Protokoll
Wollte man die anregende Diskussion in einem Satz zusammenfassen, hieße das Resümee: Ein durch die Bank von den Zuschauern gelobter Film (“sehr mutig“, „gut, daß es ihn gibt“, „bin erstaunt, daß so etwas heute noch gesendet wird“) löst eine Selbstverständnisdebatte dokumentarischer Filmarbeit aus, inclusive eines umfangreichen Diskurses zur Frage, wie der Filmemacher den Mächtigen (in diesem Fall: Mitgliedern und Vorstand des Düsseldorfer Industrie-Clubs) und seinen Auftraggebern (in diesem Fall: das Landesstudio Düsseldorf des WDR) gegenübertritt.
Eröffnet sei das Protokoll mit einer knappen Zusammenfassung der Entstehungsgeschichte des Projekts. Bereits im ersten Exposé, das Minow dem WDR geschickt hatte, war die Gewichtung innerhalb des Filmthemas (75 Jahre Industrieclub) deutlich erkennbar, indem beispielsweise relativ umfangreich aus dem Aktenmaterial der Nazi-Zeit zitiert worden wäre. Generell, betonte Minow an dieser Stelle, sei es grundfalsch, mit abgeschwächten Exposés zu operieren, um „die Redakteure etwa einzulullen“. Dem Club habe er das, was er vorhabe, skizziert, ohne sein besonderes Interesse an der Nazi-Zeit von vornherein deutlich zu machen. Aber nachdem die Drehgenehmigung erteilt worden war, habe er im Clubarchiv Genaueres über die Jahre 1929-45 erfahren wollen. Das sei ihm verweigert worden. Und jetzt habe der Club versucht, mit freundlichen Mitteln Druck auf ihn, wie auf den WDR auszuüben. Minow habe seinerseits dem Club-Vorstand mitgeteilt, daß er nach Verwehrung des Archiv-Zutritts sich in anderen Archiven nach Material über diese Zeit umschauen müsse. Seit diesem Zeitpunkt habe er all seine Gespräche mit dem Club, in denen sein Interesse und sein Vorgehen erkennbar wurden, protokolliert und die Texte bei einem Anwalt zum eigenen Schutz hinterlegt. Er habe dann erklärt, daß es gut sei, da die Nazi-Zeit im Film behandelt würde, wenn sich jemand vom jetzigen Vorstand zu diesem Geschichtsabschnitt äußern würde. Als Henkel als Gesprächspartner feststand) habe er die ihm bekannten Fakten, die im Film später verwandt wurden, dem Club vorgelegt. Vom Büro Henkel kam als erstes die Frage, was er denn sagen solle? Es wurden Vorabsprachen gefordert. Er, Minow, habe mitgeteilt, er walle zu Beginn des (auf fünf oder vier Minuten begrenzten) Gespräches fragen, ob Henkel sich angesichts der Tradition des Clubs wohlfühle. Anschließend könne dieser sagen, was er wolle. Henkel habe sich mit seinem Pressereferenten wie einem Rechtsanwalt beraten und habe dann das gesagt, was jetzt ohne Kürzung im Film enthalten sei. Daß er die Chance einer Erklärung zur Sache nicht nütze, ermögliche es dem Zuschauer zu durchschauen, was hinter einem solchen Verhalten an Geschichtsignoranz sich verberge. (Angemerkt sei vom Protokollant, daß Minow sich am Ende der Diskussion vehement gegen Spekulationen über Filmwirkungen wandte.) Persönlich sei Henkel ein feiner, distinguierter Mann, der durchaus nicht unsympathisch wirke, allerdings ein Geschichtsignorant: Er wolle das, was geschehen sei, einfach nicht wahrhaben, vielleicht auch nicht mehr wahrnehmen.
Die Intervention des Clubs beim Landesstudio habe zu einem Gespräch geführt, in dem sich Minow sowohl seinem Auftraggeber wie den Porträtierten gegenübersah. Auch in diesem Gespräch wäre nun nicht laut nach Zensur gerufen worden, sondern man habe stattdessen durchaus feinsinnig über die ungenügende Gewichtung des Beitrages gesprochen, der eine Zeitspanne von zwölf Jahren überbewerte. Ergebnis: Zwei Monate nach dem Gespräch wird der fertige Film nicht abgenommen. Begründung des WDR-Landesstudios: Es gäbe Ungleichgewichte innerhalb der Club-Chronologie. Vorschlag: Minow solle bei gleicher Sendelänge (knapp unter dreissig Minuten) noch Anmerkungen zu den letzten zwanzig Jahren anfügen. (Damit hätte zwangsläufig der Teil der NS-Geschichte gekürzt werden müssen!) Minow verweigerte sich dem Anliegen, bestand auf einer Auszahlung der ausstehenden Produktionsraten und verwies darauf, daß sein Film genau dem entspräche, was er im Exposé angeboten habe. Der Fall wurde öffentlich. Der Redakteursauschuss des WDR, den Minow an dieser Stelle als segensreiche Einrichtung pries, beschäftigte sich mit dem Fall und sensibilisierte den Apparat. Ergebnis: Ein halbes Jahr später als vorgesehen wird DER CLUB gesendet – ohne jedwede Änderung, genau so, wie ihn Hans-Rüdiger Minow vorgelegt hatte.
Weiten Raum nahm die Erörterung der filmischen Form ein. Nicht daß sich, wie in früheren Duisburger Zeiten, zwei Fraktionen gegenübersaßen, die behutsamen Dokumentaristen hie, die Eingreifenden dort! Nein, es wurde eher leise Zweifel angemeldet, warum beispielsweise Minow die Ergebnisse seiner Recherche so überaus glatt präsentiere. (Eine wohlpräparierte Kamera fahre durch die Räume und zeige Menschen, die sich auf Wink des Regisseurs bewegen.) Man spüre keine Neugier, die Arbeit des Herausfindens würde nicht vermittelt. Ein anderer fragte nach der Authentizität der Situationen: Würde sie durch die Stilisierung/Inszenierung verloren gehen? Minow entgegnete: Je länger man Filme mache, desto stärker spürt man, wo die eigenen Grenzen liegen. Ihm persönlich stünde das Arbeitsmittel einer konsequenten, geduldigen Beobachtung nicht zu Verfügung. Andere hätten sicher das Gespräch mit Henkel nicht auf einen solchen Moment verdichtet, sondern hätten vielleicht zwei Stunden Gespräch aufgenommen und dann erst am Schneidetisch auf die entscheidenden Punkte gebracht. „Ich aber“, fuhr Minow fort, „will inszenieren, auch weil ich die Macht der Kamera genießt – so wie die anderen ihre Macht auf andere Art, etwa am Schneidetisch, genießen.“ Er wolle grundsätzlich während der Dreharbeit omnipotent sein, was den technischen Teil angeht, dort solle so wenig improvisiert werden wie möglich. Wenn manche Zuschauer diese Art von Bildern nicht genießen könnten, sei das schade. Aber daran könne er nichts ändern.
Nachdem ein weiterer Zuschauer, der den Film ob seiner klaren, auch didaktisch klugen Struktur lobte, davon sprach, daß für ihn das Werk zwar kein Dokumentarfilm, dafür ein journalistischer Film sei, hob Hans-Rüdiger Minow zu einem kleineren Exkurs in Sachen Realismus an, der ausführlich zu protokollieren lohnt. Er bezeichne seinen Film selbstverständlich als Dokumentarfilm, aber eben nicht im naiven Sinne. Er halte alle jene für Traumtänzer, die glaubten, Film würde Wirklichkeit unmittelbar abbilden. Es gäbe verschiedene Annäherungsweisen an die Wirklichkeit, die sich in vielem unterscheiden, nur nicht in ihrem Ergebnis von Nicht-Wirklichkeit. Das, was beim Film oder beim Videoband herauskommt, ist stets eine Kunstwelt. „Mehr sehe ich in keinem Film mehr!“ Worüber man sprechen könne, wäre das jeweilige Verhältnis, in dem der Film zur Wirklichkeit stünde, und selbstverständlich auch die Form der Annäherung.
Nachdem der Diskussionsleiter vorgeschlagen hatte, doch den Begriff des Inszenierens durch den des Arrangierens zu ersetzen, beschrieb Minow auf Nachfrage, wie es zur Szene beim Festbankett gekommen sei, in der Genscher mit Oetker und anderen Industriellen über Steuererleichterungen wie Steuer-Betrug geschäkert haben. Minow: „Ich habe mir auf der Gästeliste die zwei oder drei Interessanten herausgesucht. Und ich habe damit gerechnet, daß, wenn ich da mit der Kamera mich aufbaue, etwas Interessantes geschieht.“ Es sei nicht so gewesen, daß er das Gespräch von ferne belauscht hätte. Nein, er habe sich vor dem Tisch, etwa einen Meter entfernt, aufgebaut, habe die Kamera sich einrichten lassen und habe dann den Tonmann gebeten, die Ton-Angel in Richtung von Oetker und Genscher zu halten. Diese, die sich bislang leise unterhalten hätten, wären prompt immer lauter geworden und hätten die erwähnten Sätze über die Steuer demonstrativ in Richtung Kamera gesprochen. Die Wirklichkeit inszeniert sich für ihr Abbild. Und: Es demonstriert die Koketterie der Macht.