismen, wie sie in Deutschland nach ’45 gang und gäbe gewesen seien. Auf der anderen Seite habe die Kontinuität zwischen KZs und Praktiken der sowjetischen Besatzungsmacht, bzw. der STASI auch Grenzen. Diese Grenze werde sehr deutlich wenn jemand im Film sage: ‚So schlimm es auch war, aber die Russen haben keine Gasöfen gebaut.‘

Einige Teilnehmer zeigten sich enttäuscht, daß bei dieser Ost/West-Zusammenarbeit die bundesrepublikanische Perspektive nicht deutlich werde. Wenn man an die Zustände in hiesigen Gefängnisse denke, könne man doch auch hier Parallelen entdecken. Andreas Fischer entgegnete diesem Vorwurf, daß man sich bewußt auf dieses Haus beschränkt habe. Aus diesem Grund habe man auch Zeitzeugen, die in anderen Gefängnissen der DDR eingesessen hätten, nicht berücksichtigt. Fayd Jungnickel beharrte auf entscheidenden Differenzen. Die Leute im Lindenhotel seien für ‚Vergehen‘ inhaftiert worden, für die ihnen in der BRD nicht die geringste Strafe gedroht hätte.

Klaus Kreimeier sah in der Forderung nach dem Aufzeigen von Parallelen eine andere Kontinuität. Hier seien dieselben Verdrängungsmechanismen am Werk, mit dem ein Teil der westdeutschen Linken während der letzten 40 Jahre die Mißstände in der DDR ausgeblendet habe.

Themas Rothschild: die Unterschiede seien natürlich, was die Gründe der Inhaftierung angehe, unstrittig. Auf der Seite der Haftbedingungen seien jedoch Parallelen nicht minder evident. Der Film sei genau da problematisch, wo er beide Ebenen vermische. Hier liege auch eine Gefahr, wenn man daran denke, mit welcher Selbstgerechtigkeit der Film in bestimmten Kreisen hier wahrscheinlich aufgenommen werde.

Opfer – Täter

Ein Teilnehmer kritisierte, daß der Film auf fatale Weise kippe, wo er Passanten auf der Straße ins Bild bringe und ihnen unkommentiert gestatte, ihre Rachegelüste zum Ausdruck zu bringen. Das seien doch genau die Menschen, die all die Jahre geschwiegen hätten. Die Filmemacher räumten ein, daß es hier einen Bruch im Film gebe. Den habe man jedoch bewußt hingenommen, um einerseits die nun einmal real vorhandenen Stimmungen zu spiegeln, andererseits, um die Frage zu stellen, wie mit den Tätern umzugehen sei, ohne in dieselben Mechanismen zu verfallen, die man doch eigentlich anprangere. Aus diesen Gründen sei es für sie auch undenkbar gewesen, im Film die Namen der Täter zu nennen. Bei einer Vorführung in Potsdam sei jedoch von mehreren Zuschauern genau das verlangt worden.