Film

Leben, Vivre, Žisn‘
von Ludwig Metzger
DE 1989 | 105 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 13
16.11.1989

Diskussion
Podium: Ludwig Metzger, Angela Rustemeyer (Mitarbeit)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Reinhard Lüke

Protokoll

Nachdem im Saal zunächst allgemeines Schweigen herrschte, bediente sich Werner Ruzicka des alten Moderatorenkniffs und gab Zuschauerreaktionen wieder, die er nach der Vorführung des Films ‚auf den Fluren‘ vernommen hatte. Da sei viel von der Wichtigkeit der Aussagen, aber auch von großen Vorbehalten hinsichtlich der Art, wie der Film mit den Emotionsausbrüchen der Interviewpartner umgehe, die Rede gewesen. Damit war auch schon das Problem umrissen, das die folgende Diskussion weitgehend bestimmte. In solchen Situationen so nah rangehen mit der Kamera-soll man das, darf man das oder muß das gar sein?

Ludwig Metzger zu dieser Frage: Natürlich rührten auch ihn diese Tränen immer wieder an, erschlugen ihn geradezu, wenn er seinen Film wieder sehe. Aber wie und ob überhaupt solche Szenen gedreht werden sollten, überlasse er grundsätzlich seinen Kameraleuten. Das sei schließlich eine Frage der subjektiven Einstellung und er wolle da niemandem Vorschriften machen.

Ob es denn da überhaupt noch Material gegeben habe, das unter diesem Aspekt bei der Montage rausgefallen sei? Sicherlich, so Metzger, das habe es gegeben. Beispielsweise habe sich der alte Mann bei der Vorführung des ‚Inschriften-Films‘ plötzlich übergeben müssen. Das habe man dann ohne große Diskussionen im Schneideraum weggelassen.

Eine Zuschauerin meinte, das Team müsse sich gegenüber den Betroffenen doch in einer Art therapeutischen Situation befunden, i.S.e. Auffangens der durch die Fragen ausgelösten Reaktionen. Wie man damit umgegangen sei? Metzger dazu: Er sich da sowenig als Therapeut gefühlt, wie sich die Interviewten ‚wie auf der Couch‘ vorgekommen seien. Schließlich habe das russische Ehepaar seine Aussagen bereits vorher brieflich gemacht. Diese Erinnerungen seien also keineswegs erst während der Dreharbeiten bei ihnen hochgekommen.

Werner Ruzicka gab zu bedenken, ob dieses Peinlichkeits- oder Betroffenheitsgefühl ein Effekt der Großprojektion sei der auf dem Bildschirm nicht in dem Maße auftrete. (Metzger: Die Kinoleinwand ist in diesem Punkt wesentlich aggressiver als das Fernsehen.) Darüberhinaus, so Ruzicka weiter zeige sich hier doch auch ein grundsätzliches Problem des Dokumentarfilms, wenn er sich einer solchen Thematik stelle. Müsse man nicht notwendig solche Indiskretionen begehen, um Verschüttetes, Verdrängtes überhaupt in Erfahrung zu bringen. (Verweis auf Claude Lanzmanns SHOAH) Desweiteren (immer noch Ruzicka) stelle sich hier die Frage, ob es nicht eine gewisse Doppelmoral sei die ‚Tränen‘ hier im Film zurückzuweisen und auf der anderen Seite die vom 9. November in Berlin zu einer Art Katharsis hochzujubeln. Einwand aus dem Zuhörerraum: klare Sache, hier waren sie Ausdruck einer schmerzlichen Erinnerung, dort eindeutig Freudentränen.

Was die Grundsätzlichkeit des Problems betrifft, insistierten mehrere Diskussionsteilnehmer, daß es in erster Linie darum gehe, wie man sich als Filmemacher gegenüber sochen Gefühlsausbrüchen verhalte, sie ins Bild setze. So sei beispielsweise im Gegensatz zu hier in Thomas Schadts DAS GEFÜHL DES AUGENBLICKS in der Szene des weinenden Soldaten vor dem Memorial die Intimsphäre der Person durch den Abstand: stand der Kamera gewahrt geblieben. Angela Rustemeyer dazu: man müsse sich aber doch fragen, ob es bei dieser Forderung nach Schutz nicht oft darum gehe, sich selbst als Zuschauer zu schützen.

Gleichwohl, so ein Diskussionsteilnehmer, werfe er dem Film vor, sich einer geradezu inquisitorischen Interviewsituation zu bedienen, die besonders zu Beginn deutlich werde (gegenüber den Französinnen), sich aber eigentlich den ganzen Film über durchhalte. Das Unbehagen, das man oft verspüre, resultiere auch aus dem Eindruck, daß die beiden Alten sich nicht trauten, gegen die Anwesenheit, die Macht der Kamera zu protestieren. Schließlich erinnerte ein Zuschauer an Godards Äußerung, daß die Moral einer Einstellung im Abstand von Kamera und Objekt liege. In diesem Film werde jedoch durch das Heranzoomen bei Gefühlsausbrüchen eine Erwartungshaltung (‚jetzt wird‘s spannend, kommt was Besonderes‘) erzeugt, die letztlich das Skandalen der Tränen als eine Situation größter Schwäche so ins Bild setze, daß man unwillkürlich die Assoziation zu der damals von beiden erlittenen Folter habe. Unter diesem Aspekt seien diese Bilder ähnlich widersprüchlich wie die der Fernsehberichterstattung über die Katastrophe im Heysel-Stadion. Darüberhinaus glaube er auch, eine Szene gesehen zu haben (Mann nimmt Privatphoto aus dem Bild und verstaut es in einer Mappe, die er sofort verschnürt), die ein Versuch seitens der alten Leute sei, sich den Hoheitsbereich des Privaten zu bewahren. Diesem Eindruck widersprach Angela Rustemeyer jedoch entschieden. Die beiden hätten vielmehr diese Bilder ungeheuer stolz präsentiert. Schließlich sei ja auch allein die Tatsache; daß sie gleich nach dem Ende ihres Leidens im Sonntagsstaat zum Photographen gegangen seien, ein Beweis ihres ungebrochenen Stolzes und ihrer Würde.

Ludwig Metzger zu den Vorbehalten gegenüber seinem Film (zusammengefaßt): Den Vorwurf des Voyeurismus lasse er nicht gelten. Damit verbinde er die Heimlichkeit einer Schlüssellochsituation. Hier sei die Kamera jedoch in geradezu massiver Form präsent gewesen. Er habe aber selbstverständlich auch während der gesamten Arbeit ein Unbehagen verspürt. Eine solche Situation sei natürlich von vornherein peinlich. Auch habe er sich die Frage gestellt, ob er diesen ehemaligen Opfern nicht wiederum als Täter erscheinen müsse. Aber das sei ein Zwiespalt, in dem man sich bei einem solchen Projekt unausweichlich befinde und den man aushalten müsse. Entweder man mache es oder man lasse die Finger davon. Wichtig sei ihm jedoch gewesen, dieser Widersprüchlichkelt seiner eigenen Rolle auch im Film sichtbar zu machen. Sein Unbehagen, seine Steifheit seien ja deutlich zu sehen. Von besonderem Gewicht sei in diesem ganzen Zusammenhang der Schluß des Films, wo er ja der alten französischen Frau ausdrücklich das Recht zugestehe, sich seiner Arbeit zu verweigern.

Hinsichtlich der Spekulation eines Zuschauers, die Töchter könnten ihrer Mutter selbst von einer Zusammenarbeit abgeraten haben, verwies Metzger auf den Umstand, daß die NS-Zeit (im Hinblick auf das Problem der Kollaboration) ein in Frankreich noch irmner weitgehend verdrängtes Kapitel sei. So werde man dort die Verweigerung der Frau sofort gutheißen.

Last not least glaubte ein Diskussionsteilnehmer in den unterschiedlichen Reaktionsweisen der interviewten Personen (kühle Französinnen vs. herzliche Russen) auch einen gewissen Modellcharakter für die unterschiedlichen Nachkriegsentwicklungen beider Länder zu erkennen. Im Westen herrsche schließlich permanenter Konkurrenzkampf, bei dem jeder gezwungen sei, sich möglichst vorteilhaft zu verkaufen. Von daher habe man Angst, vielleicht für sich Nachteiliges vor der Kamera preiszugeben.

Abschließend zeigte sich Werner Ruzicka stark beeindruckt von der Tatsache, daß sich die Liebe im Fall des Ehepaars als geschichtsresistent erwiesen habe.