Film

Leute mit Landschaft
von Andreas Voigt
DE/DD 1988 | 81 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 12
13.11.1988

Diskussion
Podium: Andreas Voigt
Moderation: Bertram Rotermund
Protokoll: Toni Weber

Protokoll

Die spezifischen Produktionsbedingungen des Films, ein ZDF-Auftrag an einen DOR-Dokumentarfilmer, wollte Bertram Rotermund erstmal aus der Diskussion ausgrenzen, um dem Verlangen von Andreas Voigt entsprechen zu können, Eindrücke von Zuschauern zu erfahren, Reaktionen auf seinen Film zu vernehmen.

Doch eine Diskussion, ohne daß Vorurteile über die DDR bestimmend wurden, war nicht möglich. Bevor sich Zuschauer zum Film äußerten, sprach Andreas Voigt kurz die Projektion seines Films an. Dieser wurde zunächst mittels einer Zweibandkopie vorgeführt, da das ZDF keine einstreifige Kopie erstellt hatte. Als Bild und Ton auseinanderliefen, wurde die Vorführung mittels Video fortgesetzt. Endgültig zerstört wurde der Rhythmus des Films, als dann noch kurz nach Aufnahme der Videoprojektion diese für einen Kassettenwechsel unterbrochen werden mußte.

Nachdem der Filmemacher auf die Frage, weshalb keine Jugendlichen im Film auftreten, mit seiner persönlichen Auswahl der Protagonisten beantwortet hatte, kreiste die Diskussion um drei Bereiche. Die Art der Gesprächsführung im Film, die Thematisierung der Landschaft und die Einschätzung der Menschen, die der Film vorstellt, als solche, die resigniert haben.

Einleitend hatte Bertram Rotermund behauptet, daß die Gespräche über das Verhalten der Deutschen im Ausland oder über Ökologie in der BRD gleichermaßen aktuell seien. Diesem Eindruck widersprach Andreas Voigt. In der DDR gebe es weit weniger Ausländer als in der BRO. Daß die Frau im Film das Verhalten gegenüber Ausländern anspreche, sei begründet in der Geschichte der Familie, die einige Zeit in Bulgarien gelebt habe und jetzt in der DDR. Seine sich anschließende Äußerung, daß er hoffe, daß sich den Zuschauern vermittle, daß seine Frage die Fragen der Interviewten seien, führte dann zur Diskussion und Kritik seiner Gesprächsführung.

Mehrere Zuschauer hatten den Eindruck, daß er seinen Interviewpartnern keinen Raum gelassen habe, sich zu äußern. Kritisiert wurde, daß er seinen Protagonisten ein Wissen abringe, von dem er in Vorgesprächen erfahren habe. Die entschiedene Kritik von Karl Saurer an dieser Arbeitsweise, die der Film zwar nicht kaschiert, wurde aber nicht nur von Andreas Voigt nicht verstanden. Für ihn war seine Frageweise in bezug auf Otto zulässig. Für einige Zuschauer war es selbstverständlich, daß Vorgespräche geführt werden und daß die Interviewten nicht einfach etwas erzählen; ihnen eine Fragerichtung vorgegeben werden muß. Vorgeworfen wurde Andreas Voigt aber nicht nur das Interview mit Otto, wofür ihm der Tip zuteil wurde, er solle den Interviewten die Vorgespräche vergessen machen, sondern auch, daß er des öfteren Suggestivfragen stellen würde. Insgesamt vermittle sein Auftreten den Eindruck, daß er seine Protagonisten für den Film antreibe. Etwa in der Szene, wo der Musiklehrer keine Zeit zuerkannt bekomme, um zu erzählen, da er abrupt aufgefordert werde, Klavier zu spielen. Diese Diskussion über die Gesprächsführung, die auf einem unausgesprochenen Kodex des Filmemachens gründete, versuchte eine Zuschauerin auf den Film hinzuführen. Sie betonte, daß es ihr sehr gefallen habe, zu erleben, wie die Frau des bulgarischen Musiklehrers ungefragt, von sich aus über ihre Eltern und deren Einstellung gegenüber Ausländern gesprochen habe. Solche Gesprächsszenen, wo jemand ungefragt etwas erzählt, hätte sie im Film gern öfters erlebt. Auch Karl Saurer erläuterte nochmals seinen Einwand. Er wünsche sich den Moment in einem Gespräch, wo der Interviewte sich erstmals wieder an etwas erinnere. Daher meine er, solle sich überlegen, ob man auf Vorgespräche verzichten könne oder etwa mit Video arbeite.

Die Sequenzen mit dem Fischer, die von allen als Einheit erfahren worden waren, bildeten im Verlauf der Diskussion immer wieder den positiven Bezugspunkt für die Kritik. Die unterschiedlichsten Zuschauerreaktionen wurden zur Gesprächsrunde des Pfarrers laut, der als Vertreter einer Landschaftsschutzgruppe mit dem Vorsitzenden der LPG ökologische Forderungen abklärt. Für die einen wirkte diese Szene gestellt. andere mutmaßten, daß der Pfarrer die Kamera für sich nutzt. Einige empfanden sie als typisch für die DDR, anderen war sie analog westdeutschen Gesprächsrunden, wo Offizielle Forderungen abwiegeln. Gegenüber diesen Eindrücken bemerkte Andreas Voigt, daß das Gespräch so wie jedes Gespräch vor einer Filmaufnahme abgesprochen worden sei. Die Steifheit der beiden erklärte er aus der Hilflosigkeit, sich zu verständigen, da ein solcher Umgang miteinander noch keine Normalität besitze.

Der zweite Fragenkomplex der Diskussion thematisierte das Verhältnis von Landschaft und Menschen im Film. Doch auch dieser Diskussionspunkt war wesentlich durch feste Erwartungen an den Film geprägt. So wollte ein Zuschauer einen Film sehen in der Arbeitsweise von Johan van der Keucken und stellte dementsprechend Forderungen auf, eine ‚politische Landschaft‘ zu zeigen. Doch auch anderen Zuschauern war die Verbindung von Leuten und Landschaft unklar geblieben. Es wurde gefragt, wo sich im Film zeige, wie die Leute mit der Landschaft verbunden seien oder wie sich die Landschaft in den Leuten zeige. Dieser Aufforderung entzog sich Andreas Voigt, denn er könne nicht etwas in der Diskussion aufzeigen, was die Zuschauer offensichtlich im Film nicht gesehen hätten. Dennoch verwies er auf die Sequenz mit Otto, der im Film eine Erzählerfunktion habe, in der die Landschaft historisch beschrieben werde. Die geforderte geographische Klarheit fand er zweitranigig, da die Dörfer nur einen Kilometer von einander entfernt lägen, so daß er es nicht entscheidend finde. aus welchem Dorf welche Person sei. Die Forderung nach einer ‚politischen Landschaft‘ wäre für ihn nur in einer Reportage erfüllbar, doch sei dies nicht sein Vorhaben gewesen. Er habe in seinem Film vorrangig den vorgestellten Menschen Raum geben wollen. Die Landschaft sei von ihm wie die Musik in einer mehr symbolischen Funktion eingesetzt worden.

Das entschiedene Plädoyer eines Zuschauers für „Leute mit Landschaft“ brachte die Diskussion in die Form eines Monologs. Für diesen Zuschauer war der Fluß in seiner langsamen Bewegung und die melancholischen Landschaftsbilder Kommentare zum Stillstand der gezeigten Menschen. Für ihn war dieses von ihm wahrgenommene Verharren der Leute DDR-typisch, da dort die Menschen ein zu ungebrochenes Verhältnis zur Vergangenheit hätten. Dies zeige der Film mit den Bildern der ungepflasterten Dorfstraße, einem Symbol für die unverbaute Vergangenheit. Im Widerspruch zwischen bewegtem Fluß und stillstehenden Menschen vermittle der Film, daß die Menschen der Landschaft entgegenstehen, das ökologische Problem. Diese Sicht, die vorgab, zu wissen, was DDR-typisch ist, wurde auf schärfste mit anderen DDR-Bildern kritisiert. Auch die Behauptung, daß die gezeigten Menschen ihren Träumen abgeschworen hätten und sich ihrem Schicksal ergeben hätten, wurde nicht akzeptiert. Diese Diskussion, ob die im Film auftretenden Menschen resigniert hätten oder nicht, kommentierte dann Bertram Rotermund mit der Behauptung, daß die Fremdheit zwischen DDR-Film und BRD-Publikum nicht durch die Filmarbeit bedingt sei. Mit dieser von ihm konstatierten Fremdheit begründete er seine Frage an Andreas Voigt, welche spezifischen Überlegungen ein solcher Auftrag provoziere. Andreas Voigt bekundete, daß er sich wohl Gedanken dazu gemacht hätte, daß sein Film für das BRD-Fernsehen produziert werde. Er habe aber feststellen müssen, daß er nicht zwei Filme drehen könne, einen für die BRD und einen für die DDR. Lediglich in der Thematisierung der Ökologie habe er den besonderen Umstand berücksichtigt, einen BRD-Fernsehauftrag auszuführen. Natürlich sei den Protagonisten vor dem Dreh gesagt worden, daß der Film für das Westfernsehen produziert werde und auch bei der Schlußsichtung war Hintergrund, DDR-Realität für das Westfernsehen aufzuzeigen.