Film

Ende einer Vorstellung
von Annelie Runge
DE 1987 | 84 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 11
14.11.1987

Diskussion
Podium: Annelie Runge, Manfred Scheer
Moderation: Bärbel Schröder
Protokoll: Ricarda Wojewski

Protokoll

  1. Runge habe – so B. Schröder – mit ihrem Film versucht, öffentliche und private Geschichte zu verbinden.

Es bestand allgemeiner Konsens über die gelungene Verbindung von Persönlichem und Zeitgeschehen. Diese Idee habe sie (A. Runge) schon lange gehabt. Sie dachte, der Zeitpunkt dieses Projekt zu realisieren sei gekommen, als ihr Bruder die Satellitenantenne auf dem Dach des elterlichen Hauses in der Eifel (Hillesheim) installierte. In dem Haus befand sich das Kino (Eifel-Film-Bühne) und das Radiogeschäft (erweitert durch Fernseher- und Videoverkauf). 

Zu den Produktionsbedingungen bemerkte A. Runge, daß es schwer gewesen sei, Filmausschnitte ihrer Lieblingsfilme zu bekommen. Den Film ‚Faust im Nacken‘ habe sie erst in letzter Minute, beim Schnitt, erhalten. 

Auffallend sei ihr geduldiger Umgang mit den Menschen im Film. Bei aller Sympathie habe die Geduld auch etwas Schreckliches. Alles würde von ihrer Familie ertragen, was mit Bildern und Ton (z.B. die Nazizeit) über sie, die Familie, hereinbrechen würde; alles ginge so weiter bis zur Installation der Satellitenantenne auf dem Dach; ob sie auch so geduldig sei? 

Sicher habe sie (A. Runge) ihre eigene Geduld mit in den Film eingebracht. 

Dieser Film sei ein gelungenes Beispiel Menschen zu zeigen, wie sie sind, auch in ihrem Phlegma. Interessant sei für sie – die Zuschauerin – die Reaktion A. Runges Mutter auf die Geschichte („Da sei sie böse gewesen~ erzählte die Mutter einige male), so daß ihr das Langsame, etwas Nervige des Films gefallen habe. 

Die Wochen schau habe A. Runge als Reales genommen, unkritisch thematisiert. Das Kommentarlose sei doch die Stärke des Films, wurde von anderer Seite behauptet, wir seien doch keine Deppen aus Oberbayern, daß wir uns den Kommentar nicht selber denken könnten. 

Viele fanden es nachvollziehbar, daß die Wochenschau damals zur Information über Verwandte und deren Lebensbedingungen an der Front gesehen wurde („Da hat man gesehen, wie es war“, kommentierte im Film rückblickend eine Interviewte die Wochenschau). Es wurde auch ein Vergleich gezogen zwischen Wochenschau und heutiger Tagesschau. 

Runge wollte bewußt nicht kritisieren, kommentieren, bewerten, jedoch benennen. Die Funktion der Spielfilme (Kompensation) sei durch die Kriegswitwe erläutert.

Ruzicka bemerkte, daß der Film so ganz ohne Wertung nicht gewesen sei; toll sei die Schlußszene gewesen, in der die Kinder sich in der Welt des Fernsehens wiederentdeckten; mit einer Videokamera aufgezeichnet, sähen sich die Kinder selbst lustvoll auf dem Fernsehbildschirm, fragten sich gegenseitig, wer denn da zu sehen sei? Dies sei ein medienhistorischer Diskurs.

Als störend, da inszeniert wirkend, wurde von einigen andere Szenen empfunden, in denen die Kinder agierten. Die Kinder seien aufgefordert worden, die Gefühle A. Runges aus der eigenen Kindheit nachzuempfinden, darzustellen, dies würde nicht überzeugend, natürlich wirken. 

Die Parallele zwischen kirchlicher und persönlicher Geschichte („Faust“, so ein Zwischenruf) sei sehr interessant. A. Runge erklärte sie durch ihre religiöse Erziehung, die Mutter sei katholisch, der Vater evangelisch gewesen und sie hätte regelmäßig beide Kirchen besucht. Bei den Erkundungsfahrten für diesen Film durch die Eifel seien ihr die vielen Kreuze aufgefallen. Der starke Einfluß der Kirche auf ihre Sozialisation sei ihr bewußt geworden. Das Bild der geduldigen Frau (Magdalena-Figur) und der Schwenk auf die lüstern wirkende Frau, sowie der Vergleich des von einem Gewerkschaftler zusammengeschlagenen Marlen Brande mit Jesu am Kreuz sei von ihr bewußt gesetzt worden. Für sie als Kind hatte dies eine große Bedeutung, ihr sei auch aufgefallen, daß alle großen Schauspielerinnen, die ihr damals gefielen, einmal die Hure und einmal die Nonne gespielt hätten. 

Die zwei Ebenen im Film, der Aufbau eines Kinos in Hillesheim mit dem Vater als treibender Kraft, parallel gesetzt zur eigenen (Familien-)Geschichte hätte in ihrer Familie Kontinuität, sie bräche aus diesem Kontext aus mit ihrer Reise nach Amerika (ihrer Ausbildung zur Krankenpflegerin). Sie sei ausgestiegen aus der Mediengeschichte ihrer Familie. Als sich andere durch das TV die Welt ins Wohnzimmer holten, sei sie in die Welt gegangen. Ihre Rückkehr sei nicht genügend thematisiert. A. Runge empfand ihre Geschichte nicht so entfernt von der Geschichte ihres Vaters, ihrer Familie; sie sei Journalistin. Den beanstandeten Bruch erklärte eine Zuschauerin mit dem Jahressprung innerhalb des Films. Die indirekte Präsenz A. Runges bis zu ihrer Reise nach Amerika sei gelungen, doch dann tauche sie erst wieder als Interviewerin des Bruders in der Jetztzeit, ca. 20 Jahre später im Film auf. Gerade dies sei für sie (eine andere Zuschauerin) stimmig, da das Persönliche mit der Kinogeschichte übereinstimme. Es sei ihr (A. Runge) in erster Linie um die Geschichte des Kinos gegangen; ihre Kinoleidenschaft sei durch den Beruf als Krankenpflegerin verloren gegangen, doch brach diese Leidenschaft wieder durch. Dies zeige sich doch in der im Film angesprochenen Freude auf das sonntägliche Putzen des Kinosaals. 

Das Filmkontingent, das ihrer Mutter zur Verfügung stand, sei – so A. Runge – in der Nazizeit nicht groß gewesen. Später seien Filmpakete von den Verleihern angeboten worden. Heute sei die Auswahl groß, doch bekäme ihre Mutter die Angebote sehr spät. 

B. Schröder sprach eine Szene des Films direkt an, in der ein Starfighter am Himmel zu sehen war. In der Eifel, erklärte A. Runge, sei heute sehr viel Militär stationiert und die Mutter erzählte an dieser Filmstelle von Bombenanschlägen; sie wollte auf diesen Zusammenhang hinweisen.

Die Filmgeschichte aus ganz privater Sicht sei gelungen. Die Wirkungsgeschichte des Fernsehens zeige sich doch erstaunlich abhängig vom Zeitgeschehen, so ein Zuschauer. 

Runge erzählte, daß sie in 20 Jahren zu diesem Thema nach einmal einen Film mit ihren Enkeln machen wolle, um zu sehen, wie dies alles auf ihre Enkel gewirkt habe.