Film

Hätte ich mein Herz sprechen lassen, hätte ich den Film nicht gemacht …
von Petra Aßmann, Ilona Holterdorf, Eva Löhr
DE 1990 | 30 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 14
1990

Diskussion
Podium: Petra Aßmann, Ilona Holterdorf, Eva Löhr, Helga Reidemeister (Protagonistin)
Moderation: Didi Danquart
Protokoll: Eva Hohenberger

Protokoll

Absicht, Entstehung, Dreharbeiten

Der Film sollte zunächst ein Porträt von Helga Reidemeister werden, konzentrierte sich dann aber zunehmend auf den Film „Von wegen Schicksal“ und seine Folgen für Darstellerin und Regisseurin. Aufgrund des Todes von Irene Rackowitz konnten geplante Aufnahmen (Gespräche mit Irenes Kindern, Gespräch zwischen Irene und Helga) nicht mehr gedreht werden. Die Filmemacherinnen haben überlegt, ob sie den Film Oberhaupt noch machen sollen, haben sich dann wegen der Bedeutung des angesprochenen Problems für die Realisierung entschieden.

Der fertige Film

Die Montage des Films spiegelt zugleich den Erkenntnisprozeß der Filmemacherinnen. Ihr Bewußtsein für das problematische Verhältnis zwischen Dokumentarist und „Darsteller“ wuchs während der Produktion ebenso wie das Bewußtsein für die politische Dimension des Problems. Deswegen reflektiert der Film den gesellschaftspolitischen Zusammenhang, innerhalb dessen „Von wegen Schicksal“ entstand, nicht durchgängig, sondern erst am Schluß.

Die Filmemacherinnen interessierten sich besonders für die subjektive Wahrnehmung von Irene Rackowitz, daß sie vieles nicht erwähnt, was sich nach dem Film ereignet hat, und nur davon spricht, daß sich Helga Reidemeister auf ihre Kosten profilieren und professionalisieren konnte. Auf die Filmemacherinnen machte sie den Eindruck, all die Jahre etwas verdrängt zu haben. Sie sei sehr froh gewesen, die Geschichte aufarbeiten und sich mit Helga Reidemeister versöhnen zu können.

Der Konflikt zwischen Helga Reidemeister und Irene Rackewitz brach schon bald nach Veröffentlichung des Films aus. Obwohl beide mit dem Film gereist sind, herrschte doch eine Ungleichheit, angefangen bei der Behandlung durch die Presse bis hin zu der Tatsache, daß Irene Rackowitz eben weiter ein Sozialfall blieb. Die soziale Asymmetrie hatte Helga Reidemeister gehofft. durch die starke persönliche Bindung und den gemeinsamen politischen Anspruch Oberspringen zu können. Daß sie bestehen blieb, führte zu einem „Verlust der Unschuld“, zu Berührungsängsten und schließlich zu einer Trauer, auch Ober die mangelnde Radikalität ihrer folgenden Filme.

Darsteller und Filmemacher im Dokumentarfilm

Der Film zeigt extrem, aber eben deshalb exemplarisch das Problem auf. Das Verhältnis zwischen Filmemacher und dargestellter Person wird analog dem eines Psychoanalytikers zu seinem Patienten mit Begriffen wie Identifikation und Übertragung beschrieben, oft habe der Filmemacher die Rolle eines „ungelernten Sozialarbeiters“. Diese Begriffe unterschlagen auf der anderen Seite die politische Situation, die ja gerade bei „Von wegen Schicksal“ ausschlaggebend war. Der Film entstand aus der politischen Ideologie der Zeit, nach der das Private öffentlich sein sollte, und die Klassenfrage war wichtiger als irgendeine Beziehung á la Therapeut – Patient. Irene Rackowitz hatte sich vielleicht auch gerade deshalb mehr von dem Film für sich selber versprochen. Aber es ist generell schwierig, soziale Verhältnisse am Einzelfall zu exemplifizieren, weil ein Mensch auf ein gesellschaftliches Problem gestossen wird und es doch nicht lösen kann.

Allgemeiner Konsens war die prinzipielle Asymmetrie zwischen dem Menschen vor und dem hinter der Kamera. Die Kamera bedeutet auch Macht. Und für den Filmemacher besteht die Präferenz im Produkt, für den Darsteller im Persönlichen. Der Dokumentarist geht zu seinem nächsten Projekt, der Darsteller fällt aus seiner „Hauptrolle“ zurück in den Alltag. Filmemachen bedeutet immer auch eine Art ungewollten „Vampirismus“ mit nicht im voraus berechenbaren Konsequenzen. Je intensiver die Zusammenarbeit, desto spannender das Produkt, umso schwieriger das Problem nach der Fertigstellung. Es gibt keine pauschale Lösung, nur den Appell, sich als Regisseur des Problems stets bewußt zu sein und verantwortlich zu handeln.

Vielleicht, kam Didi Danquart wieder auf den Film zurück, könne an ihm das Scheitern des politischen Anspruchs von Helga Reidemeister festgemacht werden. Was aber wäre daraus zu lernen?