Protokoll
Die Eingangsfrage nach der (na,wie könnt’s anders sein?!) Idee des Films beantwortete Michael Lentz mit seinem bereits über mehrere Filme anhaltendem Interesse, an der seines Erachtens bisher wenig berücksichtigten Minderheit der alten Menschen. So stoße man häufig auf das Vorurteil, alte Leute säßen eh‘ im Altersheim und hingen an ihrem Schlauch.
Aus der Anzahl von neunzig bis hundert angeschriebenen hundert Jahre und mehr Zählenden, deren Auffinden sich aufgrund des. Datenschutzgesetzes in einigen Gemeinden als problematisch erwiesen hatte, hätten sich schließlich Vier zu Portraitierende herauskristallisiert: zwei Männer und zwei Frauen. Alle vier entstammen dem bürgerlichen Milieu. Dies sei nicht von vorneherein beabsichtigt gewesen; das Portraitieren von Arbeiterfrauen beispielsweise hätte sich jedoch aufgrund schlechter gesundheitlicher Verfassung und ähnlichem als zu inhuman erwiesen.
Die anschließende Diskussion kreiste um drei Fragenkomplexe, die im folgenden zusammengefaßt wiedergegeben werden.
- Die filmische Darstellung von Frauen und Männern
Die unterschiedliche, geschlechtsspezifische filmische Behandlung der Gezeigten – für Lentz ein bisher nicht beachteter Aspekt-wurde vom Publikum sowohl festgestellt als auch hinterfragt. Einer subtilen Kamerabeobachtung (des Berliner Kameramanns) in Hinblick auf die Alltagsgesten der Männer (z.B. die Schuhbindeprozedur der ersten Einstellung) stünde den featureartigen ‚Frauenparts‘ (des Kameramanns aus dem Ruhrgebiet) gegenüber. Zeigten sich die Männer in ihren Gesten eher als autonom Agierende, so reagierten die Frauen oft lediglich und wirkten in ihrem en face-Reden vor der Kamera weniger transparent. Sie würden im Kunstkreis der Familie als Behütete dargestellt, wie z.B. Frau Wagner auf ihrer 102. Geburtstagsfeier. Spärlich ins Bild gesetzt, hätten die Gesten der alten Damen umso stärkere Wirkung; so Frau Wagners energischer Einwand zur Tochter: „Laß mich alleine gehen!“
Frau Bever ninrnmt nach Lentzens eigenen Aussagen („Der gehörte mein Herz.“ „Vielleicht ließ ich sie zu lange an der langen Leine laufen(sic!)“) den größten Teil des Gesamtfilms ein, was sich allein schon in der Filmerzähldauer äußert.Grund dafür sei ihre Fähigkeit zur Selbstreflexion sowie ihr durchaus spannendes Leben gewesen. Ergänzend aus dem Publikum kam dazu die Frage, ob der Grund nicht auch in ihrer Vorzeigevergangenheit im Gegensatz zu jener der anderen drei gelegen habe, die bei brisanten Fragen: anscheinend eher von der: ’Gnade des Vergessens‘ heimgesucht worden wären.
Der Film zeige Frau Bever auf verschiedenen Stationen ihres Lebens durchaus als resolute Dame, bemerkte Werner Ruzicka. Daß sie die Einzige sei, deren Kindheitsstätte, nämlich Soest, sozusagen vor der Haustüre des Regisseurs gelegen sei, nannte Lentz einen Vorteil, da er somit nicht auf Photos, sondern authentische Kamerabilder der Stadt Soest zurückgreifen konnte.
- Die Frage der Authentizität
An verschiedenen Punkten der Diskussion kam man auf das Problem der Authentizität zu sprechen, riß diesen Aspekt jedoch immer nur an. Auf die Frage, ob es immer Bilder authentischer Plätze sein müßten, beharrte Lentz mit Nachdruck auf dieser Art von Redlichkeit („In diesem Moment hätt‘ ich angefangen zu lügen.“). Dem fügte Frau Debiel, die redaktionelle Betreuerin, hinzu, die Einzelportraits seien dem Angebot der Personen gemäß angelegt. Beispielsweise sei ersichtlich, daß die Auseinadersetzung mit dem neuen Fahrstuhl für Darnaß brisanter sei als die Frage des Regisseurs nach dem Verhalten während der Entnazifizierung.
- Die Frage nach dem Fragen
Mehrfache Kritik wurde an den „betulichen, hölzernen Off-Fragen“ Lentzens an seine Protagonisten geäußert und gar spekuliert, diese hätten ohne weiteres herausgeschnitten werden können. Als inquisitorisch tat eine Zuschauerin sie ab. Eine weitere Stimme sah die Befragten, besonders die Männer, durch die Art der Befragung karikaturistische Züge annehmen. Werner Ruzicka wollte nicht von Karikatur, sondern eher von einer altersgemäßen, von der Gesellschaft vorgegebenen, Stilisierung sprechen.
Michael Lentz legitimierte seine Vorgehensweise. Die ‚staccato‘-Fragen gegenüber dem schwerhörigen Emil Darnaß hätten zunächst filmtechnische Gründe: Er habe quasi ins Micro geschrieen, so daß der Ton im Studio nachgesprochen werden mußte. Die Gretchenfrage „Was haben Sie dann und dann gemacht?“ sei als Impetus gedacht gewesen, um vom Erzählstadium der Kindheit abzukommen und nicht zuletzt der Neugier des Regisseurs entsprungen. Die Fragen hätten sich nach der geistigen Präsenz der Protagonisten gerichtet. So hätte die schwierige Person Domaßens einfache Fragen erforderlich gemacht. Die Frage „Was haben Sie dann und dann gemacht?“ sei eine legitime, nicht inquisitorische.