Film

Roger Bornemann – Tod eines Skinheads
von Andrea Morgenthaler
DE 1989 | 78 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 13
18.11.1989

Diskussion
Podium: Andrea Morgenthaler, Monika Zeindler (Schnitt)
Moderation: Dietrich Leder
Protokoll: Michael Kwella

Protokoll

[Welche Lust, dies Protokoll zu schreiben – knappe Fragen, präzise Antworten, bei Kontrapunkten produktives Wechselspiel der Einlassungen und dazu keine redundanten Selbstdarstellungen von niemandem. Um möglichst viele Inhalte möglichst ungekürzt unterzubringen, verzichte ich darauf, die Fragen zu kennzeichnen; was demnach als Monolog von Andrea Morgenthaler erscheinen mag, war tatsächlich ein spannender Dialog. D. Protok.]

Mal sei es leicht gewesen, die Leute vor die Kamera zu bringen, mal sehr schwierig, so daß sie schließlich stets sofort gedreht hätten, wenn jemand auch nur ansatzweise sein Einverständnis signalisiert hätte. Die Verfremdung der Gesichter war eingeforderte Bedingung; der „Dicke“ habe darauf verzichtet, da nach einer Entziehungskur es Teil seiner Therapie sei, sich nicht mehr zu verstecken.

Einen Anwalt hätte keiner der Beteiligten eingeschaltet, insbesondere der Vater von Roger Bornemann habe durch frühere Filmerfahrungen mit Andrea Morgenthaler Vertrauen gehabt. Jener ganz anders geartete Film über die Skinhead-Szene in Hannover (eine Reportage) habe ihr überhaupt den Zugang zur Szene erleichtert, gleichwohl hatte sie angesichts ihrer Bekanntheit auch Angst. Problematisch sei die Unfähigkeit der Skins gewesen, sich zu artikulieren, manchmal sei die Situation auch gekippt und sie hätten sich vor der Kamera nur produziert. Schwierig sei es für sie gewesen, ruhig zu bleiben und die Äußerungen nicht zu kommentieren.

Geld für die Interviews habe sie nicht gezahlt, allenfalls gelegentlich 50.- DM Verdienstausfall.

Die Motivation der Leute, sich vor der Kamera zu äußern, habe wohl in erster Linie mit der Betroffenheit über den Mord zu tun; eine Plattform für politische Meinungsäußerung habe niemand gesucht. Im übrigen habe sie bei den anderen Dreharbeiten erlebt, daß man sich heute nicht einmal bei Straßeninterviews mehr scheue, seine rechtsradikale Meinung zu sagen.

Die Polizei käme in dem Film nicht vor, weil sie jegliche Aussage verweigert habe – es handele sich um ein abgeschlossenes Verfahren… So sei beispielsweise nicht ermittelbar gewesen, warum bei der Straftat des noch minderjährigen R. B. der Vater nicht benachrichtigt worden sei.

Reaktionen aus der Szene auf den Film habe es nicht gegeben, jedoch sehr viel Zuschauerpost aus dem rechten Lager, zum Teil mit rüden Beschimpfungen.

Zuschauerin: Der Film bagatellisiere das Thema, mache zu wenig von dem komplizierten Beziehungsgeflecht Suff, Gruppendynamik, Familien- und Gesellschaftsstruktur sowie Faschismus deutlich.

A.M.: Sie habe exemplarisch einen Fall schildern wollen, um bestimmte Strukturen aufzuzeigen; dabei sollten die Befragten nicht stigmatisiert werden, sondern sie habe die Motive für ihre Haltung und ihr Handeln herausfinden wollen. Genauso habe sie Entwicklungen nachspüren wollen, und zwar unter dem Aspekt: Wo hätte man eingreifen, etwas tun können. Roger Bornemann habe Signale gesetzt, daß er eigentlich raus wolle aus der Szene aber z.B. weder Jugendgerichtshilfe noch Lehrer hätten sich besonders bemüht, das aufzugreifen. Die Schule habe übrigens Aussagen verweigert, nur mit Mühe hätte sie die zwei Lehrer zum Reden bringen können; wahrscheinlich sei ihnen bewußt, daß sie zu wenig präsent gewesen seien.

Das Gerichtsurteil laute „Mord aus niederen Beweggründen“, als Anlaß siedelt Andrea Morgenthaler gruppendynamische Prozesse an. Sie habe versucht, Stellungnahmen von den vier Mördern zu bekommen, doch die wären ausgewichen – wohl weil ihnen bewußt sei, jeder andere hätte das Opfer sein können. Da zudem unklar sei, ob es einen Auftrag aus Parteikreisen gegeben habe, hätten Spekulationen der Täter darüber sie selbst gefährdet.

Mit einem habe sie ausführlicher gesprochen, nur hätte der nichts kapiert – „sie hätten die Tat ja eigentlich nicht gewollt“. Der Mord erscheine ihm als Ausrutscher, der halt passieren könne; zwar täte er schuldbewußt, aber wirklich auseinandersetzen würde er sich nicht, stattdessen sich im Kopf ein „neues Leben“ nach dem Knast aufbauen.

Als faszinierende bis gespenstische Figur erschien vielen Zuschauern der Vater: Warum er nicht früher interveniert habe, schließlich habe er doch das Vertrauen des Sohnes behalten?

A.M.: Roger Bornemann habe seinem Vater etwas vorgemacht. Der wußte zwar, daß sein Sohn im rechtsradikalen Milieu verkehrte, aber nicht, wie weit sein Partei-Engagement ging. Die tatsächlichen Informationen habe er erst drei bis fünf Tage vor dem Mord bekommen, ansonsten habe Roger immer wieder beteuert, daß er sich ändern wolle.

Sechs, sieben Jahre habe der Vater die Nähe des Sohnes gespürt, ohne in dessen Entwicklung eingreifen zu können; das habe ihn psychisch so weit verkrüppelt, daß sein Einfluß schließlich kein ausreichender mehr gewesen wäre.

Die Konsequenzen des Vaters aus dem Tod seines Sohnes: Er reagiere als Kopfmensch und gehe an die Schulen, um seine Geschichte zu erzählen.

Von Zuschauerseite wurde als Alternative zur distanzierten (Frage-) Haltung von Andrea Morgenthaler eingebracht, sie hätte ja auch ein Verhältnis zu den Befragten aufbauen können, sich einbringen und auseinandersetzen können – etwa bei dem Vater, der dann möglicherweise auch einmal Betroffenheit hätte erkennen lassen.

A.M.: Das habe sie nicht gekonnt. Etwa bei dem im Kinderbett gefilmten Skin sei sie schon überfordert gewesen, habe sie sich gerade mal mit Mühe zurückhalten können. Und beim Vater habe sie keine Theorie gehabt, auf deren Basis sie ihn hätte zur Rede stellen können. (An dieser Stelle begann ein Austausch die Probleme der Verantwortung und therapeutischen Möglichkeiten von Filmemachern; aus Zeitgründen mußte die Diskussion jedoch abgebrochen werden. Der abschließende Punkt des Protokolls war an anderen Stellen des Gesprächs Thema.)

Die Form ihres Films sei ursprünglich anders angelegt gewesen: Sie hätte noch zahlreiche SW-Fotos und Farbfilmmaterial von Schauplätzen der Geschichte gehabt, doch dies beim Ausmustern „weggeworfen“. Das Bild des Skins solle im Kopf der Zuschauer entstehen, wie z.B. seine Schule aussehe, halte sie für unwichtig, ablenkend – es käme ihr vor wie ein Bildzeitungs-Bericht. (Dieser Punkt blieb kontrovers – einige Zuschauer hätten sich zusätzliche Bilder gewünscht – sei als Informations- oder Assoziationsmaterial oder als Ruhepunkt zwischen den vielen Interviews.)

Bilder im Familienkreis hätte sie nicht gedreht, weil das nichts bringe, da die Anwesenheit des Fernsehens eine künstliche Situation schaffe. Die Benennung der Weigerung von Einzelnen (wie der Freundin des Vaters), vor der Kamera zu reden, habe sie nicht in den Film aufgenommen – es seien zu viele gewesen. Dieses Thema ergäbe einen eigenen Film.