Film

Die Wiese der Sachen
von Heinz Emigholz
DE 1988 | 88 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 12
09.11.1988

Diskussion
Podium: Heinz Emigholz
Moderation: Dietrich Kuhlbrodt
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

F e i n d e

Es gibt WENIG Opposition auf der Duisburger Filmwoche. Zum Beispiel GEGEN „Die Wiese der Sachen“.

Hmm.

Es gibt aber vehemente FEINDE.

Wo?

In der Filmbewertungsstelle. Und in (Film-)offiziellen Kreisen.

Hmm.

Aber: „Die nicht-erkannten Gegnerschaften können in Duisburg noch bis Freitag organisiert werden“!

A n f a n g

„Der beste Anfang einer Diskussion ist, wenn jemand da ist, der etwas SAGEN möchte.“

Ja.

„Am besten SIEHT der den Film, dessen Arsch OFFEN ist.“

Ich denke an mein Bier.

„Aber was ist eigentlich der Inhalt des Films?“ (Der Regisseur).

B i l d a r b e i t e r

Wie läßt sich Intelligenz in Bildern organisieren? Oder: Ein Film, der auf Elementen von Bildern vertraut und seinen Texten mißtraut. Oder: „Bilder für sich sprechen. zu lassen, ist oft ein peinlicher Akt bis hin zur Selbstanalyse.“ (Der Regisseur). Oder: Die Bilder breiten einen Gedankenteppich aus.

„Ich wollte mein Material, das ich in den 70er Jahren aufgenommen habe, in einer Erzählung verwerten. Die Bilder mussten mir erstmal etwas erzählen, um eine Geschichte aus den Bildern heraus entstehen zu lassen. Aber: Was erzählen mir meine Bilder und was ist dabei Absicht?“

Zuschauer/Zuhörer: „Den Bildern ist nicht anzumerken, daß sie disparat über mehrere Jahre entstanden sind.“

D i e E i n s t e l l u n g

Jede einzelne Einstellung ist komponiert. in ihr findet sich nichts Beliebiges: Die Dramatik des Zustands in einer Einstellung. Aber: „Im Film sind nur Einstellungen, die ich liebe; nicht, damit sie einen Zweck haben.“

Die Verbindung zwischen diesen Einstellungen besteht nicht aus Autofahrten (wie in Spielfilmen), das Weitergehen von einer zur nächsten Einstellung funktioniert hier nicht (kein Händchenhalten).

S E X m i t S a c h e n b e i M u s i k

„Die Wiese der Sachen“ ist ein passives Abtasten und Aufnehmen dessen, was die Sachen sagen. Eine Botschaft der Körper. Die Dramatik des Zustands. Entmaterialisierte Dinge. Es gelingt, die Verkrustung von Sinn zu durchstoßen.

„Ist das am Ende ein Knast oder eine Jugendherberge?“

„Ein Aktenraum.“

Etwas später: „Ich bin ziemlich brutal und sage mal, das soll ein Mittelding zwischen schwuler Sauna und einem Lager sein.“

Etwas später: „Ein Lager, auf dem man sich ausruht.“

Wer andere Assoziationen hat, ist selber schuld: „Ich rühre das nicht als Thema auf, das interessiert mich überhaupt nicht“ (Der Regisseur).

Ein ZUSCHAUER: „Es sind SCHÖNE Bilder, die eine Körperwahrnehmung zulassen und nicht mit Bedeutungen vollgeladen sind.“

Aber: „Sex ist IMMER eine Projektion. Es hätte auch sehr leicht KITSCHIG werden können:“ Und: „Die Jungs. die auf dem Sofa den Spiegel gucken … da wird die sexuelle Ebene zugeschüttet.“ Die Musik, die in einer Szene an- und ausgeknipst wird, das ist der erste überhaupt entstandene Disco-Song.“

Der Film ist eine harte Analyse dessen, was Heinz Emigholz mal gewesen ist: Sex – Clons – Terrorismus. „Man möchte ja auch mal etwas hinter sich lassen.“

E X P E R I m e n t a l F I L M

„Ich bin nicht vom Kino fasziniert und ich will niemandem eine Geschichte erzählen. Ich bin kein Oberlehrer.“

Man kann jedem Film ansehen, ob er einen „Kern“ hat. ob er zum Denken benutzt werden soll. „Ich bestehe ja auf einem INHALT. was mich stört ist BELIEBIGKEIT. Inhalt ist Analyse.“ (Der Regisseur).

„Ich habe mich immer geweigert, meinen Film als Experimentalfilm zu sehen, der seine Bilder ja oft als VISUELLES EREIGNIS abfeiert.“ Man kann mit den Bildern des Experimentalfilms auch eine (andere) Geschichte erzählen.

Wichtig wäre es darüber nachzudenken, welchem Genre solch ein Film zuzuordnen ist. Aber nur aus Gründen des Vertriebs. Und nur, um Zuschauern doch wieder eine Sicherheit zu geben?

V e r T R I E B

In Bielefeld ließe sich solch ein Film vielleicht unter dem Motto SEX UNO TERRORISMUS ankündigen.

„Meine Filme gucken sich immer mehr Leute an. Der Film wird von mir selbst vertrieben. Ein kleiner Verleih wollte ihn haben, aber der wollte mir nur das Geld wegnehmen (Verleih-FÖRDERUNG). Ich bezahle meine Miete von der Filmmiete. Der Film läuft im Durchschnitt zwölfmal im Monat. Aber irgendwann wird die Kopie im Arsch sein. Ich weiß auch nicht …“

F e r n S E H N O R M E N

„Der Film mag für jemanden, der es anders GEWOHNT ist, verquarzt aussehen. Es ist vielleicht meine Geschichte, die kein anderer nachvollziehen kann. Aber ich glaube auch, daß solch ein Film UNTERHALTSAM sein kann.“

„Es könnte ja sein, daß DICH das alles interessiert – und mich auch.“

„Dem Autor ist das Publikum weggestorben“, sagt ein Zuschauer (?), aber das war falsch zitiert: „Dem allwissenden Erzähler ist das Publikum weggestorben“, heißt es richtig in Heinz Emigholzs „Inhaltsangabe“ zum Film.

Jemand sagt etwas „konstruktives“: Es gäbe eine Schwierigkeit bei solchen Filmen, die keine Materialisierung von ZUSAMMENHANG haben sollen. Bei Spielfilmen sei das alles viel einfacher: Da haben die Leute immer was zu tun, sie können eine Arbeit leisten.

„Hier wird sehr hoch geredet, dem ich nicht folgen kann“ Oder: Jemand fand den Anfang des Films unerträglich brutal, stellte aber später „weichere Formen“ fest. Besonders der SOUND habe ihm zu schaffen gemacht.

„Die Norm des Fernsehens (80% Sprache, 20% Ton) habe ich nicht eingehalten.“

„DANN IST DER FURZ VORBEI UND DAS GEFÜHL IST TOT“, sagt jemand. „DAS muß ins Protokoll!“, sagt ein anderer.

A r c h i t e k t u r u n d F i l m

„Ich will keinen Architekturfilm oder Sexfilm machen, sondern zeigen, wie das zusammengehört.“

„Ich habe ja an dieser U-Bahn-Station gewohnt, und es war nach zehn Jahren sehr tragisch, einzusehen, daß alles einen SINN hat.“ (Der Regisseur).

D o k u m e n t u n d W i r k l i c h k e i t

„Man könnte ja fragen, was sucht so ein Film auf der Duisburger Dokumentarfilmwoche?“, fragt einer der Organisatoren. Und antwortet: daß das Denken in und mit Bildern vielleicht die einzige Chance sei, gegen die BELIEBIGKEIT anzukommen von Bildern, die man hat oder finden kann.