Film

Tagelöhner
von Eduard Hartmann
DE 1987 | 42 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 11
15.11.1987

Diskussion
Podium: Eduard Hartmann
Moderation: Bärbel Schröder
Protokoll: Toni Weber

Protokoll

Der auffallend durchstrukturierte Film verleitete,sofort über die Form des Films zu reden. Auf die Frage, ob es Gestaltungsprinzip gewesen sei, Dieter, den Protagonisten des Films, bei Interviews immer in Großaufnahme zu zeigen, erläuterte Eduard Hartmann seine Strukturierungsweise und Intention. Er habe den Zuschauer zum Zuhören verleiten wollen. Weil er davon ausgehe, daß man Dieter in festen Einstellungen am besten zuhören könne, habe er diese gewählt. Den Film habe er chronologisch, entsprechend eines Tagesablaufs, geschnitten. Lediglich am Ende, weil es der Schluß sei, habe er diese prinzipielle Darstellungsweise geändert. Woraufhin ein Zuschauer seinen Eindruck dieser Schlußsequenz beschrieb: Totale aufs Bett, dann Naheinstellung, dann wieder zurück und im Gegensatz zu den anderen Interviewszenen kommt hier der Ton aus dem Off. Die Totale habe er gewählt, erläuterte Eduard Hartmann, um einen Rückblick auf den Tag zu symbolisieren. Aber vor allem deshalb, damit das Ende nicht traurig wirke, habe er dieses Interview, worin Dieter sagt, daß er das, was er macht, will, erstellt. Versuche, den Eindruck „der arme Junge“ mit Musik aufzufangen , hätten nicht funktioniert. Zur Produktion berichtete Eduard Hartmann, daß die Gespräche in vier Tagen gedreht worden seien. Etwaige Anmerkungen vorwegnehmend beschrieb er das Licht des Films. Zum einen sei es nur auf der O-Kopie so, zum anderen sei es dadurch bestimmt, daß er mit der Blende nicht habe ausgleichen wollen, was Zustimmung fand.

Präzise wurde dann die Szene im Arbeitsamt, der ‚Börse‘, diskutiert. Die Off-Töne zum Bildmaterial der ‚Börse‘ begründete der Filmemacher mit Materialmangel. Doch der Stilbruch, daß hierüber etwas erläutert werde, wurde für inkonsequent gegenüber den detailierten Bildern erachtet. Die Lösung, den alltäglichen Ablauf in der ‚Börse‘ in Bildern zu zeigen, die den leeren Raum, Zigarettenkippen und Zeitungsreste wiedergeben, wurde als geglückt beschrieben. Daß er keine Drehgenehmigung erhalten habe, morgens die Arbeitssuchenden zu filmen, sei ihm vom Amt mit datenschutzrechtlichen Bedenken begründet worden. Diese Bedenken der stattlichen Institution wurden von einigen Zuschauern bezweifelt und kritisiert. Doch für Eduard Hartmann waren diese nicht so unsinnig, hatte er doch erfahren, daß man selbst nach einem Jahr nicht bei allen das Vertrauen schaffen kann, um einen Film zu realisieren. Er sei daher auch davon abgekommen, einen Film über die ‚Börse‘ zu drehen. Nach über einem Jahr Suche und Präsentation des Vorhabens auch in Obdachlosentreffs habe er Dieter getroffen. Zwei Monate vor Drehbeginn haben sie sich öfters getroffen, auch damit Dieter sich beim Dreh vor der Technik nicht scheut. Die Frage, ob Dieter aufgrund des Drehs sich verändert habe bzw. ob das vorausgehende Kennen lernen beim Dreh nicht zu Dopplungen der Fragen und glatten Antworten geführt habe, war für Eduard Hartmann nicht einfach zu beantworten. Zu den Zuschauereindrücken, denen zufolge Dieter zunehmend lockerer wirke oder sich zunehmend bedeutender fühle, konnte der Filmemacher lediglich äußern, daß Dieter gern über sich erzählt und wenig Leute in gewisser Intensität kenne.

Gegen die bislang geäußerten Anmerkungen, daß der Film Dieter seine Würde lasse, er durch die Ästhetik des Films nicht in sei ne Misere gestoßen werde, setzte ein Zuschauer den Einwand, daß der Film über saubere Schwenks und Einstellungen beschönige, so daß das Wäschewaschen mit Heißwasser aus der Kaffeemaschine etwas Romantisches erhalte. Er hätte sich daher eine ruppigere, eine Handkamera gewünscht.

Die ruhige Kamera habe er gewählt, bekundete Eduard Hartmann, um den langen Tag, den sich wiederholenden Tagesablauf, Dieters Erzählen zu kennzeichnen. Die Einstellung mit den Hafenkränen würde er inzwischen auch kürzer halten. Doch gegen den Vorwurf, zu beschönigen, wies er darauf hin, daß er ihn allein zeige, was auch hieße, daß er allein ist.

Jutta Uhl griff den Vorwurf auf und wandelte ihn in ein Lob des Filmes. Der Film sei zwar durchinszeniert, doch er besitze Authentizität. Man sehe wohl, daß Dieter arm lebe und erkenne dennoch, daß er nicht erschlagen sei. Dies braucht man durch eine Handkamera nicht zu negieren. Dem Film gelinge die Gratwanderung, nicht zu beschönigen, aber auch nicht runterzureißen. Dem Vorwurf der Ästhetisierung widersprach auch Rolf Müller mit den Filmbildern. Diese seien nicht gerahmt, hätten kein perfektes Arrangement, so daß die festen Einstellungen den Film in Bewegung halten. Hingegen eine bewegte Kamera oft in Erwartungen, d.h. nirgendwo endet.

Auf die Kritik an den Bildern, die den Morgen (der Stadt) einfangen, der Umgang mit Ton und Bild in den Szenen, die seine Wohnung zeigen, beschrieb Eduard Hartmann sein anfängliches Konzept. Er hätte sich drei Elemente im Film vorgestellt, die Gespräche mit Dieter, die Chronologie eines Tages und das, was in der Stadt passiert, während die Arbeitssuchenden in der ‚Börse‘ warten. Dies sei in der realisierten Fassung nicht eingelöst. Mit den Bildern vom Morgen habe er zeigen wollen, was draußen passiert, woran Dieter keinen Anteil hat. Die Wohnung sollte Indiz für seine Lebensführung sein.

Die Anmerkungen einer Sozialarbeitern aus dem Publikum, die mit der Erwartung, eine generalisierende Darstellung der Situation der tageweise Beschäftigten gezeigt zu bekommen, den Film sich angeschaut hatte, verleitete dazu, den Film als Portrait von Dieter zu begreifen. Sie führte aus, daß sie im Gesicht von Dieter einen Alkohliker erkannt habe, was der Film nicht thematisiere. Die Szene in der Kneipe befand sie als untypisch, da hier Dieter mit sozial Angepaßten gezeigt werde. Die Frau, mit der er einen alle Zuschauer begeisternden Rock’n’Roll tanzte, erachtete sie für eine außergewöhnliche Bekanntschaft für Leute aus diesem Milieu. Aber gerade, daß der Film dies zeige, erhalte sich das Bild eines Menschen, lasse eine Persönlichkeit, die Orginalität besitze, wahrnehmen. Der Film zeige Dieter nuanciert und differenziert.

Die Würde von Dieter wurde daraufhin sowohl in der Ästhetik des Films begründet, als auch im sprachlich differenzierten Ausdruck von Dieter, der wiederum bedingt durch Vorurteile verwunderte. Daß der Dokumentarfilm nicht erklären solle, sondern Zuschauern zeige, wie etwas funktioniert, diese Bekundung von Rolf Müller hatte ihre Entsprechung in Eduard Hartmanns Berufsethos. Leuten Stimme geben und den Zuschauern Bildern für ein zufälliges, späteres Zusammentreffen. Daß aber alles nicht so glatt geht, dafür standen seine eigenen Erfahrungen. Denn auch er habe anfänglich gedacht, wie schlimm dieses Milieu sei und erst später habe er Dieter zugehört.